Ommas Glück

Omma Edeltraut und Enkelin Chantal anno 2014 in der Wanne-Eickeler Demenz-WG. - © Anne Siegel
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Meine Großmutter Edeltraut Karczewski gehört einer Generation an, für die das Wort Wohngemeinschaft anrüchig klingt. Als ich vor einigen Jahren gemeinsam mit einer Freundin und drei Freunden ein Haus besichtigte, in das wir als WG einziehen wollten, führte uns die Hausbesitzerin, eine ältere Dame, durch die Räume und erklärte uns freundlich alles, was wir wissen wollten. Dann hatte auch sie Klärungsbedarf. „Darf ich Sie mal etwas fragen?“ – „Natürlich“, antwortete ich und lächelte unserer potenziellen Vermieterin aufmunternd zu. „Machen Sie eigentlich Gruppensex?“ Ich schluckte kurz, versuchte, Haltung zu bewahren, und erklärte, weiterhin verbindlich lächelnd: „Nein, da kann ich Sie beruhigen, das machen wir nicht.“ „Na, das muss ich gleich meiner Bekannten erzählen. Die hat mich nämlich gewarnt: Hol dir keine Wohngemeinschaft ins Haus, die machen Gruppensex!“ So viel zum Imageproblem von Wohngemeinschaften bei der Generation 80 plus. Wenn man Omma erzählt hätte, dass sie eines Tages in einer WG leben würde, hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit Zeter und Mordio respektive Sodom und Gomorrha geschrien. Wir, meine Mutter und ich, konnten sie nicht mehr fragen. Wir haben es für sie entschieden. Und ich bin sicher, dass es eine gute Entscheidung war. Eigentlich sogar eine ausgesprochen gute.

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März 2014, WG-Wohnzimmer: „Guten Tag, die Damen! Hallo Omma!“ „Schätzchen! Schön, dat du mich besuchen kommss. Und du hass die Haare schön“, freut sich Omma und stellt mich, wie jedes Mal in den nun schon über zwei Jahren, die sie jetzt hier wohnt, den anderen vor. „Dat iss meine Enkelin“, erklärt sie, und es schwingt Stolz in ihrer Stimme mit. Früher konnte dieser Stolz bisweilen zu etwas peinlichen Situationen führen, wenn Omma wildfremden Menschen wie Bäckereiverkäuferinnen oder Pommesbudenbesitzern unaufgefordert erklärte, dass ich ihre Enkelin sei. Aus Köln. Und jetzt hier zu ­Besuch bei ihr, ihrer Omma. „Und sie ist Journalistin!“, verkündete sie mit triumphalem Strahlen und straffte ihren krummen Rücken. Die Angesprochenen sagten dann so etwas wie „Ah ja“ oder „Wie schön“.

„Wat?“, fragt jetzt Elvira. „Meine Enkelin!!“, sagt Omma, jetzt lauter und mit einem Hauch Ungeduld in der Stimme. Elvira blinkert mit verständnislosen Augen durch ihre Goldrandbrille. Ich probiere es auch noch mal, um Ommas wachsenden Unmut über so viel Begriffsstutzigkeit im Zaum zu halten. „Ich bin die Chantal, die Enkelin von der Edeltraut.“ „Ach so. Ja, dat hab ich schon spitz­gekricht.“ Es pfeift ein bisschen, wenn ­Elvira spricht, weil sie ihr Gebiss nicht mehr tragen möchte. „Deine Enkelin heißt Kathrin, nicht, Elvira?“ Aber Elviras Blick ist schon wieder ­abgedriftet. Sie antwortet nicht mehr.

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