Ovuorie: Gegen Frauenhändler!
Wenn Tobore Ovuorie sich aufregt, schlägt sie rhythmisch mit der Faust der rechten Hand in ihre linke, so dass es klatscht. In ihrem Heimatland Nigeria gibt es viel, worüber die Journalistin in Rage gerät. Gerade recherchiert sie über einen Korruptionsfall, eine Vergewaltigungsserie und die Zustände in den Psychiatrien.
Die Faust von Tobore Ovuorie kommt in unserem Zoom-Interview aber erst zum Einsatz, als sie erzählt, wie es dazu kam, dass sie diese lebensgefährliche Recherche gemacht hat, für die sie jetzt mit dem „Freedom of Speech Award“ der Deutschen Welle ausgezeichnet wurde. Sieben Monate lang hatte sich die heute 41-Jährige als Prostituierte in einen nigerianischen Menschenhändler-Ring eingeschleust – und hätte diesen Horrortrip fast mit dem Leben bezahlt. Warum hat sie das riskiert? „It!“ – klatsch – „was!“ – klatsch – „personal!“ – klatsch – „for me!“
Tobore hatte eine beste Schulfreundin, Ifueko, die von einem Tag auf den anderen verschwand. Frauenhändler hatten sie nach Italien verschleppt. Als Ifueko zurückkehrte, starb sie kurz darauf an Aids. Ifueko war eine von mindestens 10.000 Mädchen und Frauen, die Jahr für Jahr nach Europa gebracht werden, um mit dem, was manche „Sexarbeit“ nennen, die Taschen von Menschenhändlern zu füllen. „Sklaverei mitten im Ruhrgebiet“ nannte es der Stern, als er vor kurzem in einer Reportage enthüllte, wie der nigerianische Menschenhändler Kelly mehrere Bordelle im Ruhrgebiet mit seiner Ware bestückt hatte – von der „Luderlounge“ in Dortmund bis zum „Saunaclub Diamond“ in Moers.
Im Januar 2013 beauftragte die Chefredakteurin des nigerianischen Online-Magazins Premium Time Tobore Ovuorie zu recherchieren. „Sie sagte: ‚Ich möchte, dass du einige Frauen interviewst, die ins Ausland gebracht werden sollen!‘“ Die entgegnete: „Das steht ihnen doch nicht auf die Stirn geschrieben! Sie wissen doch oft gar nicht, was man mit ihnen vorhat.“ Also müsse sie sich eben einschleusen. „So kriegen wir das ganze Bild.“
Was Tobore Ovuorie in den folgenden Wochen erlebte, ist kaum vorstellbar und online nachzulesen in ihrer Reportage „From Sex Work to Slavery and Murder“ – und zu sehen im Netflix-Film „Òlòtūré“, der nach Ovuories Bericht gedreht und ein Überraschungserfolg wurde. Die Journalistin taucht ein in die Welt der „Mamas“ und „Madams“. Oft sind es weibliche Zuhälter, die den lukrativen Handel mit der Ware Frau unter sich haben. Nach einigen Wochen ist es soweit: Tobore soll, gemeinsam mit neun weiteren Frauen, nach Italien gebracht werden. Doch zuvor werden sie in ein „Trainingslager“ mitten im Niemandsland verfrachtet. Dort lässt „Mama Caro“ Tobore und die anderen einen Vertrag unterschreiben, in dem erstens steht, dass sie die Reise „freiwillig“ antreten, und zweitens dafür 70.000 Dollar „Schulden“ abarbeiten müssen. „Was dann folgte, war wie ein Horrorfilm“, schreibt die Journalistin. Sie wird vergewaltigt und geschlagen. Am Ende sind zwei der zehn verschleppten Frauen tot. Sie werden vor Tobores Augen enthauptet. Denn „Mama Caro“ und ihre Handlanger handeln auch mit Organen.
Noch heute, sieben Jahre später, hat Tobore Ovuorie Flashbacks und Panikattacken. „Aber ich bereue nichts“, sagt sie. Schon als zehnjähriges Mädchen habe sie ihrem Vater, einem Pfarrer, versprechen müssen, „dass ich mich nie zum Schweigen bringen lasse“. Dem inzwischen verstorbenen Vater zeigte sie früher ihre Geschichten, die sie geschrieben hatte, weil sie „als Kind gegen die Ungerechtigkeiten, die ich sah, nichts anderes tun konnte, als sie aufzuschreiben“. Schon damals sei ihr klar gewesen, dass sie Journalistin werden wolle.
Jetzt hat die Deutsche Welle die Journalistin ausgezeichnet. „Wir europäischen Länder tragen eine große Verantwortung für den Frauenhandel“, erklärt DW-Intendant Peter Limbourg. „Ohne uns gäbe es ihn nicht, denn die Kunden sind hier bei uns.“ Für diese „Kunden“ gibt Tobore Ovuorie EMMA noch eine Botschaft mit: „Die junge Frau, der du Geld für Geschlechtsverkehr zahlst, ist sehr wahrscheinlich ein Opfer von Frauenhandel. Das bedeutet: Du, der deutsche Mann, der ins Bordell geht, leistest Beihilfe zum Menschenhandel.“