Prostitution: Zwangsprostituierte für

Artikel teilen

Der Frauenrat mobilisiert gegen den zu erwartenden Import von 40.000 Zwangsprostituierten. Und die Kripo schließt sich an. Aber wo bleibt eigentlich der Protest von Spielern und DFB?

Anzeige

Am 2. September 2005 bekam Oliver Kahn ungewöhnliche Post. Sie kam vom Deutschen Frauenrat. „Sehr geehrter Herr Kahn“, stand dort, „Zeitungsmeldungen ist zu entnehmen, dass anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft an den Austragungsorten verstärkt

Prostituierte sein werden – oder besser: angeboten werden sollen. Viele dieser Frauen werden nicht freiwillig nach Deutschland kommen.“ Der deutsche Nationaltorhüter solle dem Frauenhandel öffentlich die Rote Karte zeigen: „Machen Sie deutlich, dass Sie Ihren Sport nicht mit dieser Verletzung der Rechte und Würde von Frauen verbunden sehen wollen! Sagen Sie, die Sie in den Augen vieler ‚richtige Männer‘‚ sind, dass richtige Männer gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution sind!“
Oliver Kahn sagte nichts. Auch seine Kicker-Kumpel aus der Nationalmannschaft, die ebenfalls einen solchen Brief bekommen hatten, blieben stumm. Nur Jens Lehmann schickte eine E-mail. Der Nationaltorwart Nummer zwei versprach, das Anliegen des Frauenrats mit seinen Kollegen zu besprechen.
Lehmanns Kollegen wären gut beraten, schon jetzt zu überlegen, was sie antworten werden auf die Frage: Wie hältst du’s mit der Zwangsprostitution? Denn die wird ihnen in den kommenden Monaten nicht nur von den elf Millionen Mitgliedern des Deutschen Frauenrats gestellt werden, sondern auch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter und von der internationalen Menschenrechtsorganisation amnesty international. Beide Organisationen haben sich der Kampagne des Frauenrates angeschlossen. Zur Zeit wird beraten, welche Form die Aktionen 2006 annehmen können. Interessierte SportjournalistInnen sind ebenfalls herzlich willkommen im Bündnis. Und die Oberbürgermeister der zwölf Austragungsstädte sowieso.
Die Vorbereitungen auf die WM laufen auf vollen Touren. Nicht nur Hoteliers und Kneipenwirte erwarten voller Vorfreude rund drei Millionen überwiegend männliche Fußballfans aus aller Welt. Die sollen ab dem 9. Juni einen Monat lang deutsche Kassen klingeln lassen. Auch diejenigen, die die Ware Frau anbieten – Zuhälter, Bordellbesitzer, Frauenhändler – reiben sich die Hände angesichts der Profite, die das Mega-Männer-Event verheißt. 30.000 bis 40.000 Zwangsprostituierte, so schätzt der Deutsche Städtetag, werden zur Fußball-Weltmeisterschaft vor allem aus den osteuropäischen Staaten nach Deutschland geschleust, um den Fans zu Diensten zu sein. Das Phänomen ist bekannt von anderen potenzwütigen Herren-Events wie Messen oder Geschäftsreisen nach Brasilien.
Massensport und Prostitution sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das ist nicht erst seit den Olympischen Spielen in Athen 2004 bekannt, wo neben Athleten auch Tausende (Zwangs)Prostituierte aus aller Welt stationiert waren. Zeit also, dass auch die Spieler und Sportfunktionäre nicht länger die Augen verschließen und sich zum Frauenkauf verhalten.
Das Rotlicht-Milieu jedenfalls rüstet auf. In Berlin-Charlottenburg wurde gerade eins der größten Bordelle Deutschlands eröffnet, an der Heerstraße unweit des Olympiastadions wollen Zuhälter einen Straßenstrich einrichten, damit die Fans nach dem Spiel gleich zugreifen können. In Hamburg, wo die Polizei im November einen 85-köpfigen Frauenhändlerring sprengte und 300 Zwangsprostituierte befreite, hat die Interessengemeinschaft St. Pauli soeben die Aktion ‚Fair beim Verkehr‘ gestartet. Denn die 200 einschlägigen ‚Geschäftsleute‘ an der Reeperbahn machen sich Sorgen – um die Freier. „Ein Teil der Modelle macht einen miesen Job“, klagt Sprecher Karl-Heinz Böttrich-Scholz. Das müsse sich bis zur WM ändern. Deutschlands größter Gummipuppen-Händler Beate Uhse hat diese Sorgen nicht und jubiliert schon jetzt. „Einen Schub“ erhofft sich der ‚Erotikkonzern‘ (Jahresumsatz: 220 Millionen Euro) von der Fußball-WM: „Das Sportereignis wird den Umsatz im Einzelhandel und die Nachfrage an Erotikfilmen beflügeln.