Prostitution: Freier bestrafen!
Die eine ist schwarz, die andere weiß. Die eine ist Schwedin, die andere Deutsche. Die eine ist als Adoptivkind in einer Mittelklasse-Familie aufgewachsen, die andere floh vor ihrem gewalttätigen Stiefvater auf die Straße. Aber sie haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens: Merly Åsbogård und Huschke Mau waren beide viele Jahre in der Prostitution. Zweitens: Sie machen als Aktivistinnen mobil für das sogenannte „Nordische Modell“, also die Bekämpfung des Systems Prostitution, indem man die Freier bestraft und die Frauen beim Ausstieg unterstützt.
Jetzt sitzen beide Frauen gemeinsam auf dem Podium beim „Deutsch-Schwedischen Fachaustausch zum Thema Prostitution“. Zu dem hat Saskia Veit-Prang, die Wiesbadener Gleichstellungsbeauftragte, an diesem 22. Mai ins RheinMain Congress Center geladen. PolizistInnen und SozialarbeiterInnen sollen berichten, wie es läuft auf dem Prostitutionsmarkt in den beiden Ländern, die so unterschiedlich mit dem Handel mit der Ware Frau umgehen. Und eben die Frauen, die am besten wissen, was Prostitution mit Frauen macht. Frauen, die selbst drin waren.
Was muss passieren, damit Männer nicht zu Freiern werden? Auf diese Frage der Moderatorin hat Merly Åsbogård eine klare Antwort: „Wir müssen wütend sein!“ Wütend darüber, dass es immer noch Menschen gibt, die Prostitution „nicht als das sehen, was sie ist: eine Gewalttat“.
Die Frage ist: Was muss passieren, damit Männer nicht zu Freiern werden?
Für die 38-jährige Schwedin begann die Gewalt, als sie noch ein Kind war. Merly Åsbogård wurde in Kolumbien geboren und kam mit einem Jahr als Adoptivkind nach Schweden. In der Schule wurde das schwarze Mädchen gemobbt, mit 14 vergewaltigt und von einer älteren Frau, „die ich für eine Freundin hielt“, erpresst und auf den Strich geschickt. 16 Jahre blieb Merly in der Prostitution hängen. „Dann wurde ich von einem Taxifahrer vergewaltigt.“ Das war der Punkt, an dem sie endgültig nicht mehr konnte und zusammenbrach. „Ich habe nur noch auf dem Boden gelegen und geweint.“
Heute ist Merly Åsbogård Politikwissenschaftlerin und Aktivistin für das „Nordische Modell“, das Schweden als erstes Land der Welt 1999 eingeführt hat. Als erstes wird der Markt gestoppt, die Nachfrage: Freier werden als Täter betrachtet und entsprechend bestraft; Frauen (und Männer), die sich prostituieren, gelten als Opfer und bekommen Hilfe zum Ausstieg. Prostitution gilt als Verstoß gegen die Menschenwürde.
In Deutschland gelten Freier seit der fatalen rot-grünen Reform von 2002 als „Kunden“ und Bordellbetreiber als ganz normale Geschäftsleute. Daran, sagt Huschke Mau, habe auch das seit 2017 gültige „Prostituiertenschutzgesetz“ nichts geändert. Die Anmeldepflicht? Wirkungslos. „Das Personal auf dem Einwohnermeldeamt erkennt nicht, ob die Frau zur Prostitution gezwungen wird“, erklärt Mau. Und wenn ein Sachbearbeiter doch einmal Zweifel hat, „dann meldet der Zuhälter die Frau halt in der nächsten Stadt an“.
Und überhaupt, was heißt schon „Zwang“, was heißt schon „freiwillig“? Auch Huschke Mau selbst, die damals auf der Straße stand und heute als Geisteswissenschftlerin an ihrer Promotion arbeitet, hätte „damals von mir gesagt, dass ich mich ‚freiwillig‘ prostituiere. Wir gehen in Deutschland immer davon aus, das Zwang bedeutet: Da hält jemand der Frau eine Waffe an den Kopf. Es gibt aber auch andere Zwänge: Armut, Obachlosigkeit, emotionale Abhängigkeit, Traumatisierung. Die zählen bei uns in Deutschland aber nicht.“
Was heißt schon "Zwang"? Was heißt schon "freiwillig"?
