Nüsslein-Volhard: Meine Großmutter

Christiane Nüsslein-Volhard und ihr Vorbild: ein Selbstporträt ihrer Großmutter.
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Meine Großmutter war eine sehr begabte Malerin. Sie war eine Frau, die etwas konnte. Das hat mir imponiert. Meine Großmutter Lies machte mir vor, auch mein Talent ernst zu nehmen. Das war nicht selbstverständlich, als ich ein Kind war.

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Schon in frühen Jahren habe ich mich sehr für Pflanzen und Tiere interessiert. Wann immer ich die Möglichkeit dazu hatte, hielt ich mich in der freien Natur auf. Ich liebte unseren Garten, Spaziergänge im Wald. Wenn ich draußen herumstreifte, war mein Blick meistens auf den Boden gerichtet. Ich pulte Knospen auf, sah mir die Pflanzen genau an – ich wollte wissen, wie sie wuchsen und wo, was ihre Unterschiede und besonderen Merkmale waren. Meine Großmutter ermutigte mich, sie war eine passionierte Bergsteigerin und kannte sich gut mit Pflanzen aus.

Sie selbst hatte das Glück, dass ihr Talent als Malerin schon früh unterstützt worden war. Ich hörte ihr gerne zu, wenn sie davon erzählte. Da saß eine Frau, die sich ihrer Fähigkeiten bewusst war. Und die eigene Meinungen hatte.

Wir nannten sie als Kinder "Raketen-Oma" - wegen ihres schnellen Schritts

Meine Großmutter wuchs in einer kleinen Stadt im Elsass auf, nicht weit entfernt von Straßburg. Ihr Vater leitete eine Reparaturwerkstatt der Reichsbahn, und er war, so erzählte sie mir, ein zugewandter Vater, dem die Bildung seiner Kinder wichtig war. Da meine Großmutter schon als Kind auffallend gut zeichnete, ermöglichte er ihr, Unterricht bei einem Maler in Straßburg zu nehmen.

Als junge Frau besuchte meine Großmutter wie viele „höhere Töchter“ eine Malschule, ging für ein Jahr nach München, um dort zu lernen und an der Universität Vorlesungen über Kunstgeschichte zu hören. Nach ihrer Ausbildung wollte sie in Paris weiter Malerei studieren. Aber dann verliebte sie sich und schlug den konventionellen Weg als Ehefrau und Mutter ein. Geheiratet hatte sie für die damalige Zeit relativ spät, mit 28 Jahren. Ein paar Vereinbarungen waren vor der Eheschließung getroffen worden, darunter die, dass sie selbst die Einrichtung gestalten würde. 

Meine Großmutter war gebildet und lebensklug. Zum Freundeskreis meiner Großeltern in Straßburg gehörten etwa der Journalist und spätere Bundespräsident Theodor Heuss, seine spätere Frau, die Frauenrechtlerin Elli Heuss-Knapp – die die Patentante meiner Mutter war – und Albert Schweitzer, der als Theologe die beiden getraut hatte und später in Afrika als Arzt wirkte.

Ich besuchte meine Großmutter als Teenager häufig in den Ferien. Nach dem Krieg wohnte sie in einer kleinen Wohnung im Dachgeschoss des Hauses meiner Tante in Heidelberg. Mein Großvater war in einem Sanatorium an Entkräftung gestorben – er hatte seit Kriegsende an Melancholie gelitten, wie man Depressionen damals nannte. 

In der Wohnung meiner Großmutter gab es ein Atelier, in dem sie ihre Staffelei und ihre Materialien hatte. An den Wänden hingen frühe Bilder von ihr, darunter einige Selbstporträts. Andere zeigten Verwandte oder Models aus der Malschule, an denen sie gelernt hatte, und Landschaften. Sie wies meine Schwester in Ölmalerei ein, ich hab’s auch versucht, aber nicht weit gebracht. 

Geschichten aus der Jugend meiner Großmutter hörte ich gern. Sie erzählte, dass sie als junges Mädchen mit einer Freundin auf den Monte Rosa gestiegen und fast in eine Gletscherspalte gefallen war, dass sie allein eine große Deutschlandreise und eine Reise nach England unternommen hatte. Mit langem Lodenrock über den Kniebundhosen und einem großen Skizzenbuch, in dem sie die Bergpanoramen zeichnete. Das habe ich heute noch! Wir nannten sie als Kinder „Raketen-Oma“, wegen ihres schnellen Schrittes, sie war immer geschäftig, hat uns später Kleider genäht und bei modischen Fragen beraten.

