Krone-Schmalz: Will Putin Frieden?

Gabriele Krone-Schmalz war langjährige Russland-Korrespondentin der ARD. Foto: imago/images
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Sie setzen sich für den Frieden ein, sprachen an der Friedensdemonstration am Brandenburger Tor am 25. November 2023 neben Sahra Wagenknecht. Wie lautet Ihre zentrale Botschaft?
Eigentlich finde ich es richtig, dass sich Journalisten eher zurückhalten. Aber in diesen Zeiten kann man sich Zurückhaltung nicht mehr leisten. Da gehört es dazu, dass man als mündiger Staatsbürger Verantwortung übernimmt. Ich versuche, dazu aufzurufen, das Denken umzustellen, weg von dieser Kriegsplanerei – immer nur über Waffenkategorien zu diskutieren und darüber, was man sonst noch braucht, damit die Ukraine gewinnt. Wir sind in einer Situation, da kann niemand mehr gewinnen. Von daher geht es darum, dass man über politische Pläne nachdenkt, ohne dass man Menschen von vornherein ausgrenzt oder ihnen irgendwelche Etikettierungen anhängt.

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Welche Exit-Strategie würden Sie vorschlagen, um diesen Krieg zu beenden?
Das ist die Hundert-Milliarden-Euro-Frage. Aber es gibt ja Menschen, die sich darüber Gedanken gemacht haben, es gibt Pläne, wie man anfangen könnte. Fakt ist, dass man miteinander reden muss. Ganz klar. Was ich unverschämt finde, ist, dass Entscheidungsträger in Deutschland sagen: Putin will ja gar nicht verhandeln. Woher nehmen die das? Es gibt genügend Äußerungen und Signale in die völlig andere Richtung. Es ist auch klar, welche Interessen eine Rolle spielen. Also warum setzt man sich nicht zusammen und sagt: «So und so und so muss es jetzt laufen.»

Wie beurteilen Sie die Lage?
Nach meinen Informationen, ich sage es mal flapsig, pfeift die Ukraine auf dem letzten Loch. Sie hat selbst mit westlicher Hilfe keine Chance gegen Russlands Power. Wir stecken in einem Stellungskrieg, einem «Abnutzungskrieg», wie ihn manche nennen, ein fürchterlicher Begriff. Wo soll das hinführen? Im Prinzip werden weiter Menschen verheizt, ohne dass es zu einer Entscheidung kommen könnte. Selbst wenn man davon ausginge, was ich nicht tue, dass einer diesen Krieg gewinnt, was hieße das dann politisch? Was würde es politisch bedeuten, wenn Russland verliert? 

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Wie gefährlich ist die Situation?
Sehr gefährlich. Russland ist eine Atommacht. Anfang der 1960er Jahre gab es die sogenannte Kubakrise, wobei Krise der falsche Begriff ist. Es war eine Katastrophe; ein Riesenglück, dass es nicht weiter eskaliert ist. Der damalige amerikanische Präsident John F. Kennedy hat danach gesagt: «Wenn ich eines daraus gelernt habe, dann, dass man eine Atommacht nicht in die Enge treiben darf.» Dinge wie Gesichtsverlust spielen ja auch eine Rolle. Es wäre nicht die erste Situation, in der es eskaliert, eben weil man keine Schwäche zeigen will oder weil man Stärke beweisen muss.

Was will Wladimir Putin? Ist er dieser unberechenbare Herrscher, der neue Hitler, zu dem er von den Medien gemacht wird?
Ich greife mal den Begriff «Hitler» auf. Das finde ich eine Taktlosigkeit. Eine Unverschämtheit. Unsagbar. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie Herr Putin denkt. Ich kann Ihnen nur meine über Jahrzehnte getätigten Recherchen aufbereiten. Es geht um eine grundsätzliche Frage: Ist Russlands Interesse mit expansionistischen Gedanken verbunden? Im Sinne von: heute die Ukraine, übermorgen Berlin? Oder hat es mit Sicherheitspolitik zu tun? Wenn man sowohl Putins Äußerungen analysiert, die Politik, die er bisher betrieben hat, nicht zuletzt in seiner ersten Amtszeit, spricht sehr viel dafür, dass sein Handeln mit der fehlenden Sicherheitsarchitektur zu tun hat. Nicht nur die baltischen Staaten und Polen haben historisch erklärbare Ängste, sondern auch Russland, dafür muss man nur einen Blick auf die Landkarte und in die Geschichte werfen. Ich mache der EU einen Vorwurf, dass sie nicht erkannt hat, wie wichtig es gewesen wäre, diese jeweils verständlichen Ängste als Basis für eine Politik zu nehmen, die Interessenausgleich zum Ziel hat. Stattdessen hat man immer mehr denjenigen Ländern das Wort überlassen, die mit Moskau noch offene Rechnungen haben. 

