Ex-Prostitutierte: "Sie geben mir eine Stimme!"

Foto: deepblue4you/istock
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Liebe Frau Schwarzer,

zur Zeit verschlinge ich alle Artikel und Vorträge von Ihnen zum Thema Prostitution und Pornografie. 

Ich bin 37 und habe einige Jahre im Milieu und der Porno-Branche zugebracht. Ich kam durch meinen Ex-Freund, einen 15 Jahre älteren Libanesen, durch die Loverboy-Methode in die Zwangsprostitution und endete im Frauenhaus und danach bei Onlyfans, weil ich dachte nichts anderes zu können... Nun bin ich von allem weg: dem Ex, dem Rotlicht, dem Koks, der Anorexie und allem, was damit verbunden war. Die Traumata bleiben... und den Körper konnte ich leider nicht wie eine Uniform beim alten Arbeitgeber abgeben, sondern musste mit Geschlechtskrankheit und Leistenbruch klarkommen.

Bis heute leide ich vor allem seelisch unter den Folgen (flash backs, Angststörung, depressive Verstimmungen, Alpträume). Ein paar Jahre mussten vergehen, bis ich nun an den Punkt kam, überhaupt darüber reden zu können, ohne anschließend von Suizidgedanken geplagt zu werden. Momentan habe ich zwei Therapeuten, die mir zwar eine Therapie anbieten, aber mit der Thematik nicht vertraut sind und irgendwie überfordert zu sein scheinen...

Ein paar Jahre mussten vergehen, bis ich an den Punkt kam, reden zu können

Aber zurück zu Ihrer tollen Aufklärungsarbeit. Ich habe viel Gutes von Sisters e.V. und anderen Vereinen gehört, die Frauen aus dem Milieu helfen. Ich selbst war mir die Hilfe früher nicht wert. Ich dachte, dafür ging es mir nicht schlecht genug, oder dass ich an der Situation selbst schuld sei. Nun bin ich aber bei Youtube auf Sie gestoßen und schaue vor allem die Interviews und Gesprächsrunden gern, wo Sie über diese Themen aufklären. Ich kann Ihnen für Ihr Engagement und Ihre Ausdauer nicht genug danken. Es gibt mir das Gefühl, eine Stimme zu haben, und die Hoffnung, dass Frauen geholfen wird bzw. Mädels und Frauen welchen Alters gar nicht erst ins Milieu hineingeraten.

Es ist seltsam, sich von einem Menschen wie Ihnen, mehr verstanden zu fühlen als von dem eigenen direkten Umfeld, Familie & Freundeskreis, dem man sich oft aus diversen Gründen gar nicht so anvertrauen mag.

Sie geben mir Hoffnung, Licht, Kraft, Inspiration und neuen Kampfgeist! 

Tausend Dank, Frau Schwarzer!!!!

X., Buxtehude
 

PS von Alice Schwarzer Natürlich berührt mich der Brief sehr. Da weiß ich wieder, warum ich das - trotz scharfem Gegenwind bis heute - mache. Und es ist nicht das erste Mal, dass sich eine (Ex)Prostituierte bei mir meldet. Meistens Ex, denn solange eine Frau noch drin steckt in diesem Grauen, kann sie gar nicht den Kopf heben. Das erste Mal habe ich mich für Prostituierte eingesetzt, da war ich noch Volontärin, das war 1968, Jahre vor der Frauenbewegung (1971) und vor der ersten EMMA (1977). Seither sind die Frauen in der Prostitution mein Thema geblieben und das aller EMMAs. Denn wenn wir von Frauenverachtung und Unterdrückung von Frauen im Patriarchat sprechen, dann sind sie, die Frauen in der Prostitution die Betroffensten. Sie kriegen den ganzen Scheiß ungefiltert ab. Der Frauenkauf ist das Fundament, auf dem die Geschlechter-Ungleichheit steht. Politikerinnen, die dagegen nichts tun, brauchen das Wort Gleichberechtigung gar nicht erst in den Mund zu nehmen. 

 

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