Die Bloggerinnen kommen

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Zwei von drei WebloggerInnen sind Frauen – und etliche so erfolgreich wie Katharina Borchert (Foto). Aber haben Frauen im Netz wirklich die Nase vorn?

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Katharina Borchert sitzt in einem Café in Berlin-Mitte, neben sich Rollkoffer und Laptoptasche, sie sagt: „Ich hätte nie gedacht, dass mir mein Blog einmal so viele Türen öffnen wird.“ Sie ist beruflich in der Hauptstadt, am Abend zuvor hat sie im Deutschen Historischen Museum einen Preis überreicht bekommen. Vom Branchenblatt medium magazin wurde die 34-Jährige als „beste Newcomerin“ unter den 101 Journalisten des Jahres ausgezeichnet.
Seit August ist Borchert die Online-Chefredakteurin der Westdeutschen All­gemeinen Zeitung, Deutschlands auflagenstärkster Regionalzeitung. Sie soll dafür sorgen, dass das Essener Zeitungsimperium Anschluss an die neuen Medien findet, soll für das traditionelle Haus einen zeitgemäßen Internet-Auftritt entwerfen.
Das ist ein Aufstieg, mit dem nicht zu rechnen war. Als Katharina Borchert vor fünf Jahren begann, skurrile und amüsante Geschichten aus ihrem Leben im Internet zu veröffentlichen, da war es für sie zunächst nur ein Spaß, ein kreativer Ausgleich zu ihrem Jurastudium, zumal ihr immer klarer wurde, dass sie nicht ein Leben lang Arbeitsverträge prüfen wollte. „Damals galt Bloggen noch als Sportart für Spinner“, sagt sie. Ihre Internet-Seite „Lyssas Lounge“ fand aber schnell Fans, die sie weiterempfahlen.
Und so schrieb Borchert weiter: über ihren eigenwilligen Hund, endloses Warten beim Arzt und den Liebeskummer ihres Zeitungshändlers. Langsam stiegen die Clickzahlen, um „Lyssas Lounge“ entstand ein Hype im Internet – das half ihr auch außerhalb der virtuellen Welt. „Ich bekam wegen meines Blogs viele Aufträge als freie Journalistin“, sagt Borchert. Und als Angela Merkel im vergangenen Sommer anfing, jede Woche eine Ansprache per Video im Internet zu verbreiten, war Bochert diejenige, die ins Kanzleramt eingeladen wurde, um der Kanzlerin zu erklären, wie ihre „Vodcasts“ im Netz lebendiger rüberkommen. Die ersten „Blogs“, die damals noch Online-Tagebücher hießen, tauchten Mitte der neunziger Jahre im Netz auf. (Für Nicht-BloggerInnen: Der Begriff „Blog“ ist eine Abkürzung für Weblog – ein Kunstwort aus „Web“ und „Logbuch“). Damals waren sie eher Internet-Erfahrenen vorbehalten, weil die Technik einiges voraus­setzte – heute kann jede und jeder mit rudi­mentären PC-Kenntnissen sowie einem Internet-Zugang ein Blog führen. Die Software ist nicht komplizierter zu bedienen als ein E-Mail-Programm.
Die Online-Tagebücher erleben daher einen Boom, dessen Ende noch lange nicht abzusehen ist. 200 Millionen BloggerInnen gibt es nach Schätzungen mittlerweile weltweit! Etwa 500.000 sollen es in Deutschland sein. Die Welt, die sie sich geschaffen haben, wird Blogosphäre genannt, sie ist ein wichtiger Teil des Web 2.0. Denn längst wird das Netz nicht mehr nur von Profis gestaltet, sind viele NutzerInnen von KonsumentInnen selbst zu ProduzentInnen geworden.
So ensteht eine neue Form der Öffentlichkeit, in der alte Hierarchien und Grenzen aufweichen. Laut einer neuen Studie der Ruhr-Universität Bochum sind 60 Prozent der deutschen BloggerInnen weiblich. Und wenn in den traditionellen Medien von den Stars der Blogosphäre die Rede ist, dann sind das meistens Frauen.
Klingt gut, oder? An der Ruhr-Universität Bochum haben die Sozialwissenschaftlerinnen Cilja Harders und Franka Hesse die deutsche Blogosphäre auf geschlechtsspezifische Unterschiede untersucht. Ergebnis: Obwohl mehr Frauen als Männer regelmäßig online schreiben, tauchen Frauen in den Ranglisten der häufig verlinkten Blogs seltener auf. Bei den so genannten A-Blogs, den Top 100 in Deutschland, beträgt ihr Anteil nur knapp 30 Prozent (was immer noch mehr sein dürfte, als der Anteil der Autorinnen in deutschen Printmedien).