Frau von der Leyen würde Ihnen sagen: Aber die Ukrainer, die gehören zu Europa, sie haben «westliche Werte». Warum ist das falsch aus Ihrer Sicht?
Weil das eine absolut ahistorische Betrachtungsweise ist. Es ist völlig klar, dass eine ganze Reihe von Ukrainern auch in Richtung Westen geguckt hat. Und jetzt erst recht. Aber wenn man sich die Geschichte der Ukraine anschaut, auch die Vorgänge bis 2014, da war es laut Umfragen immer so, dass sie sowohl gute Beziehungen zu Russland als auch zu Europa haben wollte. Deshalb wäre es mit Blick auf das EU-Assoziierungsabkommen sinnvoll gewesen, wenn sich Moskau, Brüssel und Kiew an einen Tisch gesetzt hätten, um das Beste für die Ukraine herauszuholen.

Was triggert Moskau so sehr, wenn es um einen Nato- und EU-Beitritt der Ukraine geht? Was macht dieses Land für Russland so wichtig?
Das sind jetzt zwei verschiedene Dinge. Wenn die Nato immer weiter ihre Waffen an die Grenze Russlands heranrückt und die Vorwarnzeit bei einem Angriff gegen null tendiert, dann ist das Sicherheitsbedürfnis Russlands tangiert – ob mit oder ohne Putin. Eine andere Geschichte ist die Verbindung zwischen der Ukraine und Russland, die Vermischungen, die familiären Bindungen, die historischen, die traditionellen, das ist ein sehr spezielles Verhältnis. Auch wenn Sie heute mit Ukrainern reden, streiten die das gar nicht ab. Ich glaube, beide Seiten hätten sich nicht vorstellen können, dass sie mal so aufeinander losgehen.

Angenommen, die Ukraine würde tatsächlich EU-Mitglied, was wäre dann?
Dann ginge die EU kaputt. Oder glauben Sie tatsächlich, dass die EU die Ukraine verkraftet?

Glauben Sie, wenn Putin nicht mehr ist, wird das Problem gelöst sein?
Wenn einer wirklich so denkt, ist das an Naivität kaum zu überbieten. Wie wird ein Nachfolger Putins sein? Der wird sich doch nicht mit fliegenden Fahnen in Richtung Westen orientieren, ganz im Gegenteil. Nach dieser Vorgeschichte kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendjemand Putin nachfolgt, der dem Westen die Hand reicht. Diese Zeiten scheinen erst mal vorbei zu sein, wenn vom Westen keine Signale kommen.

Könnte es noch schlimmer werden als jetzt?
Ich bin zurückhaltend mit Prognosen, wir sind genug mit der Gegenwart beschäftigt. Aber ich möchte das nicht ausschließen. Weil Putin, egal, was man gegen ihn sagen möchte, eines nicht war: Er war nicht unberechenbar. Berechenbarer kann man eigentlich gar nicht sein, wenn man auf den Tisch legt: Wir möchten gerne, dass die Ukraine nicht Nato-Mitglied wird, dass die Waffen eben nicht bis an unsere Grenze kommen und und und. Dass man darüber redet – oder diese Interessen wenigstens zur Kenntnis nimmt ... Und das ist ja nicht passiert. Im Gegenteil.

Welches ist das größte Missverständnis des Westens gegenüber Russland und Wladimir Putin?
Ich fürchte, dass die kurze Phase des Vertrauens, die eng mit der Person Michail Gorbatschow und der deutschen Wiedervereinigung verbunden war, kaputtgegangen ist. Diese schon pathologischen Vorstellungen, dass die sich von uns und wir uns von denen bedroht fühlen – aus dieser Spirale müssen wir dringend raus. Aber dazu bedarf es eines starken politischen Willens, den ich so nicht sehe. Bei der Lösung weltweiter Probleme braucht man eben auch Russland. Wir haben nur einen Planeten.

Einer scheint sich komplett zu verweigern: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Wie beurteilen Sie ihn?
Er ist angetreten, indem er sagte: Dieser Krieg, den beende ich, wir kriegen das auf eine vernünftige Art und Weise hin. Das ist nun ganz anders gelaufen. Was ich immer wieder aus verlässlichen Quellen höre, ist, dass die Unterstützung um ihn herum nicht mehr so groß ist, wie sie war. Seine militärische Führung hat andere Prioritäten. Auch die Stimmung in der Bevölkerung ist anders geworden. Die Berichterstattung darüber muss man allerdings mit der Lupe suchen. Ich habe selbst mit einigen Ukrainern gesprochen, die sich zwar sehr vorsichtig äußern, aber halt sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Die Unterstützung bröckelt, ganz massiv in den USA.

