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Annegret Soltau: Schrei ohne Worte

"generativ - Selbst mit Tochter, Mutter und Großmutter" (1994). © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Rolf Gönner
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Die uneheliche Tochter einer Dienstmagd, aufgewachsen bei der Großmutter, kam von weit her. Umso größer war der Raum für ihre ganz eigene Entwicklung als Künstlerin. Jetzt wird ihre Arbeit eines halben Jahrhunderts endlich angemessen gewürdigt. Das Städel Museum in Frankfurt zeigt in einer Retrospektive 80 ihrer Bilder und Objekte. Hier die Künstlerin im Gespräch mit den Kuratorinnen der Ausstellung. – Abbildung: "generativ - Selbst mit Tochter, Mutter und Großmutter" (1994).

Annegret, was hat dich dazu bewogen, den Weg in die Kunst einzuschlagen und schließlich ein Studium zu beginnen?
Mein erster Plan war, wie meine Mutter „in Stellung“ zu gehen, also bei einem Landwirt zu arbeiten, oder in einem Süßwarenladen eine Anstellung zu finden. In meiner Jugend wusste ich zunächst nicht einmal, dass es so etwas wie Kunst überhaupt gibt. Doch tief in mir hatte ich das Gefühl, dass es mehr geben musste als das, was mir in meinem Umfeld zugänglich war. Der Kontakt mit einem Amateurmaler und einem Bildhauer, der in der Werkstatt unserer Kirche arbeitete, war für mich ein prägendes Erlebnis – auch wenn diese Begegnungen nichts an den begrenzten Möglichkeiten meiner Lebensrealität änderten. Schon früh zog ich alleine fort und nahm Arbeit an, um mich über Wasser zu halten. Einen entscheidenden Impuls gab mir ein Lehrer, der mich dazu ermutigte, die Handelsschule in Winsen, unweit von Hamburg, zu besuchen. Schließlich fand ich eine Anstellung bei einer Bank. Zufällig stieß ich dort in einem Antiquariat in der Nähe auf etwas, das alles veränderte: Post­karten mit Kunstmotiven und kleine, preiswerte Reclam-Hefte – für 30 oder 50 Pfennig. Ich kaufte Bücher von Hölderlin, Goethe und anderen, die mir bis dahin völlig fremd gewesen waren, und verschlang sie geradezu. Unter den Postkarten war „Die brennende Giraffe“ von Salvador Dalí, und ich spürte sofort eine tiefe Verbindung: „Das bin ich!“, dachte ich. Rückblickend begann mein Weg zur Kunst genau dort. Schon in der Volksschule zeichnete ich leidenschaftlich gerne, doch zu Hause fehlte es an Material – weder Papier noch Stifte standen mir zur Verfügung.

Die Mai/Juni Ausgabe gibt es als eMagazin oder Printheft im www.emma.de/shop
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Wenig später, 1967, gelang es dir, dich an der Hochschule für bildende Künste Hamburg einzuschreiben?
Nach meiner Kündigung bei der Bank ging ich nach England und arbeitete zunächst als Au-pair in einer Familie mit vier kleinen Kindern – eine herausfordernde und schlecht bezahlte Aufgabe. Gleichzeitig besuchte ich einen Kunstkurs. Zurück in Hamburg, lernte ich einen Kunststudenten kennen, der mir riet, einen Mappenvorbereitungskurs zu machen. Währenddessen arbeitete ich als Medizinisch-technische Assistentin bei einem Unfallarzt und später als Zimmermädchen, um den Kurs zu finanzieren. Ich wurde an der Hochschule für bildende Künste Hamburg angenommen.

Dein Frühwerk stützt sich auf Papierarbeiten, du wurdest auch „Meisterin der Radierung“ genannt.
Die Zeit damals war stark politisch geprägt. Anfang der 1960er Jahre gab es zahlreiche Demonstrationen, an denen wir teilnahmen. Viele Studenten empfanden das Studium der Kunst als zu elitär und wandten sich stattdessen ausschließlich dem politischen Aktivismus zu. Ein Kommilitone bot mir sein Radierwerkzeug an, weil er beschlossen hatte, sich ganz von der Kunst abzuwenden. Ich habe mir das Radieren schließlich im Selbststudium beigebracht, denn vor Ort gab es niemanden mehr, der einen anleitete – keine Werkstattleitung, keine Unterstützung, nichts. Die gesamte Hochschule glich einem Hexenkessel.

Das ganze Interview in der Mai/Juni-Ausgabe lesen.

Das Interview führten die Kuratorinnen der Ausstellung: Svenja Grosser & Maja Lisewski. - Die Ausstellung „Annegret Soltau: Unzensiert – eine Retrospektive“ wird bis 17.8.2025 im Städel Museum Frankfurt gezeigt. Der Katalog erscheint im Hirmer Verlag.

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