Maas und Jolie gegen sexuelle Gewalt

Angelina Jolie und Heiko Maas im März in New York.
Artikel teilen

Angelina Jolie lässt nicht locker. Diesmal hat sich die UNHCR-Sonderbotschafterin mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas zusammengetan - für ihren inzwischen jahrelangen Kampf gegen sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe. „Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt werden als Kriegs- und Terrortaktik weltweit genutzt. Diese Straffreiheit hat verheerende Konsequenzen", heißt es in ihrem gemeinsamen Gastbeitrag in der Washington Post.

Anzeige

Die Bundesregierung hat seit dem 1. April erstmals seit fast sieben Jahren für einen Monat den Vorsitz im mächtigsten UN-Gremium - und hat das Vorgehen gegen sexuelle Gewalt in Konfliktgebieten zu einem der Schwerpunkte im UN-Sicherheitsrat gemacht. Ziel: eine UN-Resolution gegen sexuelle Gewalt in Krisengebieten.

Schon zuvor hatten Maas und Jolie mit Überlebenden aus Ländern wie Irak, Bosnien und Sierra Leone gesprochen. Die hätten sie eindringlich gebeten, gegen den Mangel an strafrechtlicher Verfolgung zu kämpfen, der dazu führt, dass sexuelle Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten weiterhin grassiert. Ohne dass die Täter je zur Rechenschaft gezogen werden.

Dabei ist es inzwischen schon über 40 Jahre her, dass die US-Feministin Susan Brownmiller diese Kriegs-Strategie in ihrem wegweisenden Buch „Gegen unseren Willen“ analysiert hat; als  wesentlichen Bestandteil der Demoralisierung und Erniedrigung der Gegner in Kriegszeiten. Im Juni 2008 haben die Vereinten Nationen dann die Resolution 1820 verabschiedet. Darin erklärten sie „Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt“ zum „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Getan hat sich seither: zu wenig.

Niemand weiß das so gut wie der Arzt und Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege, der eine Klinik für traumatisierte Frauen im Kongo betreibt. Er behandelt inzwischen drei Generationen vergewaltigter Frauen: Mutter, Tochter und Enkel im Kleinkindalter. Mukwege wird heute auf einer Sondersitzung im UN-Sicherheitsrat unter dem Vorsitz Deutschlands sprechen, auf der es um konkrete Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt in Konfliktgebieten gehen soll. Neben Mukwege spricht auch die Jesidin Nadia Murad, die monatelang von IS-Kämpfern festgehalten und vergewaltigt wurde. Für den Mut, von diesem Grauen öffentlich zu berichten, ist sie im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney wird ebenso erwartet.

Maas und Jolie plädieren für drei Schritte, um sexueller Gewalt in Krisengebieten zu begegnen. Zunächst müsse eine Verbesserung der Ermittlungsmöglichkeiten für diese Straftaten erreicht werden, schreiben sie. Um Täter zur Verantwortung zu ziehen, wollen sie Mechanismen zur Beweisfindung stärken. Ein entscheidender Schritt sei es zudem, eine konsequente Strafverfolgung herzustellen. Schließlich soll die Unterstützung von Opfern stärker in den Fokus rücken, indem diese vollen Zugang zu Justiz sowie finanzieller und emotionaler Unterstützung erhalten. Das schließe auch Männer ein, die Opfer sexueller Gewalt geworden seien sowie Kinder von Vergewaltigungsopfern.

Vergleichbare Forderungen hatte Jolie schon vor fünf Jahren zusammen mit dem früheren britischen Außenminister William Hague aufgestellt. 146 Seiten lang war das gemeinsame Protokoll, das Richtlinien festlegt, wie Mitarbeiter von internationalen Organisationen in Kriegs- und Konfliktgebieten sexuelle Gewalt erkennen, dokumentieren, analysieren und bekämpfen können.

„Es herrscht dringender Handlungsbedarf!“ schreiben Jolie und Maas in der Washington Post. So ist es.

Artikel teilen

Nadia Murad hat es gewagt

Nadia Murad war "die erste IS-Überlebende, die den Mut hatte, ihr Schweigen über die Gräueltaten zu brechen". - © Cia Pak/UN Photo
Artikel teilen

3.991 Kilometer sind es von Mossul nach Heilbronn. Diese Strecke hat Nadia Murad zurückgelegt, nachdem sie sich aus der IS-Gefangenschaft befreit hatte und in Baden-Württemberg gemeinsam mit weiteren 1.100 jesidischen Frauen und Kindern Zuflucht gefunden hatte. Der Schritt aber, den die junge Frau im Herbst 2014 innerlich machte, ist in seiner Größe gar nicht zu beziffern: Nadia entschloss sich, öffentlich über das zu reden, was ihr und Tausenden anderen jesidischen Frauen angetan worden war.