Wie lange spielt die USA in diesem Konflikt noch eine Rolle?
Seit zirka hundert Jahren ist es das Interesse der USA, eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland zu verhindern, weil das ein wesentlicher Punkt ist, der den USA gefährlich werden könnte. Das ist, und das möchte ich betonen, ein absolut legitimes Ziel, keine Frage. Nur, wenn dies das Ziel der USA ist, dann können wir ja mal überlegen: Was ist denn das europäische oder das deutsche Ziel? Was sind unsere Interessen? Denn die können ja schwerlich damit in Übereinstimmung gebracht werden. Es gibt da sicher Schnittmengen. Aber es gibt eben auch Punkte, in denen es anders ist. Es kann nicht im europäischen Interesse sein, einem Nachbarstaat wie Russland in einer derart feindlichen Weise verbunden zu sein, wie wir das jetzt sind.

Wenn wir an Gerhard Schröder zurückdenken, war stets von der «Äquidistanz» die Rede. Man wollte gleiche Distanz zu Washington halten wie zu Moskau. Wäre das realistisch für die Zukunft? Oder eine Illusion?
Wenn ich sagen würde, es sei illusorisch, dann müsste man alle Hoffnung fahren lassen. Ich gehe davon aus, und es gibt ein paar Anzeichen, dass manche Menschen doch ans Denken kommen, dass es, wenn es so weiterläuft, nur nach unten gehen kann und man vielleicht doch ein bisschen umsteuern muss.

Wie ist es eigentlich bei Ihnen, wenn Sie unterwegs sind? In den Medien werden Sie als «Russland-Versteherin» geschmäht. Wie reagieren die Leute auf Sie?
Die Lebenswirklichkeit auf der Straße spiegelt das nicht. Und das, was ich an Zuschriften bekomme, spiegelt das auch nicht. Der Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung scheint mir doch ein ziemlich großer zu sein.

Was halten Sie generell von der Medienberichterstattung? Was für ein Zeugnis stellen Sie Ihren Kollegen aus?
Schwierig. Ich kenne genug Kollegen, die jeden Tag darum kämpfen, das machen zu können, was sie als richtig ansehen. Aber Fakt ist, dass es gerade mit Blick auf Russland und die Ukraine doch eine sehr, sehr, sehr, sehr einseitige Berichterstattung gibt. Und das stört mich, weil das hat mit meinem Verständnis von Journalismus nicht viel zu tun. Es wird ja oft gesagt, Journalisten müssten Haltung zeigen – ja, ich bin auch dafür, Haltung zu zeigen, wenn es darum geht, Rückgrat zu haben. Wenn aber «Haltung zeigen» heißen soll, sich in einem Meinungsstreit auf eine Seite zu stellen, hat das nichts im Journalismus zu suchen.

Was halten Sie vom Verbot von Russia Today in der EU und in Deutschland?
Alle Verbote in diese Richtung finde ich unsäglich, das kommt mir so feudalistisch vor. Wenn wir ein demokratisches System haben mit einer vernünftigen Bildung, dann kann es nicht sein, dass irgendjemand darüber bestimmt, welche Inhalte die Menschen in dieser freien Gesellschaft zur Kenntnis nehmen dürfen. Auf einer anderen Ebene betrifft das auch die Flugverbindungen mit Russland. Ich fühle mich da in meiner persönlichen Freiheit drastisch eingeschränkt.

Wieso sind Sie eigentlich derzeit nie in deutschen Talkshows? Sie waren da ja früher oft zu Gast.
Seit der Krieg ausgebrochen ist, bin ich nicht mehr eingeladen worden. Mal schauen, wie sich das entwickelt, ob sich das mal wieder ändert. Wobei ich sagen muss, wenn die Dramaturgie dieser Sendungen tatsächlich so ist, dass einer hingesetzt wird, und der Rest fällt über ihn her, dann muss man das, glaube ich, auch nicht unbedingt haben.

Schlussfrage: Was wäre Ihr Top-Tipp, damit der Journalismus sich bessert?
Ich verwende immer zwei Begriffe: Perspektivwechsel und Panoramablick. Wer das praktisch umsetzt, ist im Journalismus gut unterwegs. Ich glaube, das könnte den Boden dafür bereiten, dass wir wieder umsteuern und uns nicht gegenseitig nur Dinge um die Ohren hauen, die zur Eskalation, aber nichts zu einer Lösung beitragen.

Und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Frieden, das ist so simpel. Frieden, und dass der Frieden bleibt. Denn so sicher ist das nicht mehr, wie das mal war.

Das Interview führte Roman Zeller und es erschien zuerst in der Schweizer Weltwoche. Hier lesen!

Gabriele Krone-Schmalz ist die wohl führende Russlandexpertin im deutschsprachigen Raum. Von 1987 bis 1991 berichtete die heute 74-jährige Journalistin als ARD-Korrespondentin aus Moskau, schrieb mehrere Bücher über Russland, 2008 erhielt sie die Puschkin-Medaille für ihre Verdienste um die deutsch-russischen Beziehungen.

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