PRO & CONTRA: 64-Jährige älteste

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Wenn Männer im fortgeschrittenen Alter noch Väter werden - wie Picasso oder Sky Dumont -, stört sich niemand daran. Im Gegenteil, oft klingt Bewunderung für die virilen Alten in den Kommentaren an. Dabei könnten die Argumente, die gegen Mütter im Großmutteralter bemüht werden, mit gleicher Berechtigung auf alte Väter angewandt werden. Auch ihnen verbleibt weniger Lebenszeit - und vermutlich sterben sie noch vor den alten Müttern.

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Natürlich kann man sagen: Eine alte Mutter will ich nicht. Aber Kinder wünschen sich auch keinen alten Vater, keinen Workaholic, keine Jetset-Mama, keine depressive Mutter, keine geschiedenen, keine lieblosen Eltern - man wünscht sich viele Dinge nicht. Sollte man deshalb gleich Gesetze erlassen, und den Eltern vorzuschreiben, wie (alt) sie bei Geburt ihres Kindes zu sein haben?

Hinter der rigorosen Ablehnung von später Mutterschaft steckt die biedermeierliche Sehnsucht nach der vermeintlich perfekten Familie. Das "richtige" Alter wird zum Statussymbol, zu einem Gut. Doch dass die klassische Familie mit Eltern zwischen 20 und 30 Jahren bei Geburt der lieben Kleinen wirklich die beste aller möglichen Konstellationen auf Erden ist, muss erst einmal eine(r) beweisen. Historisch betrachtet gab es bisher pragmatische Gründe für diese Familienordnung, aber die Zeiten haben sich geändert. Wir werden immer älter - im Durchschnitt erreicht eine Frau in Deutschland in zwanzig Jahren ein Alter von 85 Jahren. Und eine Frau, die heute mit 64 noch ein gesundes Kind gebären kann, wird vermutlich nicht zum statistischen Durchschnitt gehören, sondern eine besonders muntere Alte werden.

Es ist selbstverständlich, dass mit dem Älterwerden der Menschen in der westlichen Welt auch die Lebensentwürfe mitwachsen und Konventionen der Vergangenheit neu überdacht werden müssen.

Wie man aus der Sozialpsychologie weiß, ist die Beziehung zwischen Enkeln und Großeltern oft besser als die zwischen Kindern und Eltern. Der Altersabstand muss kein Hindernis für eine gute Beziehung sein, er könnte sie sogar befördern.

Jeansmamis, die die gleichen Hobbies haben wie sie selbst, sind nicht immer das, was Kinder sich wünschen. Ältere Menschen, die sich schon selbst verwirklichen konnten, sind oft eher bereit zurückzustecken, einem Kind ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. In der "Rushhour des Lebens", wie Sozialpsychologen die Spanne zwischen dem 25. und dem 40. Lebensjahr nennen, sind viele eher mit sich und ihrer Karriere beschäftigt. Für Kinder bleibt trotz aller guten Absichten, eine Supermami oder Supernanny zu sein, da oft nicht viel Zeit. Und wer einmal erlebt hat, wie konkurrenzhaft junge Mütter mit ihren Töchtern umgehen, wird zustimmen, dass doppelte Jugend kein Garant für eine vertrauens- und liebevolle Mutter-Tochter-Beziehung ist.

Wer biologistisch argumentiert und gegen späte Mutterschaft ist, weil sie medizinische Eingriffe mit einschließt, darf sich auch kein künstliches Hüftgelenk und keinen Herzschrittmacher einsetzen lassen. Und mit dem Flugzeug fliegen und im Netz herumsurfen dürften die Verteidiger der Zurück-in-die-Höhle-Ideologie auch nicht. Und überhaupt: Wer legt fest, wo die Grenzen sind? Was heißt überhaupt "natürlich" und "authentisch"? Wer meint hier, das Meinungsmonopol zu besitzen über Leben und Tod? Die absurdesten Schönheits-OPs sind erlaubt - ein Kind jenseits des mustergültigen Alters zu gebären nicht?

Der die Geburt assistierende Arzt der 64-Jährigen aus Aschaffenburg, die sich im Ausland eine Eizelle hatte einpflanzen lassen, wunderte sich: "Bei uns gibt es ein Paradox: Warum soll das Spenden von Samen erlaubt sein, das von Eizellen aber nicht?"

Außerdem: Eine sehr späte Mutterschaft ist in den meisten Fällen sicher eine Folge von vorangegangenem Leid: ungewollte Kinderlosigkeit, eine gescheiterte Beziehung etc. Aber sollte man einer Betroffenen nun Steine in den Weg legen und per Gesetz und Ethikkommission verbieten, ein Kind zur Welt zu bringen? Und wenn, wie sollte solch ein Gesetz aussehen? Bis 50 ist es erlaubt, zu gebären. Ab 50 verbietet Vater Staat den Frauen, ein Kind zur Welt zu bringen? Welche Strafe steht darauf? Gefängnis? Und was passiert mit den Kindern der "verbotenen" Mütter? Werden sie den Müttern weggenommen und in ein Heim gesteckt? Je konkreter wir uns solch ein Verbot ausmalen, desto deutlicher wird seine Inhumanität und Absurdität.

Die Autorin ist Schriftstellerin und veröffentlichte zuletzt "Der längste Tag des Jahres", Aufbau Verlag

 

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