Prostitution: Der unmoralische Staat
Skandal: Deutsche Arbeitsämter vermitteln Prostituierte und andere Arbeitslose an Bordelle. Das dringend revisionsbedürftige neue Prostitutionsgesetz macht das möglich.
Fall Nummer 1: Am 26. Juli 2006 bekommt die arbeitslose Thea S. von der Aachener ‚Arbeitsgemeinschaft‘ (Arge, einem Zusammenschluss von Arbeitsagentur und Stadt) einen „Vermittlungsvorschlag“ in den Briefkasten. Die 40-Jährige soll sich „umgehend“ bei einer „Medienagentur im erotischen Bereich“ bewerben. Thea S. ist schockiert. Doch weil die zweifache alleinerziehende Mutter befürchtet, ihr könne das Arbeitslosengeld gestrichen werden, meldet sie sich dennoch bei der „Agentur“. Dort erklärt man der gelernten Kosmetikerin ihre Aufgabe: Sie soll in den Rotlichtmilieus von Aachen, Düsseldorf und Köln Prostituierte für die interaktive Internetplattform akquirieren. Dabei, so der Agentur-Chef, sei selbstverständlich auch ihr „persönlicher und körperlicher Einsatz erforderlich“. Thea S. lehnt das Angebot entsetzt ab. Und informiert die örtliche Presse.
Die Arge reagiert auf die Anfrage der Lokalpresse zunächst gelassen. Es habe schließlich Priorität, „eine Mutter von zwei Kindern aus dem Arbeitslosengeld II herauszuführen“, argumentiert Arge-Geschäftsführer Marcel Raschke. Und da sei der „Erotikbereich“ eben ein „wachsender Sektor, den die Arbeitsagenturen nicht so einfach ignorieren können“. Erst als auch die überregionale Presse berichtet und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, deren Wahlkreis Aachen ist, persönlich eine Entschuldigung fordert, ändert sich der Ton. Arge-Geschäftsführer Raschke entschuldigt sich nun und spricht von einem „fatalen Fehler“. Dem zuständigen Arbeitsvermittler habe es „an Sensibilität gemangelt“.
Dabei kann der Mann, dem jetzt „interne Konsequenzen“ drohen, eigentlich gar nichts dafür. Er hat sich an geltendes Recht gehalten. Das lautet: „Es sind alle Arbeiten zumutbar, die nicht sittenwidrig sind“, so Walter Marquis, Sprecher der Arbeitsagentur NRW. Und Prostitution ist nun einmal seit der Reform des Prostitutionsgesetzes ab 1. Januar 2002 nicht mehr sittenwidrig, sondern qua Gesetz „ein Beruf wie jeder andere“ und die so genannte „Förderung der Prostitution“ ist nicht mehr strafbar.
Doch nach den Buchstaben des Gesetzes wäre das unmoralische Angebot von Vater Staat an Thea S. rechtens gewesen. Dass arbeitslose Frauen (und theoretisch auch Männer) dennoch nicht an den Arbeitsplatz Bordell vermittelt werden sollen, ist lediglich einem internen Erlass der Bundesagentur für Arbeit zu verdanken (EMMA 3/05). Aber der ist nicht Gesetz, sondern lediglich eine das Gesetz einschränkende Ermessensentscheidung, die jederzeit wieder rückgängig gemacht werden kann. Nur so lange gilt: In die Prostitution darf niemand, der das nicht will, vermittelt werden.
Aber schon jetzt sind trotz einschränkendem Erlass Vemittlungen in den „Grenzbereich“ der Prostitution rechtens. Warum also nicht eine Tänzerin zum Table-Dance vermitteln? Warum nicht eine Kellnerin zum Servieren in den Puff? Oder einen Webmaster an eine „erotische“ Internet-Plattform? „Für diese Bereiche ist eine Abgrenzung schwieriger“, erklärt die Bundesagentur für Arbeit auf Nachfrage von EMMA. „Das muss jeder Arbeitsberater selbst entscheiden.“
In der Tat wird in Zeiten der Salonfähigkeit der Prostitution die Abgrenzung zwischen „Animation“ und „Prostitution“ immer schwieriger, denn sie existiert in der Realität oft nicht. Und warum sollte ein Arbeitsberater das kritisch sehen, wenn der Gesetzgeber nicht nur keine Probleme damit hat, sondern es als seine Aufgabe betrachtet, Bordellbetreibern von Staats wegen frische Ware zuzuführen? Denn: Bordellbesitzern werden heutzutage von der Arbeitsagentur problemlos Prostituierte vermittelt. Auf Staatskosten. Prostitutionsgesetz sei Dank.
Fall Nummer 2: Vor dem Amtsgericht Bad Iburg läuft der Scheidungsprozess von Marzena W.. Sie klagt auf Unterhalt. Während der Ehe hatte ihr Ehemann der Hausfrau nie eigenes Geld gegeben, sondern sie bei Einkäufen stets begleitet und bezahlt. Ab 2003 verschwand der Mann regelmäßig für ein bis zwei Wochen, Marzena W. stand ohne Geld da. Sie prostituierte sich. Das wird ihr nun im Prozess zum Verhängnis. Das Amtsgericht erklärt: „Der Beklagte hat glaubhaft gemacht, dass die Klägerin vor und während der Ehe der Prostitution nachgegangen ist.“ Fazit: „Die Klägerin hat somit einen Bedarf nicht glaubhaft gemacht.“
Mit anderen Worten: Marzena W. hat keinen Anspruch auf Unterhalt. Sie soll sich doch einfach weiter prostituieren. „Der Richter berief sich darauf, dass Prostitution schließlich nicht mehr sittenwidrig sei“, berichtet Marzena W.s Anwältin Immaculada Cabello Marfil. „Schließlich fördere die Bundesagentur für Arbeit auch die Gründung einer Ich-AG für Prostituierte.“ Womit der Richter Recht hat.
Das Gesetz ist die Grundlage für solch skandalöse Vorgehensweisen der Arbeitsämter und Gerichte. Denn es hat nicht nur einen stärkeren Schutz für die in der Prostitution tätigen Frauen eingeführt (was begrüßenswert ist), sondern es hat auch die Bestrafung für die „Förderung der Prostitution“ und die „Sittenwidrigkeit“ des Gewerbes abgeschafft. Die Initiative zur überfälligen Evaluation des Gesetzes – und damit zu seiner Reform – liegt jetzt bei Frauenministerin Ursula von der Leyen.
EMMA September/Oktober 2006
In EMMA u.a. zum Thema: Gesetz nutzt Zuhältern (4/06), Arbeitsamt vermittelt Prostituierte! (3/05)