Mama. Eine Ausstellung
Ui. I feel you, Mama. Ich saß heute bestimmt zehn Mal so da wie sie. Mitten im Chaos, die Brüste entblößt, Baby angedockt und der kleine schwitzige Körper schlafend auf mir drauf. Mein Arm eingeschlafen – immerhin lagen zehn Kilo auf ihm, den Rücken leicht gekrümmt und die Bäckchen rot vor Hitze. Aber ey, immerhin hat die Porzellanfigur-Mudda es im Gegensatz zu mir geschafft, noch heiße Lackschuhe mit Goldschnalle anzuziehen. Bei mir reicht’s nur für Tennissocken, die meine sehr unpedikürten Füße verdecken. Ich glaube, ich war seit bald einem Jahr nicht mehr meine Nägel machen. Oder meine Haare, die gehen mir fast bis zum Hintern, verfilzt as fuck. Ich habe meinen Körper gerade komplett an mein Baby verliehen, eigentlich seit der Schwangerschaft. Mittlerweile kann das kleine Rabaukenwesen mein Oberteil selbstständig runterziehen und sich an der Milchbar bedienen, egal wann und wo, was ich wehrlos hinnehme. Ist mir erst vorhin auf einem Straßenfest passiert. Früher hätte ich das aus Scham niemals zugelassen. Ich frage mich, ist das wahre Hingabe, wie sie von „guten Müttern“ verlangt wird, oder einfach nur Selbstaufgabe? Quiet Quitting meines Ichs? Versklavung aus Liebe und gesellschaftlicher Erwartung? Ich glaube, es ist alles auf einmal. Es geht oft nicht anders. Aber das Baby hat ja nix davon, wenn die eigene Mutter sich wie Ahoi-Brause auflöst und irgendwann nichts mehr von ihr übrig ist. Manchmal äffe ich meine Tochter vor ihr selbst nach, wie sie vor allem als Neugeborene gierig mit „eh-eh-eh-eh-eh“-Geräuschen nach meiner Brust schnappt. Das findet sie hilarious. Es hilft mir irgendwie, mich nicht als passive Milchkuh zu fühlen, sondern auf Augenhöhe mit ihr zu sein. Vielleicht hole ich mir auch noch ein paar Lackschuhe.
Ubin Eoh (*1987) ist Podcasterin und Kolumnistin in der FAZ („Hi Baby!“)
Wenn es um das Thema Schwangerschaftsabbruch geht, wird es oft andächtig. Selbst Menschen, die sich für das Recht darauf stark machen, behandeln es oft wie ein rohes Ei. Oft folgt dabei die Aussage, dass es ja für keine Frau eine einfache Entscheidung sei. Es wird gesellschaftlich verlangt, demütig zu sein und nicht leichtfertig „so etwas“ zu entscheiden. „So etwas“ muss groß und schlimm sein, weil es – und das ist das Geheimnis dahinter – eigentlich dem widerspricht, worauf wir uns geeinigt haben, nämlich: dass eine Frau zum Gebären da ist. „Ich wollt’s nicht haben, musste gar nicht erst nach fragen“, singt Nina Hagen 1978 spektakulär lässig in Unbeschreiblich Weiblich, einem kraftvollen, regelrecht fröhlichen Song ihrer Band zum Thema. Dabei tut sie, als sei es schon das, was es sein sollte: das normalste der Welt – sieben Jahre nach der Stern-Skandal-Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben“ und Jahrzehnte vor anderen Liedern zum Thema von den Petrol Girls, War On Women, Amanda Palmer oder PJ Harvey. Nina Hagens Selbstverständlichkeit kommt sicher auch daher, dass sie in der DDR sozialisiert wurde, wo Schwangerschaftsabbrüche normalisierter waren. Trotzdem ist sie Pionierin für eine Wahrheit, die erst viel später Verbreitung findet. Diese ist, dass die Entscheidung vielen Frauen sehr wohl leichtfällt und sich die meisten nach einem Abbruch (wenn er ohne Komplikationen und Zwang passiert ist) erleichtert und glücklich fühlen – nicht zuletzt wegen des erhebenden Gefühls, etwas so Lebenswichtiges selbst entschieden zu haben. Und das kann sich genauso anfühlen: unbeschreiblich weiblich.
Paula Irmschler (*1989) erzählt in ihrem zweiter Roman „Alles immer wegen damals“ (2024) von der Beziehung zwischen Mutter und Tochter nach der deutschen Wiedervereinigung.
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