Worüber denkst du nach? Worüber denkt ihr jungen Frauen so nach?

Sie war auch eine herausragende Köchin. Es gab immer üppiges und sehr leckeres Essen – und viele Fragen: Wie läuft es in der Schule? – Worüber denkst du so nach? – Und worüber denkt ihr jungen Frauen gerade so nach?

Damals war schon klar, dass ich in Biologie und ganz allgemein in Naturwissenschaften begabt war. Aber ich war auch handwerklich geschickt, habe viel gebastelt, gezeichnet, genäht und gekocht. Das lag sicher auch an ihrem Einfluss und dem meiner Mutter, ihrer Tochter. In das damals gängige Bild von Mädchen und jungen Frauen passte ich nicht, das spürte ich. Meine Klassenkameradinnen interessierten sich für Petticoats und die neueste Mode aus Paris, für Filmstars und natürlich für Jungs. Meine Eltern bestanden darauf, dass ich an den üblichen Tanzstunden teilnahm, wenngleich ich mich dort gar nicht wohlfühlte. Wenn es darum ging, mit umschwärmten Tanzpartnern zu flirten, war ich sehr schüchtern. Das war nicht meine Welt.

Ich besuchte ein Mädchengymnasium, hatte sehr gute Lehrerinnen. Wann immer später darüber diskutiert wurde, ob Mädchen und Jungen in Naturwissenschaften getrennt unterrichtet werden sollten, erinnerte ich mich daran, dass ich mich in meiner Mädchenklasse in meiner Entwicklung sehr frei fühlte. Ob Jungen oder Mädchen in Naturwissenschaften besser seien, war dabei nie die Frage. 

Ich war übrigens keine durchweg gute Schülerin, auch nicht immer diszipliniert. Die Schulzeit hat eben nur begrenzte Aussagekraft für das spätere Leben. Ich hatte auch mal eine Vier in Latein oder in Englisch. Biologie interessierte mich eben am meisten, dafür ließ ich andere Fächer schleifen. Eine ähnliche Leidenschaft wie für Naturwissenschaft empfinde ich für Musik. Als junges Mädchen hatte ich Flötenunterricht und habe im Chor gesungen, auch hier war ich durchaus begabt. Meine Doktorandinnen und Doktoranden am Max-Planck-Institut erzählten später gerne davon, dass man mich, wenn ich morgens kam, schon im Treppenhaus singen hörte. Aber als mich meine Flötenlehrerin einmal fragte, ob ich später Musik oder Biologie studieren wolle, antwortete ich, ohne lange zu überlegen: Biologie! Das war für mich gar keine Frage.

Meine Mutter war Kindergärtnerin, sie lenkte mein Interesse mit Liebe und fand meine Neugier wunderbar. Meinen Forschergeist, wie meine Großmutter es nannte. Als es auf das Abitur zuging, bestärkte mich die Energie meiner Großmutter. Obwohl ich dazu sagen muss, dass sie mich nie besonders angefeuert hat, „etwas“ zu werden. Damals wurde nicht viel über Beruf geredet. Auch nicht mit den Eltern.

Kaum jemand sagte: Sucht euer eigenes Glück! Verwirklicht euch beruflich!

Wahrscheinlich meinten es die anderen Mädchen gut mit mir, wenn sie mir immer wieder von Alain Delon erzählten. Viele von ihnen träumten davon, nach dem Ende der Schulzeit bald zu heiraten und Kinder zu bekommen. Sie waren genauso intelligent wie die Jungen und Männer, die sich in unserem Umfeld bewegten. Aber kaum jemand sagte diesen jungen Frauen: Sucht euer eigenes Glück! Verwirklicht euch beruflich!

Es gab wenige Frauen, die wie ich als Biologinnen oder Biochemikerinnen ihren Weg suchten. Und für diejenigen, die das taten, gab es wenig Respekt. Sei es von Seiten der männlichen Kollegen oder der Gesellschaft. Das kam erst mit der Zeit. Mich beeinträchtigte das nicht in meinem Selbstverständnis. Ich fand meine Arbeit immer spannend, das stand im Zentrum. Auch nachdem ich geheiratet hatte. Die Ehe hielt leider nicht: Mein Mann und ich trennten uns, als ich 32 Jahre alt war. Ich hatte damals mehr beruflichen Erfolg als mein Mann, und daraus entstand ein Konflikt, für den wir keine Lösung fanden.

