Wie hältst du’s mit der Prostitution?

Die drei Kanzlerkandidaten aus NRW: Wie stehen sie zur Prostitution? - Foto: imago images/IPON
Artikel teilen

In Köln hat gerade das „größte Laufhaus Europas“, das Pascha, Bankrott gemacht. Es meldete coronabedingt zum zweiten Mal Insolvenz an, diesmal ja vielleicht sogar endgültig. Das begrüßen nicht nur diejenigen, die seit Langem gegen die in Deutschland so selbstverständliche Salonfähigkeit der Prostitution und die Ignoranz der Hundertausende Frauen in Not kämpfen, sondern zunehmend auch Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen, Frauen wie Männer. Sie wollen endlich Schluss machen mit der falschen Toleranz, die Deutschland zum „Bordell Europas“ und zum Einreiseland für Sextouristen gemacht hat.

Anzeige

Schon 2014 saßen in NRW am "Runden Tisch Prostitution" Bordellbetreiber und Freier

In Düsseldorf jedoch scheint man das anders zu sehen. Das Laschet-Land hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder besonders hervorgetan mit seinem ganz besonderen Verständnis für die „Sexindustrie“. So hatte 2014 ein von der rot-grünen Landesregierung anberaumter „Runder Tisch Prostitution NRW“ in seinem „Abschlussbericht“ erklärt: Prostitution trage „ebenso wie die unsichtbare Hausarbeit zum Funktionieren der Gesellschaft bei“. Zuhälterei, Frauenhandel? „Die beklagten Phänomene erwachsen erst aus Tabuisierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung von Sexarbeit.“ Die Lösung? Eine „Professionalisierung“ der „Sexarbeit“.

Das verwundert nicht in Anbetracht der Tatsache, dass vor sieben Jahren am „Runden Tisch NRW“ auch Bordellbetreiber und Freier Platz nehmen durften. Doch wer nun gehofft hatte, dass die Kumpanei mit der Pro-Prostitutionslobby unter der schwarz-gelben Landesregierung aufhören würde, sieht sich getäuscht. Zum 14. Januar beraumt NRW eine „Expertenanhörung“ ein. Anlass: Dem Landtag liegt ein Antrag der Regierungsfraktionen CDU und FDP vor. Die Abgeordneten mögen ein klares „Nein! Zum Sexkaufverbot des Nordischen Modells“ beschließen.

"Freiwillige Sexarbeiterinnen" demonstrieren vor dem Kölner Dom.
Die Pro-Prostitutionslobby demonstriert im Juli 2020 vor dem Kölner Dom für die Öffnung der Bordelle trotz Corona. An vorderster Front: Johanna Weber vom BESD (2.v.l.) und Stephanie Klee vom BSD (re)

Ein Nein? Im Bundestag sind PolitikerInnen zunehmend vom „Ja! Zum Sexkaufverbot“ überzeugt. Dabei werden Freier bestraft, um die Nachfrage nach der Ware Frau einzudämmen; die Frauen (und Männer und Transvestiten)  in der Prostitution hingegen werden entkriminalisiert und offensiv beim Ausstieg unterstützt. In sechs europäischen Ländern wie Schweden, Frankreich oder Irland ist die Freierbestrafung schon Gesetz, auch Kanada und Israel sind diesen Weg gegangen.

Im Frühjahr 2020 hatten 16 Bundestagsabgeordnete von Union und SPD in einem Offenen Brief das sogenannte „Nordische Modell“ gefordert. Denn: Die Zustände in der Prostitution seien „für die Mehrzahl der Frauen menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich“. Kurz darauf hatte sich auch die CDU-Frauenunion, in der alle weiblichen Parteiangehörigen Mitglied sind, angeschlossen.

Nun machte die in NRW so gern gehörte Pro-Prostitutionslobby mobil – und stößt auf offene Ohren. Allen voran bei der CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel aus Düsseldorf. Sie stellt sich damit offensiv gegen den Beschluss der CDU-Frauenunion. Die Katholikin und Mutter von fünf Kindern argumentiert, sie möchte „nicht zu denen gehören, die erwachsenen Leuten sagen, was sie zu tun und zu lassen haben“.

Während spätestens seit Corona immer mehr PolitikerInnen begreifen, dass das - von Pantel mitverhandelte – sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ von 2017 nicht funktioniert, dass trotz Anmeldepflicht 90 Prozent der Frauen unangemeldet sind und ohne Krankenversicherung in den Bordellen leben, erklärt Pantel: Sie wolle sich das Prostituiertenschutzgesetz „nicht von ein paar Moralaposteln kaputtmachen lassen“.

