Superstar mit Power
Das war ein ganz besonderer Moment, als Elli Erl das Finale der RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“ gewann. Und das nicht nur, weil die Fans der 24-jährigen Bayerin seit drei Monaten und zwölf Motto-Shows die Daumen gedrückt hatten. Sondern auch, weil Elli, kaum zum Superstar erklärt, als ersten Akt vor über fünf Millionen ZuschauerInnen die hochhackigen Stiefel in die Ecke knallte: „Auf den Scheißdingern kann doch kein Mensch laufen.“
Auch der weitere Verlauf des Spektakels vermochte Elli nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie krempelte das Siegerlied „This is my life“, das Grinsebacke Dieter Bohlen nicht für eine wie sie geschrieben hat, auf rockig um. Die so Entfesselte, die sich übrigens auch von Heteronormen nicht binden lässt – und sich selbst als „bisexuell“ bezeichnet –, sang den so programmatischen Song mit Verve und Leidenschaft.
Wie der frischgebackene Superstar aus Regensburg da im weißen Hosenanzug stand und aus vollem Herzen „This is my life“ intonierte, wurde klar, warum so viele junge Leute, Mädchen vor allem, sich im Televoting ausgerechnet für sie entschieden hatten: Sie wollten endlich mal einen echten Menschen und nicht schon wieder eine ferngesteuerte Marionette. Eine Sängerin, die auch Gitarre spielen und eigene Songs schreiben kann. Eine, die nicht anbiedernd ist. „Denkt Ihr, was ihr wollt; ich denke, was ich will“, signalisierte Elli der Jury, die mäkelte, sie solle sich gefälligst mal „weiblicher“ kleiden. Von unterwürfiger Freude darüber, überhaupt dabei sein zu dürfen, war diesmal auch bei den Zweit- und Drittplazierten, der lebensfrohen Denise und dem artifiziellen Philippe, nichts zu merken.
Als ich mit Elli telefoniere, ist sie schon seit einer Woche ein „Superstar“. „Man gewöhnt sich schnell daran“, verkündet sie feixend ins Handy im dicken Auto sitzend, denn natürlich ist Elli jetzt ständig unterwegs. Promotermine, Fotosession, Aufnahmen für das erste Album, das schon im Frühsommer erscheinen soll. Auch coole Superstars haben heiße Terminpläne.
So eine wie Elli braucht kein Interview-Training. Die Sportstudentin und Rocklady lässt sich keinen Maulkorb aufbinden, wie ihre Kolleginnen von der Ex-Girl-Group „No Angels“. „Ich glaube die Leute haben mich gewählt, weil ich mein eigenes Ding durchzieh’, zu meinem Typ stehe, und rockig bin. Meine Stimme passt einfach besser zu Rockmusik als zu weichgespülteren Songs“, erklärt Elli zufrieden.
Eigentlich war es vorgesehen, dass Nr.-1-Produzent Bohlen Ellis erstes Album produziert. Da hatte er seine Rechnung ohne Elli gemacht: „Ich kann jetzt schon sagen: Mein eigenes Album wird absolut Bohlen-frei. Mindestens drei, vier Lieder kommen von meiner eigenen Band Panta Rei.“ Prompt bezeichnete der Dieter Elli in Bild als „Suppenhuhn“, das „bestimmt mal eine gute Lehrerin wird“.
Damit spielt der selbsternannte Pop-Titan auf Ellis Lehramtsstudium an. Denn die Tochter eines Realschuldirektors und einer Hausfrau, hat sich neben der Musik noch ein zweites Standbein geschaffen. Sie kann sich gut vorstellen, mal in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, den sie als „großes Vorbild“ bezeichnet. Um es ihm gleich zu tun, studiert sie schon mal eifrig Musik und Sport für – na, was wohl: Realschulen.
Die selbstbewusste Brillenträgerin ist mit zwei Brüdern aufgewachsen, mit einem davon spielt sie in der Rock-Band „Panta Rei“. Sie verweist gerne auf ihre Familie, „ihre Leute“, die hinter ihr stehen. In puncto Geschlechter-Verwirrung kann sie es also locker mit dem „schrägen“ Daniel Küblböck aus der ersten Staffel aufnehmen. Die beiden sind Zwillinge, bei der Geburt getrennt – allerdings war damals Daniel das Mädchen und Elli der Junge. Denn der feminine Daniel hatte in den Sendungen den Rock an, und machte nie einen Hehl aus seiner Liebe zu Minis und zu Männern. Elli hingegen outete unbekümmert ihre Neigungen zu Frauen.
Und dann wäre da noch ein kleiner Unterschied zwischen den beiden: Daniel gibt mit Vorliebe den unmusikalischen Clown, Elli legt Wert darauf, eine veritable Musikerin zu sein: „Ich glaube, die Musik-Szene bewegt sich im Moment sowieso von den Einheits-Größen und den Plastik-Produkten weg.“ Ihr Vorbild ist die US-Popsängerin Pink, die sich in den letzten Jahren von der souligen Barbie zur handfesten Rock-Lady entwickelt hat und ganz oben in den internationalen Hitparaden steht. In dem Video zu „Don’t let me get me“ spielt sie ein Highschool-Girl, das sarkastische Verse gegen das Schönheits-Diktat singt. Wird Elli die deutsche Pink?
Die Wahl von Elli Erl aus Regensburg zum Superstar scheint ein Zeichen dafür zu sein, dass jetzt Authentizität, Kompetenz und Eigensinn angesagt sind. Zugegeben: Dieser neue Trend zur „Authentizität“ ist vielleicht auch nur ein Produkt. Denn schließlich ist auch Elli nicht vom Himmel gefallen. Aber Spaß macht eine Type wie Elli trotzdem, vor allem den Mädchen. Mit ihrem normalen Gewicht demonstriert sie, dass man auch ohne Unterernährung sexy sein kann.
Die gestandene Sportstudentin sieht nicht so aus, als würde sie stolpern. Die härteste Prüfung, die Studiotreppen mit Highheels runterzuschreiten, hat sie ja auch schon hinter sich. Elli im Rückblick spöttisch: „Ich hatte jedes Mal Angst, die Treppen runter zu fallen.“ Keine Angst, Elli, du schaffst das schon! Mit ganz festen Schritten.