Bittersüße Mischung

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Heike Faller sinniert Einer nach, die im Leben eher unauffällig, in der Arbeit aber unübersehbar ist. Und die sich für Frauen engagiert.

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Als Nina Hoss den Silbernen Bären als beste Schauspielerin der Berlinale erhielt, sah sie so aus, als habe sie wirklich, wirklich nicht damit gerechnet. Manche meinen sich zu erinnern, dass sie in Shorts auf die Bühne gekommen sei (in Wirklichkeit war es wohl eher ein lässiger Rock). Dort wirkte sie dann ehrlich überrumpelt und sagte am Ende ihrer Dankesrede: "Aber, interessieren würde es mich schon, warum ich diesen Preis erhalten habe."
Das klingt kokett, aber man kann ihr die Überraschung schon glauben: Alle hatten mit Marianne Faithfull als Siegerin gerechnet, auch weil in den beiden Jahren zuvor bereits junge deutsche Schauspielerinnen (Julia Jentsch und Sandra Hüller) den Darstellerpreis gewonnen hatten. Eine dritte in Folge?
Es gehört zu den Berlinale-Ritualen, dass die Jury ihre Entscheidungen nicht begründet. Wahrscheinlich war man um Nina Hoss einfach nicht herum gekommen.
Am nächsten Tag lieferten die Zeitungen die Begründungen nach. Gelobt wurde ihr subtiles Spiel in 'Yella', wie sie den Schmerz einer arbeitslosen Brandenburgerin, die versucht sich in der gnadenlosen Welt des Heuschreckenkapitalismus zu behaupten, nicht etwa in ihr Weinen legt, sondern in ihr Lachen, in ihre Gesten, ihren Gang.
Seit 1998 gehört Nina Hoss zum Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin. Stücke wie Emilia Galotti oder im letzten Jahr die Medea wurden dank ihr zu Publikumsrennern, für die Zuschauer von weit her anreisten, wie sonst nur zu einem Musical. Gerade hat sie für ihre Leistungen im Theater auch den Eysoldt-Ring bekommen, auch dies wiederum die wichtigste Auszeichnung dieses Fachs.
Die meisten Zuschauer hatte sie wahrscheinlich in ihrer ersten großen Filmrolle, 1996, wo sie in einer Eichinger-Produktion die ermordete Frankfurter Society-Prostituierte Rosemarie Nitribitt spielte. Sie schaffte es, dieser Figur eine Verletzlichkeit und einen wütenden Trotz zu geben, diese bittersüße Mischung auszudrücken, die bereits der Name evoziert. Die Nitribitt. Ob sie nun eher als Opfer der Industriellen zu sehen sei, die sich ihrer bedienten, oder als Provokateurin, Erpresserin, als frühes Material Girl, diese Frage ließ Nina Hoss offen. Sie war 21 Jahre alt und bekam dafür die Goldene Kamera als beste Nachwuchsdarstellerin. Dann hörte man lange nichts. Sie ging erstmal wieder auf ihre Schauspielschule. Sprecherziehung, Theater, das Handwerkliche eben.
Erst Jahre später tauchte sie wieder auf, zunächst in kleineren Filmen wie 'Wolfsburg' oder 'Toter Mann' von Andreas Petzold und eben im Theater.
Sonst hörte man wenig von ihr. Toll an Nina Hoss ist nämlich auch, dass sie, im Gegensatz zu anderen hochbegabten Kollegen und Kolleginnen, nicht zu Verhaltensauffälligkeiten neigt. Sie sagt, sie lebe mit ihrem Freund, einem Musikproduzenten, ein eher stilles Leben in Berlin. Sie hat nie in Pornos mitgespielt; es gibt keine Drogengerüchte; sie hatte nicht mal was mit Bernd Eichinger, sie adoptiert auch keine Kinder. Politisch engagieren will sie sich vielleicht in späteren Jahren, allerdings setzt sie sich seit ihrer Rolle in 'Die Weiße Massai' für Terre des Femmes ein.
Sie ist die zur Zeit höchstdekorierte deutsche Schauspielerin, Meisterin aller Klassen und dennoch möchte man sie weder als Star bezeichnen noch als scheue Künstlerin. Auch das ist angenehm. Berühmtheit hat in der letzten Zeit ein schlechtes Image bekommen. Was bis vor kurzem noch als höchste Form menschlichen Daseins galt, ist in den Zeiten von Britney Spears und Robbie Williams einfach nur noch misstrauens- und mitleidserregend. (Psychologen und Neurologen begleiten diesen Paradigmenwechsel theoretisch: nicht Berühmtheit mache verrückt, heißt es neuerdings, sondern die Narzissten und Endorphinunterversorgten müssten berühmt werden, weil sie es brauchten.)
Nina Hoss wirkt vor diesem Hintergrund wie eine neue, weiterentwickelte Form der Schauspielerin. Eine, bei der man nicht das Gefühl haben muss, sie habe ihr Talent genutzt, weil irgendwas mit ihrem Ego nicht stimmt, sondern sie sei halt berühmt geworden, weil sie sich immer mehr in die Feinheiten ihres Handwerks oder ihrer Rollen vertieft hat. Es passt zu ihr, dass sich ihr öffentlichen Auftritte, außerhalb ihres Berufes, sehr in Grenzen halten, seit kurzem erst engangiert sie sich bei Terre des Femmes gegen Genitalverstümmelungen.
Auf einer Pressekonferenz im März sagte Hoss: "Für mich ist die Genitalverstümmelung Folter, eines der schlimmsten Verbrechen, die im Namen der so genannten Ehre auf dieser Erde geschehen. Ich träume davon, dass es möglich sein wird, diese Form der Herrschaft über Frauen aufzugeben." (Sie weiß wovon sie spricht, für ihre Hauptrolle in dem Film 'Die weiße Massai' hatte sie wochenlang mit den Samburu in Nordkenia gelebt und den Beschneidungsakt selbst miterlebt.)
Man kann sich gut vorstellen, dass am Abendbrottisch der Familie Hoss eher kluge Gespräche geführt worden sind. Ihr Vater war Politiker (der Kommunist, Aktivist, Grünen-Mitbegründer Willi Hoss); ihre Mutter (Foto) ist die Schauspielerin Heidemarie Rohwedder, die lange Zeit die Intendantin der Württembergischen Landesbühne Esslingen war. Das ist weder eine kleinbürgerlicher Enge, aus der sich ein talentiertes Kind unter Verletzungen hätte befreien müssen, noch ein Künstlerhaushalt, in dem ein Kind keinen Halt fände. Nina Hoss hat sich in einem Interview selbst mal als "ziemlich unneurotisch" bezeichnet. Das glaubt man ihr sofort. Was auch irgendwie dazu passt: Nina Hoss ist in Stuttgart aufgewachsen.
EMMA 3/2007

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Alpha-Mädchen (6/2008)

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