Schweden: Erregte Fake News

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Die deutschen Medien waren, nun ja, erregt. Und die Schlagzeilen und Texte, die die Redakteure in diesem Zustand produzierten, zeigen wieder einmal, dass ein kühler Kopf vonnöten ist, um einen gar nicht so komplizierten Sachverhalt realistisch zu beurteilen. Dabei brauchte der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven nur zwei Sätze, um zu sagen, worum es geht: „Sex muss freiwillig sein. Ist er nicht freiwillig, ist er nicht legal.“ So einfach, so einleuchtend.

Doch in Deutschland wollte man offenbar nicht verstehen. Dabei ist eigentlich nur der Name des neuen Gesetzes schwierig, über den das Parlament im März abstimmen wird: „Samtyckeslagstiftning“, was soviel heißt wie „Einverständnisgesetzgebung“. Das bedeutet: „Der Unterschied zur bisherigen Gesetzgebung besteht darin, dass zukünftig jede sexuelle Handlung, die nicht in gegenseitigem Einverständnis geschieht, strafbar wird“, erklärt die Schwedische Botschaft. „Bislang setzte der Tatbestand der Vergewaltigung die Anwendung von Gewalt und Bedrohung voraus.“ Künftig aber solle „Passivität nicht länger als stilles Einverständnis interpretiert werden können“.

Kaum war die Nachricht über das geplante Gesetz draußen, beflügelte das die Phantasien der deutschen Leitartikler. „Wer in Schweden künftig Sex mit jemandem möchte, muss die ausdrückliche Erlaubnis einholen – gern auch schriftlich. Sonst droht eine Verurteilung wegen Vergewaltigung“, behauptete die Welt und fabulierte über „Koitalformulare“ und prophezeite eine bevorstehende „Klagewelle“. Das „feministische Schweden“ sei nun das „unromantischste Land der Welt, gleich hinter Saudi-Arabien und dem Iran“.

„Schweden müssen sich vor Sex Genehmigung einholen – selbst bei der eigenen Ehefrau“ alarmierte der Focus. Und die Süddeutsche ging ins Detail: Trete das neue Gesetz in Kraft, müsse man „quasi bei jedem Stellungswechsel sicherstellen, dass der andere will.“

So, und jetzt kommen wir mal runter und schalten unser Hirn wieder ein. Natür­lich steht in dem schwedischen ­Gesetz kein einziges Wort von einem „schriftlichen Einverständnis“. Und selbstredend droht keine Klagewelle, denn nach wie vor wird eine Vergewaltigung schwer zu beweisen sein. Es steht schließlich in den allermeisten Fällen, genau wie vorher, Aussage gegen Aussage.

In der Schwedischen Botschaft in Berlin wunderte man sich folglich sehr über die erhitzten Schlagzeilen. In keinem anderen Land hätten die Medien „so aufgeregt reagiert“, erklärte die Kulturrätin der Botschaft, Nina Röhlcke. Übrigens auch in Schweden nicht, wo man das neue Gesetz begrüßt. Es war schließlich überfällig. 2014 hatte ein Freispruch für Empörung gesorgt: Der Täter hatte nicht bestritten, dass die Frau während des Geschlechtsverkehrs mehrfach „Nein“ gesagt hatte. Er behauptete aber, er habe das „Nein“ für „einen Teil des Liebesspiels“ gehalten. Die SchwedInnen gingen auf die Straße und forderten, diese Lücke im Sexualstrafrecht zu schließen. Eine Kommission, in der alle Parteien vertreten sind, wurde damit beauftragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Als im Herbst 2017 die #MeToo-­Debatte losbrach, tat sie das in Schweden besonders heftig. 600 Schauspielerinnen unterschrieben einen Artikel im Svenska Dagbladet, in dem teils schlimmste Übergriffe geschildert wurden. Auch in der Justiz, im Sport oder in der Politik meldeten sich Tausende Frauen zu Wort. Ministerpräsident Löfven erklärte schockiert, es müsse jetzt „etwas richtig Radikales passieren“. So verlor auch die Kommission keine weitere Zeit mehr und legte den neuen Gesetzentwurf vor.

Nach der eigenwilligen Interpretation des Entwurfs durch die deutschen Medien machte sich die Schwedische Botschaft in Berlin die Mühe, noch einmal zu präzisieren: „Entgegen vielen Medienberichten ist das Einholen einer schriftlichen Einverständniserklärung nicht erforderlich.“ Und weiter: Von Freiwilligkeit solle nie ausgegangen werden, wenn a) die Einwilligung durch „Misshandlung, Gewalt oder Drohung“ zustande komme. Oder b) der Täter ausnutzt, dass „sich eine Person aufgrund von z. B. großer Angst oder Trunkenheit in einer besonders schwachen Position“ befinde oder c) der Täter ausnutzt, dass „sich die Person in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Täter befindet“.

Liebe deutsche Leitartikler, fällt euch was auf? Kommt euch daran was bekannt vor? Kleiner Tipp: Schaut mal in den § 177 des deutschen Strafgesetzbuches. Da steht: „Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Und jetzt, Achtung: Ebenso macht sich strafbar, wer „ausnutzt, dass die Person aufgrund ihres körper­lichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist. Es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert.“

Dieses Gesetz gilt in Deutschland seit dem 1. November 2016. Der Bundestag hat es am 6. Juli 2016 verabschiedet und zwar ohne eine einzige Gegenstimme.

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