Man muss als Frau einen Partner finden, der einem intellektuell ebenbürtig ist und gefestigt in seinem Selbstbewusstsein. Wann immer ich heute einen Mann sehe, der einen Kinderwagen schiebt und offensichtlich Zufriedenheit und Erfüllung daraus gewinnt, sein Kind zum Spielplatz – und durchs Leben – zu begleiten, freue ich mich. Denn wie oft habe ich am Max-Planck-Institut in Tübingen mit Kollegen zusammengearbeitet – und wohlgemerkt waren nicht wenige von ihnen zwanzig Jahre jünger als ich –, deren Frauen sich in Vollzeit um Kinder und Haushalt kümmerten und ihren Männern vor Dienstreisen die Koffer packten.

Ich habe eine Stiftung gegründet, die junge Wissenschaftlerinnen unterstützt, damit sie sich eine Haushaltshilfe leisten und so auf ihre Forschung konzentrieren können. Wichtig ist das in meinen Augen auch, weil Frauen, die Ehrgeiz haben, nicht zögern sollen, Kinder zu bekommen. Wer Karriere machen will, sollte nicht ausschließen müssen, eine Familie zu haben. Und umgekehrt. Und warum sollten Frauen nicht die Möglichkeit haben, ihrem beruflichen Interesse so weit zu folgen wie Männer?

Meine Großmutter setzte ihre Grenzen in der für sie typischen Weise selbst. Sie hat in ihrem Leben nicht ein einziges Bild verkauft. Das gehörte sich nicht für sie. Ich habe viele aus ihrem Nachlass an der Wand hängen und bewundere sie täglich neu.

Der Text ist dem Buch entnommen: „Die Frauen meines Lebens. Frauen erzählen von ihren Heldinnen, Vorbildern und Wegbegleiterinnen“, herausgegeben von Anne Ameri-Siemens (Rowohlt Berlin).

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Viele Geschlechter? Das ist Unfug!

Christiane Nüsslein Volhard, Biologin und Nobelpreisträgerin. - Foto: Marijan Murat/picture alliance
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Frau Prof. Nüsslein-Volhard, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, behauptet: Der Ansicht zu sein, dass es zwei Geschlechter gebe, sei unwissenschaftlich. Es gebe viele Geschlechter.
Das ist unwissenschaftlich! Da hat Herr Lehmann vielleicht den Grundkurs in Biologie verpasst.

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Dann holen wir den hier doch mal nach.
Ach herrje. Also gut: Bei allen Säugetieren gibt es zwei Geschlechter, und der Mensch ist ein Säugetier. Da gibt es das eine Geschlecht, das die Eier produziert, zwei X-Chromosomen hat. Das nennt man weiblich. Und es gibt das andere, das die Spermien produziert, ein X- und ein Y-Chromosom hat. Das nennt man männlich. Und wenn sich ein Ei mit einem Spermium vereinigt, entsteht ein neues Wesen. 

Es werden immer gern Beispiele aus der Tierwelt angebracht, die die Existenz vieler Geschlechter belegen sollen. Was ist also zum Beispiel mit Schnecken?
Das sind Hermaphroditen. Die haben beides: Spermien und Eizellen. Sie können sich also selbst befruchten. Meist paaren sie sich aber doch mit einer anderen Schnecke. Denn bei der Paarung mit sich selbst sind die Nachkommen absolut erbgleich. Wenn aber zwei verschiedene Organismen ihr Erbgut mischen, hat man eine größere Variationsbreite und dadurch sind die Nachkommen in der Regel lebensfähiger. Deshalb hat es sich dieses Prinzip in der Natur durchgesetzt. Dass es Hermaphroditen gibt, ändert aber nichts daran, dass es diese beiden Keimzellen gibt, Eier und Spermien, und damit auch zwei Geschlechter.

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Das Bundesverfassungsgericht hat aber 2017 entschieden, dass es neben „weiblich“ und „männlich“ den dritten Geschlechtseintrag „divers“ für intersexuelle Menschen geben soll.
Intersexualität entsteht durch sehr seltene Abweichungen, zum Beispiel beim Chromosomensatz. Aber auch intersexuelle Menschen haben die Merkmale beider Geschlechter, sie sind kein drittes Geschlecht.