Weil das so ist, stoßen Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, in Deutschland auf enorme Hürden. Huschke Mau hat die Initiative ELLA gegründet, in der sich Frauen vernetzen, die in der Prostitution waren, und solche, die noch drin stecken. Immer wieder berichten Frauen bei ELLA „von Stress und Ärger mit allen Behörden“, wenn sie den Ausstieg versuchen. Wie die Prostituierte, die von der Sachbearbeiterin auf dem Arbeitsamt beschieden wurde: „Sie haben doch einen Job! Wenn Sie den aufgeben, werden Sie erstmal für drei Monate gesperrt.“
„Der Ausstieg aus der Prostitution ist in Deutschland eigentlich nicht vorgesehen.“ Diese bedrückende Feststellung macht Astrid Fehrenbach, Leiterin der Beratungsstelle „Amalie“ in Mannheim. „Dabei ist der Wunsch der Frauen nach Ausstieg riesengroß. Aber unsere Frauen fallen durch sämtliche Maschen des Sozialsystems. Auch, weil Prostitution juristisch und gesellschaftlich akzeptiert ist“. „Unsere Frauen“, das sind zu über 80 Prozent Migrantinnen, die meisten aus Bulgarien und Rumänien. Und die fallen dann auch durch die Maschen des Gesundheitssystems.
„Der Gesundheitszustand der allermeisten Frauen ist katastrophal“, weiß Liane Bissinger, die als Gynäkologin viele Jahre im Hamburger Rotlichtmilieu gearbeitet hat und jetzt ehrenamtlich bei „Amalie“ hilft. Geschlechtskrankheiten sind nur ein Teil des Problems. Hinzu kommen Unterleibs-Entzündungen, Risse in Scheide und After, aber auch psychische Erkrankungen als Folge des täglichen Missbrauchs. Aber ein Land, in dem Prostitution als normaler Beruf gilt, hat für das Elend, das sich hunterttausendfach in Bordellen, Terminwohnungen oder auf dem Straßenstrich abspielt, erstens keinen Blick und zweitens keine Lösung. „Die Frauen haben keine Krankenversicherung und faktisch keinen Zugang zum Gesundheitssystem“, klagt Astrid Fehrenbach.
Das Angebot der Kommunen ist zufällig, die Versorgung ein Flickenteppich
"Amalie“ bietet alle zwei Wochen eine kostenlose Behandlung durch ehrenamtliche Gynäkologinnen an. „Die Versorgung wird von Spenden und humanitären Diensten geleistet. Das ist ein Riesenproblem, das man politisch lösen muss!“ Medizinerin Bissinger bestätigt: „Ob die Kommunen den Frauen etwas anbieten, ist Zufall und die Versorgung ein Flickenteppich.“ Sie ist überzeugt: „Ohne den schwedischen Ansatz werden wir wie Sisyphus immer wieder den Stein den Berg hinaufrollen.“
Was ihre drei Kolleginnen aus Schweden berichten, klingt da schon ganz anders. Hier haben Frauen in der Prostitution kostenlosen Zugang zum Gesundheitssystem, von Verhütung bis Behandlung, inklusive Traumatherapie. Malin Andersson, Sofie Lidbeck und Marie Johansson sind – im Gegensatz zu Ehrenamtlerin Liane Bissinger und Astrid Fehrenbach, deren Stelle über den Europäischen Sozialfonds finanziert wird – Angestellte des schwedischen Staates. Eines Staates, der Prostitution als Menschenrechtsverletzung betrachtet und entsprechend bekämpft.
Wie zum Beispiel die Telefon-Hotline für Jugendliche, die als Minderjährige in die Prostitution geraten sind. „Fast alle haben gemeinsam: Sie haben schon vorher sexuellen Missbrauch erlebt. Und sie haben das Gefühl, sie seien eigentlich nichts wert“, berichtet Malin Andersson.