Warum schäkert Christdemokratin Pantel im Bundestag mit Bordellbetreiberin Schirow?

Sylvia Pantel ist ein besonders interessanter Fall. Noch 2014 machte sie darauf aufmerksam, dass maximal zehn Prozent der Prostituierten „freiwillig und selbstbestimmt“ arbeiteten und forderte die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten. Ein Jahr später schäkert die Politikerin mit der Bordellbetreiberin und bekanntesten Propagandistin der Pro-Prostitutionslobby, Felicitas Schirow, auf dem Balkon des Bundestages. Was ist in diesem Jahr passiert? Woher der Sinneswandel?

Fakt jedenfalls ist: Im Juli 2020 stellte sich die NRW-Frauenunion, deren stellvertretende Vorsitzende Pantel ist, als einziger Landesverband gegen den Beschluss der Bundes-Frauenunion. Im September folgte schließlich der „Antrag“ der CDU und FDP-Fraktionen gegen das „Nordische Modell“. Die Beschlussvorlage wimmelt von Klischees, längst entlarvten Prostitutions-Mythen und abenteuerlichen Falschbehauptungen über die Verhältnisse in Schweden. Es sind weitgehend wortgetreu jene „Argumente“, die die Pro-Prostitutionslobby verbreitet.

Ex-Bordellbetreiberin Felicitas Schirow 2015 zu Besuch bei Sylvia Pantel in Berlin.
Bordellbetreiberin Schirow 2015 zu Besuch bei Christdemokratin Pantel in Berlin. - Foto: Rolf Kremming/imago images

Diese „Argumente“ führt nun leider sogar die NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) ins Feld: Das „Prostitutionsverbot nach schwedischem Vorbild verschlechtert die Situation, zwingt die Frauen wieder komplett in das Dunkelfeld“, erklärte die Ministerin und Vorsitzende der NRW-Frauenunion. Sie setzt auf ihre Kampagne EXIT.NRW, die sich auf Plakate und eine Website beschränkt, bisher ohne Folgen.

Das „Hellfeld“ in NRW sieht so aus: 3.450 Opfer von Frauenhandel haben sich von Januar 2017 bis September 2020 an eine der acht Beratungsstellen des Landes gewandt. Die Zahl der Strafverfahren: 203. Das heißt: Nur jeder 17. angezeigte Fall von Zuhälterei und Frauenhandel landet bei der Staatsanwaltschaft, die Verurteilungsquote ist noch geringer. Und hier sprechen wir nur von den Frauen, die den Weg in eine Beratungsstelle gewagt haben. Sehr oft ist der von einem gewalttätigen Zuhälter oder einer skrupellosen Familie versperrt. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass viele Frauen kein Deutsch können oder gar Analphabetinnen sind.

2020 werden im NRW-Landtag schon wieder Bordellbetreiber als "Experten" gehört

Auch NRW-Ministerin Scharrenbach weiß nur zu gut, dass das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 „nicht dazu beigetragen hat, einen einzigen Fall ‚moderner Sklaverei‘ in dem Gewerbe zu verhindern oder aufzudecken“. Schade also, dass die Ministerin am 14. Januar bei der „Expertenanhörung“ keinem schwedischen Polizisten oder einer französischen Sozialarbeiterin zuhören kann, die konkret berichten, wie das „Sexkaufverbot“ in ihrem Land funktioniert – die sind nicht eingeladen. Neun von zehn „Experten“, die der NRW-Gleichstellungsausschuss am 14. Januar anhören wird, sind erklärtermaßen gegen das „Nordische Modell“.

Als „Experten“ sind u.a. geladen: der Bordellbetreiber-Verband „Unternehmerverband Erotikgewerbe Deutschland“ (UEGD) und der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BESD), in dem ebenfalls zahlreiche Bordell-Betreiberinnen organisiert sind. Aus Schweden darf ausgerechnet Susanne Dodillet von der Universität Göteborg berichten, die wegen ihrer unwissenschaftlichen Arbeit nicht nur in Schweden scharf in der Kritik steht. Auch die Aidshilfe (die sogar gegen eine Kondompflicht ist), und, frau staunt, auch die Diakonie sowie der Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) sind erklärte Gegner der Freierbestrafung.

