Berliner Kiez: Die Box-Girls

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Celina betritt die Sporthalle und läuft auf den Box-Sack zu. Sie konzentriert sich, spannt ihren Körper an. Sie neigt sich nach vorne und schlägt mit blanken Fäusten auf das Leder. Jeder Schlag macht ein dumpfes Geräusch. Der Box-Sack gibt nach. Celina fokussiert seine Mitte und boxt, boxt, boxt. Linke Faust, rechte Faust, die Linke, die Rechte. Kein Schmerz. Fokussieren. Links, rechts, links, rechts. Dann tritt sie einen Schritt zurück, den Blick hat sie fest auf den ledernen Gegner gerichtet. „Ich will Profi-Boxerin werden“, sagt Celina, das Box-Girl.

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Ein Dutzend Box-Girls sind schon da, zwei Mal in der Woche kommen sie zum Training in die Turnhalle in der ehemaligen Grundschule in Kreuzberg. Zwischen elf und 15 Jahren alt, zwischen 1,60 und 1,75 Meter groß; kräftig, schmächtig, schüchtern, laut.

Die Mädchen trainieren einen Sport, der wie kein anderer mit Männlichkeit und Gewalt assoziiert wird. Aber hier, in der Halle in der Bergmannstraße, machen nicht Männer das Gesetz. Am Rand des Box-Rings liegt ein Paar Box-Handschuhe, daneben ein Armband aus Strasssteinen. Zwischen Sandsäcken und Punching-Bällen stehen Mädchen in kleinen Grüppchen eng beisammen, wie nur Mädchen das tun, wenn sie tuscheln und tratschen. Das Handy in der Hand, Kaugummi kauen, kurz noch eine SMS an die beste Freundin tippen. Gleich geht das Training los.

„Mädels, in den Ring!“ ruft Trainerin Sarah Bitterling. Die drahtige Erzieherin und Studentin der Sozialarbeit geht, trotz ihrer 31 Jahre, mit ihrem zerzausten, kurzen Haar und der Baggy-Hose fast selbst als Box-Girl durch. Aber das täuscht. Sie ist seit sieben Jahren amtierende Punkte- und Ringrichterin, die sowohl Frauen- als auch Männerkämpfe bewertet. Bis vor kurzem war sie sogar die einzige. Doch für die Mädchen ist sie vor allem eine Kumpelin.

Gerade steht es Zwölf zu Null beim Motivations-Kampf Kumpelin gegen trotzige Mädchen. Kein Box-Girl will sich so recht rühren. Bitterling lächelt. So ist das halt.

„Mädels, Vorstellungsrunde für unseren Gast!“ sagt die Trainerin jetzt lauter und klatscht in die Hände. Die Mädchen klettern über die Absperrungsseile und lassen sich auf die dicke, blaue Matte ­fallen. Draußen ist es warm. Fußball im Park wäre jetzt eine willkommene Alternative. „Dann legt mal los!“, sagt Bitterling aufmunternd.

„Hallo, ich bin Celina, ich bin 15 Jahre alt, komme aus Kreuzberg und boxe seit zwei Jahren“, sagt Celina. „Ich bin Jette.“ – „Ich bin Nur aus Neukölln und boxe seit neun Monaten“ – „Ich bin Nele, ich bin 15 Jahre alt …“ Ich bin … Es geht der Reihe nach. Die Mädchen trainieren hier zwei Monate, neun Monate, mehrere Jahre. Darum geht es hier: Schülerinnen lernen zu boxen, sie entwickeln Körperkontrolle und Teamfähigkeit.

In Europas größtem Box-Verein für Frauen und Mädchen geht es um die alltäglichen Herausforderungen, die für junge Frauen heute eher größer als kleiner sind. Vor allem, wenn sie nicht aus einem privilegierten, aufgeklärten Elternhaus kommen, wo der Lebensweg quasi vor ihnen liegt. In dieser Halle in Kreuzberg sitzen Gymnasiastinnen neben Hauptschülerinnen. Die Mutigen neben den Schüchternen. Musterschülerinnen neben ­Auf­sässigen, die Stress mit Lehrern und Mitschülern haben. Für die im schlimmsten Fall Gewalt in der Familie oder auf der Straße ein Thema ist. Mädchen aus deutschen, türkischen, russischen, polnischen Familien, die im Berliner Alltag ihren eigenen Weg suchen. Sie sollen lernen, sich im Notfall auch körperlich gegen Angriffe verteidigen zu können. Und lernen, wütend zu sein. Nicht alles in sich reinfressen. Nein: Es raus lassen! Schlag für Schlag!

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