Vaginale Corona: Der Mythos

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In der letzten EMMA beschrieb Sabine zur Nieden, wie sie als junge Gynäkologin vergeblich nach dem sagenumwobenen Jungfernhäutchen gesucht hat. Trotzdem hält sich die Vorstellung von einer straff über die Vaginalöffnung gespannten dünnen Haut hartnäckig, vergleichbar mit der Frischhaltefolie, die die Waren im Supermarkt versiegelt, um anzuzeigen, dass sie - pardon! - unberührt seien. Diese Analogie ging so weit, dass bis vor nicht allzu langer Zeit, beschädigte Waren - also Frauen ohne intaktes Häutchen - nicht mehr gekauft, sprich geheiratet, wurden.

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„Sprache bestimmt wie wir denken“, erkannte die „Schwedische Vereinigung für aufgeklärte Sexualerziehung“ (Riksförbundet För Sexuell Upplysing - RFSU) und entschied, das ideologiebeladene „Jungfernhäutchen“ (Schwedisch mödomshinna) einfach abzuschaffen und durch den Begriff „vaginale Korona“ zu ersetzen.

„Der mythische Status des Jungfernhäutchens hat viel zu lange viel zu viel Unheil angerichtet. Dabei gibt es überhaupt keine Haut, die anzeigt, ob eine Frau Jungfrau ist oder nicht. Wir wollen Informationen darüber verbreiten, wie der Körper wirklich funktioniert, und dafür benötigen wir eine Sprache, in der das auch kommunizierbar ist“, erklärt Asa Regnér, die Generalsekretärin der RFSU.

Und was ist mit dem vermeintlich wissenschaftlicheren Hymen? Das ist einfach nur Griechisch, auch Hymen bedeutet Membran oder Haut. Tatsächlich handelt es sich bei besagtem „Häutchen“ aber gar nicht um eine stramme Haut, sondern um eine Ansammlung von ringförmig angeordneten Schleimhautfalten, eine Korona halt - ebenfalls griechisch für Kranz oder Krone. Die Korona befindet sich ein bis zwei Zentimeter tief in der Vagina und verschließt diese keineswegs hermetisch. Sollte sie das in Ausnahmefällen doch tun, ist das ein ernstzunehmendes Problem, das behoben werden muss, weil das Menstruationsblut sonst nicht abfließen kann.

Auch wird die Corona keineswegs von dem Penis beim „ersten Mal“ durchstoßen - noch beim Sport und anderen körperlichen Aktivitäten zerrissen. Das ist eine Legende, die dazu führte, dass zahllose Mädchengenerationen angehalten wurden, nicht zu wild zu sein und die Beine stets übereinander zu schlagen. Ganz im Gegenteil sind die intimen Hautfalten ziemlich dehnbar, wie Asa Regnér ausführt: „Die vaginale Korona ist ein Teil des weiblichen Körpers und bleibt das das ganze Leben lang. Sie verschwindet auch nicht nach dem ersten Geschlechtsverkehr. Weniger als die Hälfte aller Frauen bluten übrigens beim ersten Mal.“

Ob eine Frau blutet oder nicht, kann viele Gründe haben: Der Grad ihrer Erregung und ihre Feuchtigkeit sowie die Beschaffenheit ihrer spezifischen vaginalen Korona. Die berühmten Blutstropfen auf dem Laken nach der Hochzeitsnacht sind kein Beweis für die Jungfräulichkeit der Braut, sondern für eine Verletzung, also genau das, wofür Blut - mit Ausnahme von Menstruationsblut - ansonsten auch steht.

Keine zwei Koronas sind gleich, so wie Augen, Nasen, Ohrläppchen und andere Körperteile sich auch von Mensch zu Mensch unterscheiden. Es gibt sie in unterschiedlichen Größen, Formen und Farben. Manche sind eng gefaltet, andere nahezu gar nicht vorhanden und bei Frauen, die keinen Geschlechtsverkehr (mehr ) haben, können die Hautfalten (wieder) zusammenwachsen. Sogar eine Geburt übersteht die vaginale Korona.

Gleichzeitig leben wir in Zeiten des Neovirginismus. Und das nicht nur in Jordanien, wo Jungfräulichkeitstests erst 2009 von Rechtsgelehrten öffentlich verboten wurden. Die „Purity Bewegung“ macht, ausgehend von Amerika, gerade das Ideal der sexuellen Unschuld auch im Westen wieder salonfähig. Auf so genannten Keuschheitsbällen schwören Mädchen ihren Vätern, Jungfrau zu bleiben, bis sie heiraten, allen voran Teenagerstars wie Hannah Montana alias Miley Cyrus. Die Bush-Administration unterstützte Organisationen, die Teenager zu sexueller Enthaltsamkeit anhielten. „The Silver Ring Thing“ beispielsweise, ein Programm, das Jugendliche dazu bringt, anstelle ihres unsichtbaren Jungfernhäutchens einen Ring als Zeichen ihrer Schwurs zu tragen, erhielt mehr als eine Million Dollar von der Regierung. Und auch in England tragen bereits mehr und mehr Jugendliche diese Purity- oder Chastity-Ringe und befinden sich damit mitten im Zeitgeist.

Allein die Synonyme für Jungfräulichkeit - wie Unschuld, wodurch das Verzichten darauf mit Schuld gleichgesetzt wird, oder Unbeflecktheit - machen deutlich, dass es hier nicht um einen körperlichen Zustand geht, sondern ganz andere Dinge dabei verhandelt werden. Egal ob Mädchen von ihren Eltern gesagt bekommen, dass ihre Jungfräulichkeit die „Ehre der Familie“ symbolisiere, oder ob sie mit einer Religion groß werden, in der die einzige weibliche Person, die einen wie auch immer gearteten Anspruch auf Göttlichkeit erheben kann, als Jungfrau charakterisiert wird (die Jungfrau Maria), ist die Botschaft an sie, dass sie nicht selbstbestimmt über ihre Sexualität entscheiden können, sondern von Außen auf einen Aspekt davon reduziert werden.

Von daher liest es sich als erfrischend utopisch, wenn der Schwedische Verband für Sexualaufklärung (RFSU) in seiner Selbstdarstellung schreibt: „Die RFSU betrachtet Sexualität als Menschenrecht und verteidigt die individuelle Freiheit jedes Menschen, selbst zu wählen und zu genießen.“ Ihre Initiative zur Umbenennung des Hymen wurde von Gesundheitsorganisationen weltweit unterstützt und die Broschüre inzwischen auch in Englisch, Arabisch und Sorani Kurdisch übersetzt. 2009 nahm der schwedische Sprachrat die „vaginale Korona“ offiziell als neues Wort auf, was einem Eintrag in den Duden gleichkommt.

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Gibt es das Jungfernhäutchen? (2/10)

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