Nur einer wird bei der Anhörung von der „anonymen Masse an fast ausschließlich ausländischen Frauen“ sprechen, „die sich in den großen Bordellen oder auf dem Straßenstrich aufhalten, oft 24 Stunden am Tag, und die nicht auf sich aufmerksam machen können, die nicht Deutsch sprechen, die keine Stimme, keine Lobby haben, die zumeist in Opferdasein fristen. Die aber mutmaßlich noch nie ein Politiker gesehen oder gar mit ihnen gesprochen hat.“ Dies schreibt Helmut Sporer, Augsburger Kriminaloberrat a.D. in seiner Vorab-Stellungnahme.

Kommissar Sporer: Das größte Dunkelfeld existiert in offiziellen deutschen Bordellen

Der Ermittler mit drei Jahrzehnten Erfahrung im Rotlichtmilieu und der Organisierten Kriminalität erklärt denen, die behaupten, die Prostituierten würden in Ländern mit Sexkaufverbot ins „Dunkelfeld“ abgeschoben, das größte „Dunkelfeld“ existiere derzeit in Deutschland, und zwar in den „offiziellen deutschen Prostitutionsstätten. Diese Feststellung mag für Personen, denen die Mechanismen im Milieu weniger geläufig sind, irritierend wirken, ist aber leider Realität. In vielen Bordellen, insbesondere den großen sogenannten Massenbetrieben, aber auch bei der Straßenprostitution, trifft man überwiegend junge ausländische Frauen, die sogenannten ‚Opfertypen‘ an. Den Fachbehörden, die die Zustände vor Ort kennen, ist in der Regel bewusst, dass diese Frauen meist fremdbestimmt und somit Opfer sind.“ Aber ihnen sind die Hände gebunden, denn Anklage gegen die Täter können sie nur mit der Aussage der Frau erheben – und die kriegen sie in der Regel nicht. 

Folge: Den geschätzt mindestens 250.000 Prostituierten in Deutschland stehen laut „Lagebild Menschenhandel 2019“ nicht einmal 300 erfasste Opfer gegenüber, sprich: 0,1 Prozent. Sporers Fazit: Der im NRW-Antrag befürchtete „unkontrollierbare Markt, der sich der Transparenz und der strafrechtlichen Verfolgung der Täter entzieht, ist bereits jetzt Realität“.

Das "Pascha" in Köln: Rotlicht aus!
Das "Pascha" in Köln: Rotlicht aus!

Angesichts der skandalösen Einseitigkeit der NRW-„Experten“-Runde“ hat sich nun Widerstand formiert. Im „Aktionskreis NRW pro Nordisches Modell“ haben sich elf Initiativen, von Solwodi bis Terre des Femmes, mit einer eigenen Stellungnahme zu Wort gemeldet.

Wir dürfen gespannt sein, ob der NRW-Landtag und die drei Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz auch diesen Experten zuhören.

Kandidat Norbert Röttgen ist für das Nordische Modell. Und Armin Laschet?

Einen jedenfalls haben die BefürworterInnen der Freierbestrafung schon jetzt an ihrer Seite: Norbert Röttgen. Die CDU-Frauenunion hat die drei Kandidaten – die ja alle aus NRW kommen – zu ihren Positionen befragt. Kandidat Röttgen erklärte ohne Wenn und Aber: „Ich befürworte das Nordische Modell.“ Und Friedrich Merz? Der will seine Antwort „ausschließlich den Mitgliedern der Frauenunion der CDU zur Verfügung stellen.“

Bleibt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Der meint es gut, meint er. „Wir gehen in Nordrhein-Westfalen mit unserer Initiative EXIT.NRW einen Weg gegen Ausbeutung und unterstützen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution beim Ausstieg und machen öffentlich auf dieses viel zu wenig beachtete Thema aufmerksam.“ Mit dieser Strategie, die gegen die Freierbestrafung und für eine „saubere Prostitution“ ist, meint der Christdemokrat es vielleicht gut. Aber ob er es auch gut macht?  Da gäbe es vielleicht noch Informationsbedarf.

Weiterlesen

Stellungnahme Augsburger Kriminaloberrat a. D. Helmut Sporer: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-3443.pdf)

Stellungnahme "Aktionskreis NRW pro Nordisches Modell": https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-3446.pdf

Befragung der Frauenunion: https://www.frauenunion.de/artikel/nachgefragt

Artikel teilen
 
Zur Startseite