Marie Johannsson arbeitet mit Freiern. Eine Stelle, die es in Deutschland nicht gibt. Warum auch? Freier sind hierzulande „Kunden“, die eine „Dienstleistung“ kaufen. In Schweden sind sie Täter, die Mädchen und Frauen sexuell missbrauchen. Weshalb diese Männer, berichtet Marie Johansson, ihr nicht nur von der Polizei zugewiesen werden, sondern sich manchmal auch selbst bei ihr melden und Hilfe suchen, um ihr frauenverachtendes Verhalten zu ändern. Das Beste allerdings, sagt Johansson, sei, „ganz früh schon bei den Jungen anzusetzen“. Die letzte Erhebung in Schweden ergab, dass noch jeder elfte schwedische Mann zu Prostituierten geht, davon allerdings 80 Prozent im Ausland. Zum Beispiel in Deutschland, das dank seiner in Europa einmalig liberalen Gesetze zum Zielland für Sextouristen geworden ist, wie einst Thailand.
In Schweden ist Freiertum ein soziales No-Go – und natürlich auch ein gesetzliches. „Von anderen Ländern wissen wir, dass 40 bis 50 Prozent der Männer Freier sind“, vergleicht Janna Davidson. Die Nationale Berichterstatterin der Schwedischen Polizei hat noch andere Zahlen parat. Die Zahl der mit Geldstrafe bestraften Freier steigt kontinuierlich: Von 94 im Jahr 1999, als die Freierbestrafung eingeführt wurde, auf 1.263 im Jahr 2022. Nicht, weil die Freier mehr werden, sondern weil man sie in der Illegalität immer effektiver aufspüren kann. Zum Vergleich: Das wäre in Relation zur Bevölkerung so, als ob Deutschland jährlich rund 11.000 Freier erwischen und bestrafen würde. Und es zeigt, dass der Vorwurf an Schweden, Freier und Prostituierte seien für Polizei und Sozialarbeit in der Illegalität nicht auffindbar, schlicht Unfug ist. Im Gegenteil.
Das bestätigen auch Louise Dammborg und Mikael Lins, beide tätig bei der Polizei Stockholm, Abteilung Menschenhandel. „Der Großteil der Kontakte spielt sich heute über das Internet ab.“ Das sei „an open source“, eine offene Quelle, auch für die Polizei. Man arbeite zusammen mit Sozialarbeiterinnen, die auf diesem Wege ja auch Zugang zu den Frauen bekommen. Und: „Für die Bestrafung des Freiers brauchen wir die Aussage der Frau nicht.“ Als Beweis reicht zum Beispiel ein Chatverlauf. „Das macht unser System so effizient.“
Solche Verhältnisse wünscht sich Kriminaloberrat Helmut Sporer auch für Deutschland. Der Augsburger Kommissar im Ruhestand hat über 20 Jahre lang im Rotlichtmilieu ermittelt und kritisiert das deutsche System scharf. „Die Trennung zwischen der legalen und angeblich sauberen Prostitution und dem illegalen Menschenhandel stimmt nicht“, erklärt Sporer. „Im Bereich der legalen Prostitution passieren die meisten Straftaten.“
Sprich: In den angeblich so gut kontrollierbaren Bordellen, dem sogenannten „Hellfeld“. Fast alle Fälle von Menschenhandel werden dort begangen, erklärt der deutsche Kommissar. Dabei liegt die Zahl der Verfahren wegen Menschenhandel hierzulande ohnehin konstant im niedrigen dreistelligen Bereich. Im Jahr 2021 waren es 291 Fälle. „Das ist bei 250.000 bis 300.000 Prostituierten in Deutschland nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Diese Zahl spiegelt die Ohnmacht des Staates wider!“ klagt der Polizist. Und so fordert Sporer, ganz wie die anderen deutschen TeilnehmerInnen, jetzt schwedische Verhältnisse: „Wir haben dringenden Handlungsbedarf, denn das System macht weiter! Und dieses System produziert täglich neue Opfer. Das dürfen wir nicht länger hinnehmen!“
CHANTAL LOUIS