Der weibliche Pelé

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Nein, Marta Vieira da Silva kann es noch immer nicht verbergen, wenn sie aufgeregt ist. Und Marta ist oft aufgeregt. Ihr weiches Portugiesisch täuscht Gelassenheit vor, doch zwischen ihren Augen bildet sich dann eine verräterische, kleine, steile Falte. Entspannen, das ist einfach noch nicht drin für diese 1,54 Meter kleine, zäh austrainierte Person aus dem knapp 12.000 Menschen zählenden Dois Riachos im entfernten Nordosten Brasiliens.

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Kaum neun Jahre ist es her, dass Marta, 23, diesen Kampf angenommen hat, den andere Karriere nennen. 14 Jahre war sie, als sie begann für ihren Traum zu trainieren. Und aus Sicht von Marta ist dieser Kampf noch lange nicht zu Ende, auch wenn die brasilianische Nationalspielerin seit Jahren für ihr Können im Fokus der Öffentlichkeit steht: Zu auffällig ist ihre Kunstfertigkeit am Ball, zu besonders ist ihr Lebensweg. So besonders, dass Marta selbst das alles noch immer nicht ganz fassen kann. Und ständig passieren ja auch immer wieder Dinge, mit denen sie nun wirklich nicht rechnen konnte.

Damals, als Teenager, setzte sich Marta in ihrem Heimatort einfach in einen Bus nach Rio de Janeiro. Sie hatte, gegen den Willen ihrer Eltern, entschieden, sich in der Metropole als Fußballerin zu versuchen. Drei Tage später stieg sie in Rio aus dem Bus, ihr Startkapital waren die Kleidung, die sie in einer Tasche bei sich trug, und der Wille, mit dem sie über ihre erste Station, dem Fußballklub Vasco da Gama, ihren Weg gehen wollte.
"Ich war sehr dünn, aber schnell. Ich glaube, sie waren schockiert, dass ein Mädchen wie ich auf dem Rasen für ein derartiges Aufsehen sorgen konnte", sagt Marta rückblickend, und ihre damalige Trainerin Helena Pacheco bestätigt: "Sie brachte eine enorme innere Willenskraft mit. Es gibt nur wenige, die derart lernwillig waren wie sie."

Heute muss Marta nicht mehr mit einem öffentlichen Bus nach Hause fahren. Die inzwischen dreimalige Weltfußballerin wird in ihrem Heimatort regelmäßig mit allen Ehren empfangen. Nach der Weltmeisterschaft 2007, wo Marta mit Brasilien im Finale den deutschen Frauen 0:2 unterlag und einen Elfmeter verschoss, wurde sie trotzdem zum ersten Mal zur Weltfußballerin gewählt und danach in Dois Riachos mitsamt ihrer Trophäe in einem offenen Feuerwehrwagen im Triumphzug durch die Straßen gefahren.
Vater Audálio, der die Familie früh verließ, und Mutter Tereza hatten die berühmte Tochter mit Freudentränen in den Augen vom Flugzeug abgeholt, flankiert von vier Brüdern, sechs Onkeln sowie etlichen Cousins und Cousinen.

Im Januar 2009 wählten die Nationaltrainer und Spielführerinnen des Weltverbands Fifa Marta zum dritten Mal in Folge zur besten Fußballerin der Welt. Als sie jetzt zu Hause ankam, stand der ganze Ort Kopf: Sogar der Gouverneur des Bundesstaats war ins ärmliche Dois Riachos gekommen, um Marta das fast fertige Fitnesscenter zu zeigen, das an ihrem 23. Geburtstag, dem 19. Februar, nach ihrem Namen benannt und eröffnet würde.

Aus dem früheren Ärger der Eltern ist längst der pure Stolz geworden: "Sie ist häufig von Schule weggeblieben, um Fußball zu spielen. Ich wollte sie immer daran hindern, aber mir ist es nicht gelungen. Zum Glück muss ich aus heutiger Sicht sagen. Denn sie hat sich ihren Traum erfüllt und hilft heute der ganzen Familie", sagt Mutter Tereza. Vater und Mutter sowie jedem ihrer Brüder hat Marta jeweils ein Haus geschenkt. Denn sie will "dieser armen Gegend etwas zurückzugeben und den Menschen Hoffnung  machen".

In Zukunft wird Marta wieder öfter in ihrer Heimat vorbeischauen können, die Empfänge bei Honoratioren und Sponsoren werden sich häufen, und endlich wird ihre weitverzweigte Familie regelmäßig per Satellitenfernsehen ihre Fußballspiele verfolgen können: Nach fünfeinhalb Jahren Pause startet in den USA wieder eine neue US-Profiliga der Frauen. Wenn die am 29. März im Home Depot Center in Kalifornien von den Los Angeles Sol eröffnet wird, wird Marta als Galionsfigur des ambitionierten Projekts einlaufen.

Nach fünf Jahren beim schwedischen Verein Umea IK, mit dem die Brasilianerin etliche Meisterschaften, Pokalsiege und auch den Uefapokal gewann, war sie von Klubs aus ganz Europa umworben worden. Marta aber entschied sich für einen Vertrag, der sie zur bestbezahlten Fußballerin der Welt machen wird: In den nächsten drei Jahren bei Los Angeles Sol soll sie rund 180.000 Euro pro Saison bekommen, dazu kommt ein Werbevertrag, den ihr Manager Fabiano Farah aushandelte, mit rund 200.000 Euro zusätzlich im Jahr. Plus weitere Sponsoringverträge.

Marta genießt, dass sie im Macholand Brasilien inzwischen die Achtung erfährt, die sie als Fußballerin verdient hat: Im altehrwürdigen Maracaná, dem Nationalstadion Brasiliens, durfte sich die Kapitänin der Nationalmannschaft bereits als erste Frau überhaupt neben Berühmtheiten wie Pélé oder Franz Beckenbauer per Fußabdruck im Walk of Fame verewigen.

Doch während Marta in Brasilien frenetisch gefeiert wird, wurde sie bei ihrem letzten Auftritt in Deutschland beim Uefapokalfinale gegen den 1. FFC Frankfurt ausgepfiffen: Denn sie ist auf dem Rasen nicht nur für ihre Technik, sondern auch für äußerst ruppige Fouls bekannt, darunter ein Kinnhaken, für die sie in Schweden bereits etliche Rote Karten einstecken musste.

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