Unsere Freunde in Katar

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Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wird das Außenministerium von einer Frau geleitet. Im Januar 2022 skizzierte die amtierende Ministerin Annalena Baerbock die Leitlinien ihrer zukünftigen Arbeit. Diese solle im Kern eine menschenrechtsorientierte Klimapolitik und eine feministische Außenpolitik beinhalten. Auch im Koalitionsvertrag steht, die Regierung wolle Rechte, Repräsentanz und Ressourcen von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen wie LSBTI stärken und sich für ihre politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabe einsetzen.

Das sind lobenswerte Ansätze, deren Umsetzung allerdings in der politischen Praxis überprüft werden müssen, wenn sie mehr als leere Rhetorik sein wollen. Doch bereits im Februar 2022 wurden die hehren Pläne einer feministischen Außenpolitik von der Realität eingeholt. Den drohenden Kollaps der Energieversorgung mit unabsehbaren Folgen für die deutsche Wirtschaft und die innere Sicherheit vor Augen, reiste Robert Habeck nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate, um dort für eine Energiepartnerschaft zu werben. Geradezu ikonisch wirken die Bilder des deutschen Vizekanzlers, der mit tief gebeugtem Rücken die Hand des katarischen Handelsministers ergriff.

Was bedeutet das für die Vision der Außenministerin, die Politik feministisch und menschenrechtsbasiert zu gestalten? Schauen wir uns an, wie es um die Menschenrechte und besonders um die Rechte von Frauen und Mädchen in den beiden Ländern bestellt ist. Im Freiheitsindex der Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ belegt Katar Platz sechs von sieben möglichen Plätzen und gilt also als ziemlich unfrei. Der Emir kontrolliert die Legislative, die Exekutive und die Judikative. Politische Parteien? Gibt es nicht. Die Freiheit von Presse und Wissenschaft sind ebenso eingeschränkt wie die Rechte ausländischer Beschäftigter. Die Arbeitsbedingungen von Migranten wurden zuletzt im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft 2022 in den Blick genommen. Sie sind katastrophal. Außenministerin Baerbock hatte deshalb im vergangenen Jahr einen Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft gefordert. Die wird im November/Dezember stattfinden.

Vor allem den katarischen Frauen werden elementare Rechte vorenthalten. Der Islam ist Staatsreligion und das Personenstandsrecht orientiert sich an der Scharia. Konkret bedeutet dies, dass sie unter lebenslanger Vormundschaft ihres Mannes oder eines männlichen Verwandten stehen und keine selbstständigen Entscheidungen treffen können. Dies betrifft Ausbildung und Arbeit, aber auch Reisen und Eheschließungen. In der Ehe gilt die Gehorsamspflicht der Frau, die deren sexuelle Verfügbarkeit miteinschließt. Männer können bis zu vier Frauen heiraten und sich nach Belieben wieder von ihnen scheiden lassen. Für Frauen ist eine Scheidung sehr viel komplizierter und immer mit dem Verlust des Sorgerechts für ihre Kinder verbunden.
Die Situation in den Vereinigten Arabischen Emiraten sieht in vielerlei Hinsicht ähnlich aus. Auch dort sind Arbeitsmigranten weitgehend rechtlos und über das Schicksal weiblicher Hausangestellter wird immer wieder Schreckliches berichtet. Um häuslichen Gewaltverhältnissen zu entkommen, springen sie aus Fenstern, fliehen beim Einkaufen und suchen in den Botschaften ihrer Länder Schutz, weil ihnen die Ausreise untersagt wird.

Wie es um die freie Meinungsäußerung bestellt ist, zeigt das Schicksal des Menschenrechtsaktivisten Ahmed Mansour, der wegen „Schädigung des internationalen Rufes des Emirates“ zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. In Bezug auf die Partizipation von Frauen gehört das Land zu denjenigen, denen das Weltwirtschaftsforum im Rahmen des jährlichen Global Gender Gap Report eine positive Entwicklungsbilanz bescheinigte. Der Emir selbst ist allerdings kein Beispiel für eine emanzipierte Lebensführung. Zwei seiner Töchter sollen versucht haben zu fliehen und werden seither gefangen halten. Eine seiner Frauen versteckt sich seit Jahren vor seinem Zugriff.

Auch die Islamische Republik Iran wurde als mögliche Option für eine zukünftige Energiepartnerschaft erwähnt. Das Land verfügt über die zweitgrößten Gas- und die viertgrößten Ölreserven der Welt. Unter Menschenrechtsbedingungen wäre der Iran noch problematischer als die beiden Golfstaaten. Die religiöse Elite mit einem auf Lebenszeit ernannten obersten Führer hat eine unerbittliche Diktatur errichtet und unterdrückt die Opposition mit Hilfe der Revolutionsgarden.

Ein anderes Mittel der Herrschaftssicherung ist die Justiz, die die Opposition mit drakonischen Strafen einzuschüchtern versucht. So wurde die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh 2018 zu fünf und 2019 zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenschlägen verurteilt, weil sie Frauen verteidigt hatte, die gegen den staatlichen Kopftuchzwang protestiert hatten. Frauen werden per Gesetz gezwungen, ihren Kopf und Körper zu verhüllen. Amnesty International berichtet im Jahr 2021 über Misshandlungen von Gefangenen, sexuelle Übergriffe und unmenschliche Haftbedingungen. Hinzu kommen Todesurteile, die u. a. wegen Homosexualität verhängt werden. Allein im Jahr 2020 wurden 246 Menschen hingerichtet.

Als Ayatollah Khomeini an der Spitze einer Gruppe islamistischer Hardliner im Jahr 1979 im Iran die Macht übernahm, brach für Frauen ein Rückfall in Zeiten eines finsteren Patriarchats an. Sie verloren alle Rechte, die sie im Verlaufe mehrerer Jahrzehnte erstritten hatten und wurden unter die nahezu uneingeschränkte Autorität ihrer Ehemänner gestellt. Häusliche Gewalt wurde als ausdrücklich erlaubte Disziplinierungsmaßnahme verharmlost. Zwangsheiraten nahmen zu und nicht selten waren die Bräute noch Kinder. Khomeini senkte das Heiratsalter von 18 auf neun Jahre, weil Mohammed seiner Ansicht nach ebenfalls einmal eine Neunjährige geheiratet hatte. Heute liegt das Heiratsalter bei 13 Jahren.

Internationale Politik ist keine Spielwiese für Idealisten. Sie kann aber auch nicht allein durch wirtschaftliche und geopolitische Interessen bestimmt werden. Das ist die Lehre aus der blauäugigen Zusammenarbeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dessen kriegerische Aggressionen man in der Vergangenheit ebenso geduldet hatte wie die Verfolgung der Opposition im eigenen Land.

Sie durch eine neue Abhängigkeit von islamistischen Regimen zu ersetzen, führt allerdings in die Irre. Schon einmal haben westliche Staaten die islamistische Karte gespielt und sind damit gescheitert. Es handelte sich um die Aufrüstung der Mudschaheddin in Afghanistan, die in den 1970er Jahren gegen die sowjetische Armee in Stellung gebracht wurden. Daraus entwickelte sich zunächst ein Bürgerkrieg mit Tausenden Toten und dann ein islamistisches Emirat, in dem Mädchen nicht mehr in die Schule gehen durften und es Frauen verboten war, das Haus zu verlassen. Es wäre zu hoffen, dass die neue Regierung aus der Geschichte lernt und wenigstens ein Minimum der Inhalte in die Realpolitik rettet, die unter dem Begriff „Feministische Außenpolitik“ angekündigt wurden

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