Unterzeichnet: Der fatale Staatsvertrag

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Für die Einen ist es ein Meilenstein der Integration, für die Anderen ­irgend etwas zwischen überflüssig und bedenklich. Die Rede ist vom Staatsvertrag, den die Hansestadt Hamburg nun mit der relativ fortschrittlichen alevitischen Gemeinschaft sowie eher traditionellen bis islamistischen wie den Islam-Verbänden DITIB (staatliche türkische Religionsbehörde), VIKZ (Verein Islamischer Kulturzentren) und Schura e.V. Hamburg geschlossen hat.

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Der vom amtierenden Hamburger Oberbürgermeister Olaf Scholz (SPD) gemeinsam mit den Vertretern der Verbände vorgestellte Staatsvertrag steht am Ende eines fünfjährigen Dialogprozesses. Nachdem einige Jahre zuvor vergleichbare Verträge mit den christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft geschlossen worden waren, sollte nun ein deutliches Signal in Richtung Gleichberechtigung der 130.000 Hamburger Muslime und 50.000 Aleviten gesetzt werden. 

Grüne und Linke klatschen Beifall, die FDP beklagt eine „überflüssige Reglementierung“ und die CDU fordert eine messbare Gegenleistung in Form von Verpflichtungen auch auf muslimischer Seite. Von den Kirchen kommt viel Zustimmung und wenig Kritisches. Muslimische Verbände begrüßen weit über Hamburg hinaus die Einstufung der Muslime als Vertragspartner auf Augenhöhe und hoffen im nächsten Schritt auf die Anerkennung als Körperschaft des öffent­lichen Rechts.

Gegenstand des Vertrages sind: die Anerkennung religiöser Feiertage in Schule und Arbeitswelt, muslimische Bestattungsriten sowie ein gemeinsamer Religionsunterricht für evangelische, muslimische und alevitische Kinder, bei dem sich Lehrkräfte der verschiedenen Glaubensrichtungen die Klinke in die Hand geben – eine aus der Sicht von Kritikern verfassungsrechtlich bedenkliche Idee. Der Vertrag sieht auch vor, dass muslimische Schüler künftig anlässlich religiöser Feste einen Rechtsanspruch auf drei schulfreie Tage im Jahr haben und auch muslimischen Arbeitnehmern Urlaub gewährt werden muss, wenn es betrieblich möglich ist.

Letzteres allerdings ist längst Gewohnheitsrecht. Wer aus religiösen Gründen Urlaub beantragt, sei es zur Teilnahme an der Pilgerfahrt oder eben um einen Festtag zu begehen, dem darf dieser Urlaub nur aus zwingenden übergeordneten Gründen abgeschlagen werden. Und in den Schulen ist es weit über die Grenzen Hamburgs hinaus längst Usus, dass muslimische Kinder fallweise an religiösen Feiertagen vom Unterricht befreit werden und das Lehrpersonal bemüht ist, weder an dem Tag selbst noch am Tag darauf eine Klassenarbeit zu schreiben. Warum also eine zusätzliche Vereinbarung? Sie schafft für die Muslime Rechtssicherheit, weckt aber gleichzeitig neue Begehrlichkeiten.

Nehmen wir nur einmal an, dass allen religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen vergleichbare Rechte eingeräumt würden und diese sie auch nutzen – der Schulbetrieb würde zusammenbrechen. Dasselbe gilt für die lückenlose Teilnahme am Unterricht. Grundsätzlich verlangt der Staatsvertrag den Muslimen die Anerkennung des säkularen Schulwesens ab, doch wird bereits jetzt spekuliert, mit welchen Argumenten künftig die Befreiung von Schwimmunterricht und Klassenfahrt zu erreichen sein wird.

Den Weg zu diesem Staatsvertrag ebnete ein unveröffentlichtes Gutachten der Bremer Professorin für Religionswissenschaften Grit Klinkhammer. Auf über 100 Seiten führt die für ihre Islamfreundlichkeit bekannte Autorin aus, dass es sich bei den genannten Vertragspartnern um Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes handele. Doch mit Ausnahme der Aleviten haben wir es durchweg mit Vertretern eines sehr konservativen Islams zu tun, der bekanntlich ein gespanntes Verhältnis zu Werten wie Säkularismus, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter pflegt.

So ist Schura e.V. ein Zusammenschluss von etwa 40 Hamburger Moscheevereinen unterschiedlicher, aber durchweg konservativer Ausrichtung. Darunter ist auch das Islamische Zentrum Hamburg als Vertretung der iranisch-schiitischen Muslime in Deutschland und Außenstelle der Islamischen Republik Iran. Wir wissen nur zu gut, wie man dort zu Demokratie und Menschenrechten steht und mit Andersdenkenden verfährt. Auch die vom Verfassungsschutz beobachtete und als islamistisch eingestufte Islamische ­Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist mit von der Partie.

Auf einschlägige kritische Berichterstattung in der Presse reagierte der Senat pikiert und merkte an, Vertreter der IGMG seien zwar bei den Verhandlungen gewesen, aber nicht in leitender Funktion. Die IGMG vertritt eine extrem konservative Islam-Auslegung, insbesondere auch im Hinblick auf die Rolle der Frauen. Sie bekennt sich offiziell zur Religionsfreiheit, duldet aber beispielsweise in den eigenen Religionskursen und Aktivitäten keine Mädchen ohne Kopftuch und betreibt durch ihre strikte Scharia-Orientierung eine gezielte Desintegration der muslimischen Jugend.

Ebenfalls beteiligt als Vertragspartner ist der VIKZ (Verein Islamischer Kulturzentren). Gegründet 1973 widmet er sich vor allem der religiösen Erziehung muslimischer Kinder und Jugendlicher und fördert die Entstehung immer neuer Schülerwohnheime, in denen diese untergebracht und parallel zum öffentlichen Schulwesen islamisch erzogen werden. Lehrerinnen und Lehrer beklagen die deutlichen Integra­tionsdefizite dieser Kinder.

Und schließlich DITIB, die offizielle Religionsbehörde der türkischen Regierung, die lange Zeit als vergleichsweise moderat, da dem türkischen Säkularismus verpflichtet galt, aber mit Präsident Erdogan eine deutlich konservative Entwicklung genommen hat und intern kaum Pluralismus duldet.

Diese Vertragspartner hat man nun also auf Demokratie und säkulares Schulwesen, Gleichheit der Geschlechter und Religionsfreiheit verpflichtet und verzeichnet das als einen Etappensieg für Integration und gegen Islamismus. Natürlich stimmen die Verbände dem zu, aber wer sagt eigentlich, dass alle dasselbe meinen, wenn sie von Religionsfreiheit oder Gleichberechtigung der Frau reden? Genau das ist eben nicht der Fall, und deshalb ist der Staatsvertrag ein Schuss in den Ofen, zumindest solange die Pflichten und Wertebekenntnisse auf Seiten der Muslime nicht konkretisiert werden.

Den Forderungen aller Kritiker zum Trotz gibt es bisher keine Verpflichtung zur umfassenden Teilnahme am Schulunterricht, kein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst, kein Diskriminierungsverbot gegen Andersdenkende oder gar zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime, kein klares Bekenntnis zum Grundgesetz. Ein Meilenstein der Integra­tion sieht anders aus.
 

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