Anzeige

Am 3. August 2014 wurde ihr Dorf Kocho im irakischen Sindschar-Gebirge vom IS überfallen. Nadia wurde, zusammen mit den anderen Mädchen und Frauen, in eine Schule getrieben. Die Männer wurden massakriert, darunter sechs ihrer Brüder und zwölf weitere Familienmitglieder. Später erfuhr Nadia, dass man auch ihre Mutter ermordet hatte.

Bevor die Katastrophe über sie hereinbrach, hatte die 21-Jährige Lehrerin werden wollen. Stattdessen wurde sie drei Monate lang gefangen gehalten, geschlagen und vergewaltigt. Als ihr Peiniger das Haus verließ, konnte sie entkommen. Nadia Murad schaffte es in ein Flüchtlingslager im kurdischen Grenzgebiet. Und dort entschied sie sich, Zeugnis abzulegen.

Nachdem ihr die Flucht gelang, entschied Nadia Murad, Zeugnis abzulegen

Dass sie auch gehört wurde, ist einer anderen mutigen Jesidin zu verdanken. Zu diesem Zeitpunkt war die deutsch-jesidische Journalistin Düzen Tekkal (EMMA 1/18) im Flüchtlingslager unterwegs, um die Massaker an den Jesiden und Jesidinnen an die Öffentlichkeit zu bringen. Auch in der jesidischen Community ist eine vergewaltigte Frau eine Schande für ihre Familie. Dennoch war Nadia Murad „die erste IS-Überlebende, die den Mut hatte, ihr Schweigen über die Gräuel­taten zu brechen“, erinnert sich Tekkal. Eine „zarte, zerbrechliche Person“ sei sie gewesen. „Aber ich habe diese Stärke in ihren Augen gesehen.“

Seither spricht Nadia Murad über sexuelle Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe. Zunächst in Tekkals Dokumentation „Hawar – Meine Reise in den Genozid“. Und schließlich in der ganzen Welt. Am 14. Dezember 2015 sitzt eine blasse Frau vor einem Mikrofon in einem Saal in London und berichtet mit fester Stimme den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates von dem Grauen. „In dem Gebäude waren Tausende jesidische Frauen und Kinder, die als ‚Geschenke‘ ausgetauscht wurden.“ Schließlich bittet sie die Anwesenden: „Ich flehe Sie an“, sagt sie, „all die Verbrechen gegen Frauen und Kinder in Syrien, im Irak, in Somalia oder Nigeria müssen ein Ende finden. Überall auf der Welt – so schnell es geht!“

Nachdem Nadia Murad in das baden-württembergische Flüchtlingsprogramm von Ministerpräsident Kretschmann aufgenommen wird, lebt sie zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft in Heilbronn. Von hier aus kämpft sie weiter unermüdlich gegen das Schweigen. Sie spricht mit Kanz­lerin Merkel und redet auf dem Parteitag der Grünen. Sie hält eine bewegende Rede vor der UN-Vollversammlung in New York. Sie wird zur ersten UN-Botschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel.

Sie will über
den erlittenen Missbrauch nicht schweigen

Aber die Jesidin will mehr: Sie will, dass die Täter, die ihr und Tausenden jesidischen Mädchen und Frauen diese entsetzliche Gewalt angetan haben, vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden. Dafür findet sie eine starke Mitstreiterin: die Menschenrechts-Anwältin Amal Clooney.

„Nadia Murad hat ungewöhnlichen Mut gezeigt“, erklärte Berit Reiss-Andersen vom Nobelpreis-­Komitee. „Sie weigerte sich, die soziale Regel zu akzeptieren, dass Frauen über den erlittenen Missbrauch schweigen und sich dafür schämen sollten.“

Nadia Murad lebt heute halb bei Stuttgart und halb in Washington. Denn dort ist ihr Lebens­gefährte, der Übersetzer Abid Shamdeen. Eigentlich wollten die beiden in diesem Herbst heiraten. Doch es kam etwas dazwischen: der Anruf aus Oslo. Die Hochzeit soll baldmöglichst nachgeholt werden.

Weiterlesen
 
Zur Startseite