Slutwalk in Berlin: Wer spielt mit wem?

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Wenn wir über Demos reden, reden wir über das Offensichtliche. Am vergangenen Samstag war es in Berlin ganz offensichtlich so: Mit deutlichen Botschaften wie „Kein Trieb rechtfertigt Gewalt!“ haben 3000 Frauen und auch etliche Männer gegen sexualisierte Gewalt demonstriert, manche sogar gemeinsam mit ihren Kindern. Einige trugen übliche, andere wenig und wenige fast gar keine Kleidung. In der Szene heißen solche Demonstrationen seit einigen Monaten „Slutwalk“, exportiert aus dem feministisch ohnehin gut aufgestellten Kanada. Ein weltweiter Exportschlager übrigens.

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Auslöser für die marschierenden „Schlampen“ in Philadelphia, Boston, London, Sydney, Delhi oder diesmal Berlin war ein Vortrag im Januar dieses Jahres in der juristischen Fakultät der Uni von Toronto, bei dem der Polizeioffizier Sanguinetti unter anderem sagte: „Wenn sie nicht vergewaltigt werden wollen, sollten Frauen darauf achten, nicht wie Schlampen angezogen zu sein .“ – Die Empörung war groß. „Don’t blame the victim!“, beschuldigt nicht die Opfer, forderten die Kanadierinnen. Und um die Doppelmoral der weltweit verbreiteten Selber-Schuld-Haltung zu verdeutlichen, entschieden sich einige unter ihnen gleich für einen Schlampen-Look – auch wenn die kanadischen Initiatorinnen dazu eigentlich keineswegs direkt aufgefordert hatten. Motto: Wir sind alle Schlampen! 

3000 DemonstrantInnen also in Berlin, Bekleidungs-Status: komplett, halb und so gut wie gar nicht. Stimmung: Eine Mischung aus CSD, Karneval, Rave und Gewerkschaftsdemo. Für viele ist es die erste feministische Demo überhaupt. Kein Wunder, die letzte ist über zwei Jahrzehnte her und etliche der Demonstrantinnen müssten damals gerade die Grundschule abgeschlossen haben (wie die Autorin dieses Texts übrigens auch).

Alleine aus diesem Grund ist der Slutwalk, der zeitgleich in mehreren deutschen Städten stattfand, politisch bemerkenswert: Auch hierzulande gehen endlich wieder Frauen gegen die sexualisierte Gewalt und die Verharmlosung von Vergewaltigung als „Kavaliersdelikt“ auf die Straße.

Das Medieninteresse ist enorm. Die Tagesschau berichtete („Aufstand der selbsternannten Schlampen“). Die taz schrieb („Die Macht über Frauen brechen“) – wie gewohnt inklusive EMMA-Bashing („total überholt“). Stern.de informierte („'Schlampen' laufen durch Berlin“) und Bild auch („Diese 'Schlampen' kämpfen gegen Sexismus“). Titel, Thesen, Temperamente brachte sogar einen ausführlichen Hintergrundbericht („Spaßdemo gegen Sexismus“).

Reflexartig berichten die Medien im Nachhinein über die „jungen Frauen“, die „den Feminismus wiederentdecken“, eine „neue Frauenrechtsbewegung“, alles ein bisschen höher, schneller weiter - und natürlich sexier. Dabei war die Menge, die am Samstag durch Berlin marschierte, so gar nicht homogen. Was letztlich dem Anlass der Proteste entspricht: Jede Frau kann Opfer von sexueller Gewalt werden. Egal wie alt sie ist, wie sie aussieht, wo sie herkommt und was sie macht.

Soviel zum Augenscheinlichen. Nun zum Latenten.

Auch wenn der Medien-Hype um die provokanten „Schlampenmärsche“  es nahelegt: Die Slutwalks sind kein Einzelphänomen, sondern eine Protestform von vielen, die in diesem Jahr gegen sexuelle Gewalt hochkommen – darunter einige spontan, andere von längerer Hand geplant. „Wir sind alle Zimmermädchen!“ skandierten die Französinnen im Frühjahr als Reaktion auf die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den ehemaligen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn. „Shame on you!“ riefen Hotel-Bedienstete zeitgleich in Manhattan. „Rape is Rape!“, Vergewaltigung ist Vergewaltigung! stand auf den Plakaten amerikanischer Frauenrechtsorganisationen, die vor dem Internationalen Währungsfond protestieren.

In der Ukraine machen seit Monate die Femen (Frauen) von sich Rede, eine Gruppe aus Schülerinnen und Studentinnen, deren Methode es ist, mediengerecht entblößt gegen die Vermarktung und Erniedrigung von Frauen zu protestieren („Ukrainische Mädchen sind nicht zu kaufen“ oder „Cars for women - Camels for men“ für Saudi-Arabien) und auch mal blank zu ziehen. Die Proteste lassen sich nicht alle einfach in einen Topf werfen, haben aber einen gemeinsamen Nenner: Sexismus im Alltag, sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt, diese Probleme sind immer noch allgegenwärtig. Vielleicht mehr denn je.

Beim Berliner „Schlampenmarsch“ ist das Medienaufkommen gewaltig, weil es etwas zu sehen gibt: vor Beginn der Demo vom Wittenbergplatz zum Gendarmenmarkt, vom KDW zur Galerie Lafayette sozusagen, formieren sich auch die Kameramänner, die sich vor allem für die Frauen in Netzstrumpfhosen, Lacklederstiefeln und mit bloßem Busen interessieren, auf dem nur die Brustwarzen blickdicht abgeklebt sind.

Eine von ihnen hat „Nur nackt, keine Einladung“ auf ihren Rücken geschrieben und „Keine Fotos!“ auf ihr Dekolleté. Doch selbstverständlich kann öffentlich niemand die Pressefotografen davon abhalten, immer wieder auf den Auslöser zu drücken.

Die Gender-Studentin Diana Drechsel, 29, eine der rund 20 Initiatorinnen des Slutwalks in Berlin, insistiert zwar darauf, dass die entblößenden Outfits sexistisches Verhalten konterkarieren sollten und der eigentlich Fokus auf den Sprüchen und Forderungen auf den Transparenten liegen müsste, aber das bleibt reine Theorie. Die Realität ist stärker. Der Schlampenmarsch will ein „Spiel mit Klischees“ sein. Doch in Berlin war bis zuletzt nicht ganz klar, wer mit wem spielt.

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Slutwalks in Deutschland – Interview mit Kerstin Grether von Slutwalk Berlin

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