Die Wissenschaftlerinnen erklären das damit, dass ein großer Anteil der weiblichen Blogger noch Teenager sind. Sie schreiben oft nur für einen sehr engen Kreis, notieren online Neuigkeiten für die besten Freundinnen. „Männer bloggen häufiger über politische, tagesaktuelle Themen und erlangen damit eine höhere Aufmerksamkeit“, sagt Franka Hesse.
Das Medium ist neu, die Inhalte sind anders, aber die Schwerkraft der alten Mechanismen wirkt auch im Cyberspace: Hesse sagt, mit den Blog-Ranglisten würden im Netz alte Grenzen neu gezogen, es lasse sich die Tendenz beobachten, alte Hierarchien zu errichten. Die Trennung zwischen privat und politisch werde so erneut etabliert, mitsamt der vertrauten geschlechtsspezifischen Zuschreibungen, meint Hesse. „Dabei ist doch gerade das Spannende an Blogs, dass sie diese Trennung überwinden könnten“, sagt die Blog-Forscherin.
Doch meist profitierten vom Internet nur diejenigen, die schon außerhalb des Netzes eine öffentliche Stimme haben. Die erfolgreichen Frauen in der Blogosphäre sind entweder, wie Katharina Borchert, sehr netz-affin und früh dabei – oder sowieso schon Journalistinnen, die abseits von Redaktionszwängen experimentieren.
Wie zum Beispiel Mercedes Bunz. Seit Juli ist die 35-jährige Chefredakteurin des Berliner Stadtmagazins zitty. Nebenher führt sie ihr Blog weiter, in dem sie nicht nur diskutiert, welches Handy sie sich kaufen will, sondern auch über das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ nachdenkt und Hannah Arendt zitiert. Ihr Blog ist anders als die meisten anderen. Bunz ist promovierte Kulturwissenschaftlerin (Promotionsthema: Die Geschichte die Internets), sie war Mitbegründerin des Magazins De-Bug, das sich mit „elektronischem Lebensstil“ von Techno bis Internet beschäftigt. Als das Angebot von zitty kam, entschied sie sich gegen die Post-Doc-Stelle an der Uni. Ihre Texte lesen sich oft wie Bruchstücke größerer Gesellschaftsanalysen. „Beim Bloggen sollte es um mehr gehen als nur um das eigene Ich“, findet Bunz. „Ich blogge, weil es mich dazu zwingt, nachzudenken und die Dinge auf den Punkt zu bringen.“
Viele Ideen, die sie später zu größeren Texten ausarbeitet, probiert sie erstmal im Netz aus. „Ich sehe dann, welche Kommentare kommen und wie die Diskussion verläuft.“ 2.500 LeserInnen besuchen täglich die Internet-Seite von Bunz, in der Blogosphäre ist das eine mittlere Größe. „Ich erreiche damit eine sehr spezielle Zielgruppe. Aber das hat durchaus Vor­teile: Ich muss nicht erst erklären, wer Hannah Arendt ist.“
Dass Männer und Frauen unterschiedlich bloggen, Männer etwa aggressiver schreiben, glaubt die zitty-Chefin nicht: „Man muss aufpassen, sonst schreibt man Geschlechterklischees hier einfach nur fort.“ Schließlich ist es für alle eine gute Sache, dass sich heute eine jede und ein jeder im Internet ausprobieren kann, auch ohne ein Netz von Beziehungen. Texte sind dabei nicht die einzige Form. Längst sind viele Blogs multimedial, bieten selbstproduzierte Audio- und Videoda­teien zum Download an.
Einfach mal etwas ausprobieren, auch Annik Rubens Internet-Karriere begann so. Die 30-Jährige ist heute Deutschlands bekannteste Podcasterin. „Schlaflos in München“ heißt ihre regelmäßige Internet-Radiosendung. Die einzelnen Folgen laden sich durchschnittlich 10.000 Menschen herunter, Spitzenfolgen erreichen bis zu 20.000 HörerInnen.
Als Filmredakteurin bei einer Fernsehzeitschrift wurde ihre Probezeit nicht verlängert. Bei einem Radiosender hatte Annik Rubens nach drei Probetagen eine Absage erhalten. Ihre Stimme sei unfertig, bekam die studierte Amerikanistin, die eine deutsche Mutter und einen armenischen Vater hat, zu hören. Also beschloss sie, über das Netz eine eigene Sendung zu verbreiten, produziert am heimischen Schreibtisch.
