Rabenvater Staat

Foto: Sophia Kembowski/dpa
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Sie haben ein Buch geschrieben, Titel „Raben­vater Staat“. Das klingt angriffslustig.
Jenna Behrends: Finden Sie? Je mehr ich recherchiert habe, je mehr Familien ich getroffen habe, desto klarer wurde mir, wie rückständig unsere Familienpolitik immer noch ist. In der Familienpolitik hat sich seit den Sechzigerjahren nichts Wesentliches geändert. Zwar gibt es inzwischen den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Aber das Grundmodell unseres Staates baut immer noch auf dem traditionellen Familienbild auf: Vater, Mutter, Kind. Das aber wird von vielen Familien so gar nicht mehr gelebt.

Seit Jahrzehnten steckt der Staat, der Rabenvater, immer mehr Geld in Familien. Sie schreiben, dass 2018 jeder zweite Euro aus dem Bundeshaushalt in den Sozialbereich geflossen ist, 170 Milliarden Euro. Warum ist das Kinder-Bekommen trotzdem ein soziales Risiko?
Wenn man sich genau anschaut, wo das Geld hinfließt, stellt man fest, dass dieses viele Geld nicht wirklich alle Familien erreicht. Oder dass es Menschen zugutekommt, die gar nicht in der Familienphase sind. Zum Beispiel die Witwenrente, die als „Familienförderung“ gilt. Oder das Ehegattensplitting, das einerseits Personen nützt, die keine Kinder haben, während andererseits Alleinerziehende gar nichts davon haben.

Kindergeld, Erziehungsgeld, Elterngeld Plus – warum fällt der Regierungspartei CDU, deren Mitglied Sie ja sind, eigentlich nichts anderes ein, als immer nur Geld zu verteilen?
An Kreativität mangelt es da nicht, insbesondere in Wahlkampfzeiten sind Familien ja eine beliebte Wählergruppe. Da wird dann „Babybegrüßungsgeld“ geboten oder „Baukindergeld“. Aber im politischen Alltag haben wir Familien keine Priorität. Es gibt auch gute Ideen, zum Beispiel, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung auf die Grundschulkinder auszuweiten. Aber das geht alles total langsam voran, obwohl es im Koali­tionsvertrag längst verabredet ist.

Was antworten Sie Leuten, die finden, es sei jetzt mal genug mit dem Pampern der Eltern?
Ich kann zwar den Vorwurf von Kinderlosen verstehen, sie würden mit ihren Steuern die Familien mitfinanzieren. Euer Elterngeld, eure Kitas, Schulen, Spielplätze – was wollt ihr denn noch? Aber wenn man sich anschaut, dass Eltern den allergrößten Teil davon selbst finanzieren und auch diejenigen sind, die unser Rentensystem überhaupt am Laufen halten, wird klar: Das Ganze funktioniert nur über Kinder. Und während Eltern ihre Kinder großziehen, haben sie auch noch die höchsten Ausgaben – von den Windeln bis zur Klassenfahrt. Zugleich haben sie geringere Einnahmen, weil sie beruflich nicht so flexibel sind. Wie wir Eltern dann noch privat fürs Alter vorsorgen sollen, ist mir ein Rätsel. Und das gilt erst recht für Alleinerziehende.

Ihre neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat im Karneval einen Witz auf Kosten von Transpersonen gerissen. Hat die CDU verstanden, was moderne Familie meint?

Es gibt da diesen Satz von Angela Merkel, Familie sei da, wo Kinder sind. Wenn man das als Grundlage für Politik nimmt, wäre schon viel erreicht. Für ein Kind ist es am Ende des Tages egal, ob es mit verheirateten oder unverheirateten Eltern aufwächst, ob es im Wechselmodell betreut wird oder ob es zwei Mütter oder zwei Väter hat. Wichtig ist, dass Politik sich an den Bedürfnissen von Kindern orientiert statt an denen der Eltern.

Bewegt sich da was in der CDU?
Am Ende des Tages ist das eine Frage der Realität. Alleinerziehende sind ja heute – anders als in den Fünfzigerjahren – kein Ausnahmephänomen mehr. Jedes fünfte Kind wird bei Alleinerziehenden groß.

Sie sind CDU-Abgeordnete in Berlin-Mitte, wo ost- und westdeutsche Lebenserfahrungen zusammenfließen. Nehmen Sie einen Unterschied zwischen Ost- und Westeltern wahr?
Ich bekomme immer mal wieder nett gemeint gesagt, man habe eigentlich gedacht, ich käme aus dem Osten. Weil ich so früh Mutter geworden bin und trotzdem mein Studium durchziehe, weil ich Politik mache und Bücher schreibe. Das wird offenbar eher ostdeutschen Frauen zugetraut.

Der Leipziger Sexualwissenschaftler Kurt Starke sagt, dieser Gesellschaft sei beim Kinderkriegen der „Normalismus“ abhanden gekommen, dass alle in der Gesellschaft für Familien Verantwortung übernehmen – von der Jobsicherheit bis zum Platz in der Straßenbahn für Schwangere. Hat er recht?
Dass Familie selbstverständlich dazugehört – da kommt es doch sehr darauf an, ob wir Ost- oder Westdeutschland betrachten. Wenn der Normalismus früher so aussah, dass ich als Mutter drei Jahre zu Hause bleiben musste, weil es für Unterdreijährige sowieso keinen Kitaplatz gab, dann kann ich gut darauf verzichten. Wichtig ist die Wahlfreiheit und dass jedes Lebensmodell anerkannt und unterstützt wird.

Sie werden bald zum zweiten Mal Mutter. Es eilt also mit der neuen Kinderpolitik auch für Sie.
In der Politik geht ja leider gar nichts schnell. Aber man sollte einfach endlich umsetzen, was eigentlich schon da sein sollte: den Anspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder zum Beispiel. Und ich fände es wichtig, dass wir unser Steuer- und Sozialrecht daraufhin verändern, dass es zum Leben moderner Familien passt.

Also Ehegattensplitting streichen?
Wir könnten zunächst den Teil des Ehegattensplittings abschaffen, der durch das progressive Steuersystem entsteht. Wenn wir gleichzeitig ein Konzept entwickeln, wie das Geld Kindern zugute­kommt – vor allem denen von Alleinerziehenden –, dann wäre ich sofort dabei.

Das Gespräch führte Anja Maier.

Weiterlesen: Jenna Behrends - Rabenvater Staat. Warum unsere Familienpolitik einen Neustart braucht. (dtv,18 €)

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