Die Köchin – im Menue den Feminismus

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Die meisten Frauen tun das umsonst, wofür Sarah Wiener bekannt geworden ist. Aber sie macht was draus – und hat Herz und Kopf am rechten Fleck.

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Sarah Wiener knetet kleine Teigbällchen, während zu ihrer Rechten der schnauzbärtige Kollege Johann Lafer sein "Hähnchen in Kokos-Zitronengrasfond mit Garnelen" zelebriert und zu ihrer Linken ein "Butterferkel mit Möhrendurcheinander" köchelt. Nachdem sie sich kurz mit Lafer darüber ausgetauscht hat, was ein artgerecht gehaltenes Huhn kosten muss, damit es definitiv ein glückliches Huhn war (nämlich mindestens sechs Euro), zeigt die Köchin nun Kerner ihren "Lieblingspilz": eine "Krause Klucke" mit den Ausmaßen eines Autoreifens.
Sarah Wiener kocht heute vegetarisch, wie so oft. "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich beim Vorspiel hängen bleibe, wenn ich einen fleischlosen Hauptgang koche", sagt Wiener. Bei ihren Kollegen ist das anders. "Das liegt an der kulturellen Einheit 'Mann und Fleisch'. Die Nahrung, die als die wertvollste gilt, wird fast überall in die Hände der Männer gelegt."  
 
Solche Sätze gibt Deutschlands prominenteste Fernsehköchin öfter von sich. Nicht nur, dass sie permanent gegen die "Höchstleistungslandwirtschaft" und für Bioprodukte plädiert. Jüngst hat sie die Schirmherrschaft für eine Aktion des 'Tierschutzfonds' übernommen: 50 Millionen Küken werden jedes Jahr quasi weggeschmissen, weil sie männlich und deshalb für die Eier-Massenproduktion unbrauchbar sind. "Sarah Wiener fordert die Männerquote!" heißt die Aktion. "Das finde ich als Feministin witzig." Hoppla, was war das? Feministin? Jawohl. Wo sie geht und steht und Interviews gibt, gibt Sarah Wiener mit Verve oder en passant dieses Wort zu Protokoll.   
Über die Metapher Essen kann eine kochende Feministin beziehungsweise eine feministische Köchin eine Menge über das Verhältnis von Frauen und Männern in dieser Gesellschaft sagen. Wie zum Beispiel, dass "Frauen von jeher am Hungern sind. Früher, weil sie den Männern beim Essen den Vortritt lassen mussten. Heute, weil sie panisch sind, sie könnten ein Gramm Fett zu viel ansetzen." Den modernen Diätwahn findet die Köchin Wiener "obszön" und die Kleidergröße 36/38 "für eine normale Mitteleuropäerin eine Zumutung". Aber "vermutlich halten die Männer die Frauen deshalb so gern an der kurzen Essensleine, weil eine Frau, die gesund ist und vor Kraft strotzt, ihnen Angst machen könnte." Und das Kochen? "Das vielleicht ehrlichste Abbild unserer Gesellschaft: Solange eine Tätigkeit keine soziale Anerkennung erfährt und nicht bezahlt wird, müssen die Frauen ran. Aber sobald es um Sterne, Hauben und das große Geld geht – schwupps: Plötzlich ist es Männersache." Von 200 Michelin-Sternen im Jahr 2006 gingen ganze vier an Restaurants mit weiblichen Küchenchefs.
Und nun hat sich die Frau Wiener, die tatsächlich mit tiefem Timbre wienert, zwischen den Lafers, Mälzers und Olivers einen Platz im Kocholymp erobert. Der Weg dahin war kein Zuckerschlecken, und gebratene Tauben sind Sarah Wiener dabei schon gar nicht in den Mund geflogen.
Aber ihre Ausgangslage war gut, denn die feministische Köchin ist Tochter einer Feministin, in diesem Fall einer alleinerziehenden. Ihr Vater, der Schriftsteller und Kreuzberger Gastronom Ossi Wiener, ging, als Sarah zwei war. Ihre Mutter, die Künstlerin Lore Heuermann, die warme Mahlzeiten öfter zugunsten von "Ramabroten mit Edamer" ausfallen ließ, gab ihren beiden Töchtern mit auf den Weg, was wirklich wichtig ist im Leben: "Leidenschaft für eine Sache, Kreativität, Verantwortungsbewusstsein." 
Mit 16 schmeißt Sarah die Schule. Sie reist durch Europa, hütet Schafe, pflückt Zitronen. In Berlin, wo ihr Vater das Restaurant 'Exil' eröffnet hat, schnippelt sie in der Küche Gemüse. Mit 25 bekommt sie einen Sohn, heiratet, lässt sich scheiden, lebt von Sozialhilfe. Inzwischen hat sie gemerkt: Das Kochen ist es. 1990 kauft Sarah einen alten NVA-Laster und macht Filmcatering. Sie kocht "mit dem Herzen" – und 18 Stunden am Tag. Bald bekocht sie Veronica Ferres, Isabelle Huppert und Bruce Springsteen. 1999 eröffnet sie zunächst ihr 'Speisezimmer', dann zwei weitere Restaurants. Wer einen Blick auf die Karte wirft, stellt verblüfft fest: Im Herzen der Hauptstadt serviert die Spitzenköchin Vorspeisen im einstelligen Eurobereich. "Mein Konzept ist, dass in meine Restaurants jeder kommen können soll."
Sarah Wieners erster Fernsehauftritt vor einem Millionenpublikum im Herbst 2004 brachte ihr zunächst wenig Sympathien ein: Als strenge Küchenherrin "Mamsell" im ARD- Experiment 'Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus' schiss sie das Personal zusammen, dass die Mägde in Tränen ausbrachen. Nach Drehende gab die Chefin der Sarah Wiener GmbH die Personalabteilung ihrer Restaurants an eine Kollegin ab.
Seit Dezember 2004 kocht die 44-jährige Autodidaktin nun bei Kerner und ist der einzige weibliche Star am deutschen Kochhimmel. Die kochende Feministin beziehungsweise feministische Köchin weiß sehr wohl, dass ihr aktueller Ruhm auch, aber eben nicht nur an ihren Kochkünsten liegt. "Da müssen wir uns ja nichts vormachen. Es gibt Kolleginnen, die viel besser kochen als ich, aber die passen eben nicht in Kleidergröße 38."
Und während ihr zur Linken Kollege Alexander Herrmann über das "Spiel der Temperaturen und Konsistenzen" seiner "Süßen Mandarinenpolenta mit geeister Lebkuchensahne" referiert, knetet Sarah Wiener weiter kleine Teigbällchen, und ihrem schönen Gesicht sieht man an, dass das Leben für sie nicht immer ein Vier-Gänge-Menü war.
Jasmin Karczewski, EMMA 1/2007
Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener, ab 7.1., arte, 20.15 Uhr

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