“ In Dortmund ist gar die Stadt selbst dabei, optimale Bedingungen für das Geschäft mit Frauenkörpern zu schaffen: Dort will man zusätzliche ‚Verrichtungsboxen‘ aufstellen. So hatte das Bundeskriminalamt seine Aufforderung an die zwölf WM-Ausrichterstädte, sich auf den Zustrom von Zwangsprostituierten vorzubereiten, wohl nicht gemeint.
Im Gegensatz zum BKA aber sieht der Deutsche Fußballbund keinerlei Handlungsbedarf. Auch die Aufforderung der damaligen Frauenministerin Renate Schmidt im Sommer an den DFB-Präsidenten Mayer-Vorfelder verhallte ungehört. Man engagiere sich bereits anderweitig, zum Beispiel für die SOS Kinderdörfer und Unicef, ließ der DFB verlauten. Und das Büro der Nationalmannschaft erklärte, man sei sich zwar „seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung durchaus bewusst“. Ein Einsatz für „offizielle Sonderthemen“ sei aber dennoch nicht möglich. Man werde aber dem „gut gemeinten Appell“ aus „grundsätzlichen Erwägungen“ nicht folgen.
„Skandalös“ findet Henny Engel, die Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, die Abfuhr. „Hier geht es schließlich um Menschenrechtsverletzungen.“ Jetzt trommelt der Dachverband, seine 55 Mitgliedsorganisationen – von Akademikerinnen- und Juristinnenbund bis zu den kirchlichen und parteipolitischen Frauenverbänden – für eine große Kampagne zusammen: ‚Rote Karte gegen Zwangsprostitution!‘ Strategie: „Wir wollen uns die riesige Medienpräsenz bei der WM zunutze machen, um für das Thema Zwangsprostitution zu sensibilisieren.“
Die Organisation Solwodi, die die Opfer von Frauenhandel betreut, plant einen Notruf für die aus dem Ausland eingeschleppten Frauen. Von Mai bis Juli, sollen sie sich an eine vielsprachig besetzte Not-Hotline wenden können – von der die meisten Opfer vermutlich leider gar nicht erst erfahren.
Auch die ersten Männer melden sich zu Wort: „Männer schaffen den Markt für Prostitution und somit auch für Zwangsprostitution“, erklärt Martin Rosowski, Geschäftsführer der ‚Männerarbeit der Evangelischen Kirche Deutschlands‘, die ebenfalls bei der Kampagne mitmacht. „Es kann nicht im Sinne aufgeklärter Männer sein, die Dienste von Opfern des Menschenhandels auszunutzen.“
Diese Botschaft wünscht sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter nun auch von den DFB-Fußballern: „Ich halte das für eine Verpflichtung der Veranstalter“, sagt BDK-Pressesprecher Bernd Carstensen. „Bei der WM für Sicherheit zu sorgen heißt schließlich nicht nur, dass die Fußballfans mit heiler Haut nach Hause kommen!“ Auch bei amnesty international, wo man seit zwei Jahren mit der Kampagne ‚Hinsehen und Handeln‘ weltweit gegen Gewalt gegen Frauen kämpft, findet man die vornehme Zurückhaltung des DFB „ein starkes Stück“. Denn: „Die WM trägt schließlich ursächlich zum Problem bei.“

PS Jüngst feierte das Fanprojekt des 1. FC Köln am 19. November seine alljährliche Fan-Party. Wo? In der ‚Table Dance Bar‘ des ‚Pascha‘. 30 ‚Pascha-Girls‘ strippten für die 900 Fans von Poldi & Co., die auch den Kalender ‚Fan-Objekte‘ bestellen konnten. „Zu Freistößen kam es aber nicht“, berichtet Bild launig. Mit 20.000 Euro lässt sich das Fanprojekt von ‚Europas größtem Laufhaus‘ sponsern. Im April hatte die Kölner Kripo bei einer Razzia 23 illegale Frauen aus dem Bordell geholt, darunter auch Minderjährige.
Vielleicht haben Oliver Kahn und seine Kollegen zu alledem ja doch noch etwas zu sagen.

www.frauenrat.de,

http://www.solwodi.de/ EMMA Januar/Februar 2006

Artikel teilen
 
Zur Startseite