Aber es gibt innerhalb eines biologischen Geschlechtes eine große Bandbreite.
Natürlich. Es gibt sehr „feminine“ Männer und sehr „maskuline“ Frauen, was nicht nur mit kulturellen Faktoren, sondern unter anderem auch mit unterschiedlichen Hormonleveln zu tun hat. Da gibt es ein Riesenspektrum. Das ist ja gerade das Spannende.

Die aktuell politisch korrekte Formulierung lautet allerdings nicht, dass ein biologischer Mann sich „als Frau fühlt“ und dass Gesellschaft und Gesetzgeber ihm die Möglichkeit geben sollten, in seinem Wunschgeschlecht zu leben. Sondern: Dieser Mensch ist gar kein Mann, sondern er ist eigentlich eine Frau.
Das ist Quatsch! Es ist Wunschdenken. Es gibt Menschen, die wollen ihr Geschlecht ändern, aber das können sie gar nicht. Sie bleiben weiterhin XY oder XX. Das Entscheidende dabei ist, dass die Tatsache, ob man ein Y-Chromosom hat, schon in der Schwangerschaft auf die Entwicklung des Embryos wirkt und natürlich auch beim Heranwachsenden. Jungen haben deshalb andere Geschlechtsmerkmale als Mädchen und das kann man nicht rückgängig machen. Menschen behalten lebenslang ihre Geschlechtszugehörigkeit. Natürlich kann man durch Hormongaben erreichen, dass zum Beispiel ein Mädchen, das Testosteron nimmt, eine tiefe Stimme und Bartwuchs bekommt. Aber davon wachsen dem Mädchen keine Hoden und es wird keine Spermien produzieren. Und biologische Männer produzieren auch durch Hormongaben keine Eier und können keine Kinder gebären. Das Problem dabei entsteht, wenn es zu irreversiblen Eingriffen kommt. Bei den Operationen sowieso. Aber man fügt auch mit den Hormonen dem Körper etwas zu, was dort nicht vorgesehen ist. Hormone verursachen im Körper sehr, sehr viel – auf den verschiedensten Ebenen, physisch wie psychisch. Das ordentlich zu dosieren und ständig zu nehmen, halte ich für außerordentlich gewagt. Der Körper kann auf Dauer nicht gut damit umgehen. Jedes Hormon, das man zu sich nimmt, hat Nebenwirkungen. Hormone zu nehmen, ist prinzipiell gefährlich.

Künftig sollen Jugendliche ab 14 ihr Geschlecht selbst bestimmen können.
Das ist Wahnsinn! Mit 14 sind ganz viele Mädchen in der Pubertät unglücklich. Ich kenne das ja selbst. Ich war mit 14 auch unglücklich und wollte lieber ein Junge sein. Ich durfte damals noch nicht mal Hosen anziehen oder mir die Haare abschneiden. Ich habe mich oft verflucht und dachte: Ich wäre lieber ein Mann! Denn wenn man so einen Beruf machen will, in dem Männer dominieren, dann ist man natürlich besser dran, wenn man auch einer ist. Aber dann muss man einen Weg finden, wie man sich durchsetzt. Das ist es doch, was man den Mädchen raten und wobei man sie unterstützen muss.

Finden Sie denn richtig, dass der Gesetzgeber Menschen eine sogenannte Geschlechtsumwandlung ermöglicht?
Der Gesetzgeber kann gar keine Geschlechtsumwandlung ermöglichen. Er sagt nur: Diese Frau darf ab jetzt behaupten, sie sei ein Mann. Und umgekehrt. Die biologischen Grundlagen sind absolut nicht zu ändern. Und wenn jetzt ein Mann behauptet, er sei eine Frau und geht in einen Sportverein, um dort bei den Frauen mitzuspielen, dann ist das ein Problem. Denn aufgrund seiner männlichen Hormone ist dieser Mensch stärker und läuft schneller. Es ist im Grunde wie Doping. Und wenn man das dann noch nicht mal sagen darf – das geht doch nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Urteile zur Trans- bzw. Intersexualität gefällt, in denen es um den Geschlechtsbegriff geht. Im Urteil von 2017 heißt es: „In den medizinischen und psychosozialen Wissenschaften besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich das Geschlecht nicht allein nach genetisch-anatomisch-chromosomalen Merkmalen bestimmen oder gar herstellen lässt, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt wird.“ Was sagt die Biologin und Nobelpreisträgerin dazu?
Das ist Unfug. Wie man sich fühlt, das lässt sich durch soziale und psychologische Umstände ändern. Das biologische Geschlecht aber eben nicht. Das ist dort, wo wirklich Wissenschaft betrieben wird, auch völlig unstrittig.