Rubens kaufte sich ein Mikrofon, schloss es an ihren PC an und probierte so lange herum, bis sie die Technik im Griff hatte. Im März 2005 konnte man „Schlaflos in München“ erstmals hören. Drei bis fünf Minuten sind die einzelnen Folgen lang, in denen sie über alles plaudert, was sie interessiert. Sie gibt Buchtipps, erzählt von ihrer Katze oder denkt über das Erwachsenwerden nach. „Gleich nach der ersten Folge kamen Mails von Hörern, und ich war mit dem Podcasting-Virus infiziert.“
Annik Rubens heißt eigentlich Larissa Vassillian. „Annik ist eine Stimme, die die Hörer drei Minuten am Tag hören. Larissa ist 24 Stunden am Tag da – aber nur für Freunde und Familie.“
Obwohl sie mit ihrer Sendung nichts verdient, kann sie vom Podcasting leben. Als Pionierin des neuen Mediums hält sie Vorträge, gibt Seminare, macht für Unternehmen wie Ikea und Warner Music Auftragsproduktionen und hat auf der Internetseite des Bayerischen Rundfunks mittlerweile einen eigenen Podcast. Außerdem hat sie das erste deutschsprachige Buch zum Thema Podcasting geschrieben.
Als Frau ist Rubens/Vassillian dabei noch eine Ausnahme. Die meisten PodcasterInnen sind männlich, ebenso wie 85 Prozent ihrer Hörer. Nach 400 Folgen von „Schlaflos in München“ brauchte sie erstmal eine Pause. Der Erfolg hat die tägliche Sendung zu einer lästigen Pflicht werden lassen, die spontane Freude war weg. Doch seit Mitte Dezember gibt es wieder neue Folgen, in unregelmäßigen Abständen. Das Wichtigste sei schließlich, dass es ihr selbst Spaß mache, sagt Rubens. „Diese Freude überträgt sich dann ganz von allein auf meine Hörer.“
Auch für Katharina Borchert ist klar: Das Bloggen ist eine große Chance für Frauen. Blogs könnten „kreatives Ventil“ sein, aber genauso Ausgangspunkt, um sich mit anderen zu vernetzen – zum Beispiel um für eine gemeinsame Sache zu kämpfen. Oder aber eben Start in eine Karriere. „Nur ein dickes Fell sollte man sich zulegen, wenn man sich in die Blogosphäre traut.“
Hemmungslos subjektiv und unausgewogen wie der Stil vieler Blogs sind meist auch die Reaktionen. Milde gesagt. Persönliche Angriffe gehören im Netz dazu. Katharina: „Ich kann mir vorstellen, dass Frauen sich dadurch eher abschrecken lassen als Männer“. Sie weiß nur zu gut, wie verletzend die Kritik sein kann. Als sie ihren Wechsel zur WAZ ankündigte, machte sie das nicht nur zur bekanntesten deutschen Bloggerin, sondern auch zur unpopulärsten.
Es gab viel Häme aus der Szene, in der man den Gestus des Nonkonformistischen pflegt. Die Rede war vom „Ausverkauf der Blogospähre“, zudem sei Borchert für den Job gar nicht geeignet, sie habe doch immer nur über Banales, über ihren Alltag geschrieben. Wie sollte eine Frau, die bis vor kurzem noch nebenbei eine Internet-Sexkolumne geführt hatte, plötzlich gegen die WAZ-Chefredakteure bestehen, hieß es. „Es war auch viel Neid dabei“, sagt die Bloggerin, die mit ihrem Blog selbst nie Geld verdient hat. „Die Diskussion entglitt in weniger als 24 Stunden auf eine extrem persönliche Ebene.“
Ein Blogger verpasste Katharina Borchert, mit ihrem langen schwarzen Zopf und dem dunklen Brillengestell, den Spottnamen Peitschen-Borchert und fantasierte fröhlich drauf los, wie sie die WAZ-Redakteure nun mit einer Peitsche zum Bloggen zwinge. Plötzlich kursierten im Netz Details, die das Bild eines reichen Mädchens aus gutem Hause entstehen ließen, schließlich war ihr Vater mal CDU-Landwirtschaftminister gewesen. Dass sie Jura studiert hatte, passte ins Bild.
„Die Kritik hat mich getroffen, weil sie so unfair ist“, sagt Borchert. Vor allem von männlichen Bloggern kamen die Angriffe. „Männer bloggen einfach lauter, aggressiver“, sagt Katharina. „Immer nach der Devise: viel Feind, viel Ehr.“
Gerade fangen Frauen wie Katharina Borchert an, sich Feinde zu machen.
 

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