Die Ostpoetin

Artikel teilen

Jeder Tag ist offen wie ein Krug und am Morgen leer, dass man ihn füllt – einer schenkt Wasser, einer schenkt Wein tagtäglich sich ein.“ Manchem mögen diese Liedzeilen wie fremde Relikte einer längst versunkenen Epoche vorkommen. Suse Jank aber hat „Wasser und Wein“, einen über 30 Jahre alten Song der Dresdener Gruppe Lift, zu ihrem Lieblingslied erkoren und trägt ihn so beseelt vor, als wäre er für sie geschrieben worden.

Anzeige

Seit über einem Jahr tritt die Berlinerin mit ihrer Band und dem Programm „Ostpoesie“ in Ost wie West auf. Sie erntet Seufzer von Älteren, die hier die Lieder ihrer Jugend hören, und provoziert die Jüngeren. Deren Spanne reicht von genervtem Kopfschütteln bis zu erstaunter Begeisterung: Warum wurden uns diese Songs so lange vorenthalten?!

Nun werden die Rockballaden aus der DDR schon seit längerem gecovert. Derzeit sind mehr als ein halbes Dutzend Projekte aktiv, die DDR-Songs entweder a cappella singen (wie muSix), mit Orchestern bombastisch aufführen oder mit Elektronik auffrischen (wie Ostende). Vom Westen aus ging nur Peter Maffay mit Karats „Über sieben Brücken“ diesen Weg – mit großem Erfolg.

Im Unterschied zu ihren Vorgängern aber ist Suse Jank noch so jung, dass sie die Originale nie live gehört hat. Sie wurde kurz vor dem Mauerfall eingeschult. DDR-Musik kannte sie nur als Schlaflied. Ihr Vater hatte Suse und ihre Schwester stets mit der Gitarre ins Bett gebracht und musste manchmal zehn Lieder singen, bis die Mädchen Ruhe gaben. Zu diesen Songs gehörten zum Beispiel Manfred Krugs „Wenn du schläfst mein Kind“ und das „Wiegenlied für Susann“ der Klaus-Renft-Combo – die Suse Jank heute im Repertoire hat.

Erst beim Gesangsstudium entdeckte Suse Jank die Lieder wieder neu. „Ich suchte mit Anfang 20 nach Liedern über die Liebe. Doch die aktuellen Popsongs sprachen mich gar nicht an“, erzählt sie. Fündig wurde sie bei Renft, Lift, Veronika Fischer, Silly, Holger Biege und anderen DDR-Bands. „Diese weiche, romantische Poetik voller starker Metaphern gefiel mir gleich.“

Tatsächlich waren die Texte zu DDR-Zeiten wichtig, sie wurden misstrauisch beäugt von den Zensoren und auf versteckte Botschaften abgeklopft von den Fans. Dass offene Rebellion geradewegs zum Verbot führte, hatte der Fall der Leipziger Klaus-Renft-Combo gezeigt, die 1975 wegen Songs über Republikflucht und andere Tabuthemen trotz ihrer großen Popularität verboten wurde. Deshalb arbeiteten auch viele junge Bands mit versierten, älteren Textdichtern zusammen, die gekonnt die Klippen der Zensur umschifften.

Mit den DDR-Balladen hatte Suse Jank, die anfangs mit Irish Folk durch die Kneipen zog, eine Basis gefunden, um ihren Traum vom selbstbestimmten Musikerleben umzusetzen. Sie hatte ihr Lehramts-Studium mit dem Bachelor abgeschlossen, dann aber zusammen mit dem Pianisten Clemens Süssenbach den Sprung in die raue Wildbahn des Musikgeschäfts gewagt – und das bis heute nicht bereut.

Dabei wollte Pianist Süssenbach mit den Ost-Songs zunächst gar nichts zu tun haben – schließlich gibt sich ein cooler Westberliner nicht mit altem Ostrock ab. Doch die musikalische Substanz überzeugte letztendlich auch ihn. Suse Jank und ihre Begleiter, die aus Kolumbien, Armenien, Italien und Israel stammen, covern nicht, sondern arrangieren die Songs in einem leicht angejazzten Stil. Der Scirocco-Song „Sagen meine Tanten“ wird zum Tango, aus Manfred Krugs „Wenn du schläfst mein Kind“ ein Bossa Nova.

Ihr profaner Bandname „Suse Jank & Band“ wäre typisch für die DDR-Szene gewesen – Ostrock-Ladies standen oft ganz vorn. Ob Soulkönigin Uschi Brüning, die tolldreiste Nina Hagen, die eloquente Veronika Fischer oder die rotzige Tamara Danz mit ihrer Band Silly – sie waren nicht nur der singende Blickfang, sondern bestimmten oft, wo es lang ging und wer mitspielen durfte. Das galt auch für Petra Zieger, Ute Freudenberg, Katrin Lindner, Brigitte Stefan und Angelika Weiz. Die vom Staat postulierte Gleichberechtigung – im Rocksektor war sie umgesetzt.

Frauen besetzten sogar Schlüsselpositionen: Luise Mirsch entdeckte als Rundfunkproduzentin viele namhafte Bands. Gisela Steineckert stand dem einflussreichen „Komitee für Unterhaltungskunst“ vor und schrieb Texte wie den Klassiker „Als ich fortging“. Den Titel nahmen Suse Jank & Co in einer berührend sanften Version auf, die sogar den Original-Interpreten Dirk Michaelis begeisterte.

Gemeinsam mit ihrer Mutter, der Musikwissenschaftlerin Birgit Jank, tourte Tochter Suse auch mit ihrem Multimedia-Ostrock-Projekt „Ostpoesie“ durch ganz Deutschland. Sie habe ein sehr offenes Verhältnis zu ihrer Mutter, die einst selbst Chansons sang, bis sie eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere begann und heute als Professorin an der Universität Potsdam Musikpädagogik lehrt, sagt Suse Jank.

Stimmlich sind die beiden ganz unterschiedlich: Mutter Birgit besitzt eine tiefe, soulige Stimme, Tochter Suse arbeitet mit ihrer klaren hellen Kopfstimme. Nicht nur innerhalb ihrer Familie, sondern auch beim Publikum führt „Ostpoesie“ fast immer zu einem Dialog der Generationen und bringt Ost und West miteinander ins Gespräch.

Nach über einem Jahr harter Arbeit haben Suse Jank & Band jetzt ihr „Ostpoesie“-Album herausgebracht. Und künftig soll auch ganz Eigenes entstehen – und zwar nicht mehr, wie bisher, in Englisch, sondern auf Deutsch. Wer einmal Holger Bieges „Deine Liebe und mein Lied“ gesungen hat, der kann gar nicht mehr anders.

www.susejank.com

Artikel teilen
 
Zur Startseite