Diese Formulierung stammt immerhin von der Bundesärztekammer.
Auch ihr geht offenbar etwas durcheinander: die Unterscheidung zwischen Sex und Gender. Natürlich gibt es beim Gender, dem sozialen Geschlecht, eine Bandbreite, während es beim biologischen Geschlecht nur weiblich oder männlich gibt. Aus. Ende. Natürlich kann sich ein Mädchen wünschen, dass man es mit einem Jungennamen ruft. Das gab es ja schon bei „George“ bei den „Fünf Freunden“.

Als die Biologie-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität in der „Nacht der Wissenschaften“ einen Vortrag zur Zweigeschlechtlichkeit halten wollte, gab es Proteste. Die Uni sagte den Vortrag ab.
Wollen die jetzt etwa auch den Biologie-Unterricht abschaffen? Wollen wir gar nicht mehr wissen, wer wir sind und wie das Geschlecht bestimmt wird? Soll das jetzt niemand mehr lernen, weil das pfui ist? Ich erinnere mich allerdings, dass es schon Ende der 1980er Jahre Hetzkampagnen gegen den Forscher gab, der das geschlechtsbestimmende Gen auf dem Y-Chromosom entdeckt hatte. Man unterstellte ihm offenbar, er würde nur deshalb, weil er das Gen entdeckt hatte, das die Testosteronproduktion anregt, irgendwas Furchtbares mit der Menschheit anstellen. Das war völlig verrückt, ich war entsetzt! Aber da sieht man, dass die Leute keine Ahnung von Biologie haben. Der Mangel an Bildung auf diesem Gebiet ist ganz schlimm.

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Haben Sie diese Art Fakten- und Wissenschaftsfeindlichkeit auch selbst schon erlebt?
Natürlich. Allein, wenn man an Embryonen forscht, ist man schon ein Bösewicht, weil einem jeder sofort unterstellt, dass man nichts anderes vorhat, als die Embryonen zu manipulieren. Ich musste nur den Mund aufmachen und sagen, dass ich an Embryonen forsche – auch wenn es nur Fliegen-Embryonen waren –, schon wurde ich angefeindet! Die Wissenschaftsfeindlichkeit in Deutschland ist leider ganz besonders ausgeprägt. Es hat sich durch Corona womöglich ein bisschen gebessert. Da haben viele Menschen gesehen, dass man auf die Wissenschaft hören sollte. Und dass es ungünstig sein kann zu behaupten, das Virus gäbe es gar nicht, nur, weil man das nicht will.

Inzwischen sind wir an einem neuen Punkt. Jetzt heißt es nicht mehr: Welche Art von Wissenschaft dürfen wir betreiben? Sondern: Magisches Denken sticht wissenschaftliche Erkenntnisse.
Es geht grundsätzlich nicht, einen Vortrag zu verbieten, weil man der Ansicht ist, dass daran womöglich etwas nicht stimmt. In diesem Fall wollte die Doktorandin allerdings etwas erklären, was in jedem Schulbuch steht. Diese Mischung aus Befindlichkeit und moralischer Überheblichkeit gepaart mit Unwissenheit ist einfach fatal.

Das Leugnen biologischer Fakten geht erstaunlich weit. Kürzlich wurde aus der transaktivistischen Szene gefordert, man solle weibliche Genitalverstümmelung nicht mehr so bezeichnen. Grund: Die Vulva sei nicht per se ein weibliches Körperteil.
Natürlich ist die Vulva ein weibliches Geschlechtsorgan! Muss man diese Menschen ernst nehmen?

Offensichtlich.
Dass Transsexuelle nicht diskriminiert werden sollen, ist ja völlig klar. Wenn Menschen schlecht behandelt werden, ist das schlecht. Aber sie können doch ihre Vorstellungen nicht allen Menschen als Tatsachen aufdrücken.

Das Interview führte Chantal Louis. -

Das Interview auf Französisch.
Das Interview auf Englisch.

 

 

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