„Schützen Sie die Frauen!“

Héma Sibi von der Coalition for the Abolition of Prostitution (CAP): Es braucht jetzt mutige PolitikerInnen! - Foto: Kathrin Harms
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Frankreich hat 2016 die Freierbestrafung und Ausstiegsprogramme für Prostituierte eingeführt. CAP international hat das Gesetz gerade evaluiert. Wie ist die Bilanz?
Seit 2016 wurden 10.049 Freier bestraft, sodass wir einen gewissen Überblick haben, wer diese Sexkäufer sind. 

Und wer sind sie?
60 Prozent von ihnen sind verheiratet, 60 Prozent haben mindestens ein Kind. Es kursiert ja die Vorstellung, Sexkäufer seien Singles, die sich schwer tun, eine Frau zu finden. De facto haben aber die meisten von ihnen ein Familienleben.

Wie erklären Sie sich das?
Es geht nicht um Sex, sondern darum, Frauen zu dominieren. Freier, die erwischt werden, können in Frankreich zu einem Aufklärungskurs über die Realität in der Prostitution verpflichtet werden. Viele dieser Kurse werden von Aussteigerinnen aus der Prostitution geleitet. Neun von zehn Männern haben anschließend in einem Fragenbogen angegeben, dass sie in Zukunft nicht mehr zu Prostituierten gehen wollen, weil der Kurs ihnen die Augen geöffnet habe. Das kann man ihnen glauben oder nicht, aber der Fragebogen ist anonym, so dass sie nicht lügen müssen. 

Und die Zuhälter und Menschenhändler? 
Im Gegensatz zu Deutschland macht sich in Frankreich jede Person der Zuhälterei strafbar, die davon profitiert, dass sich eine andere Person prostituiert. Das ist eine sehr klare Definition, mit der die Strafverfolgungsvbehörden gut arbeiten können. 

In Deutschland ist Zuhälterei zwar strafbar, aber kaum nachweisbar, weil die Polizei beweisen muss, dass der Zuhälter die Prostituierte „ausbeutet“. Hierzulande gab es 2024 gerade mal 137 Verfahren wegen Zuhälterei, halb so viele wie 2014.
In Frankreich wurden 2024 rund 1.000 Zuhälter verhaftet, also zehn mal so viele wie in Deutschland. Und es wurden 65 Netzwerke der Organisierten Kriminalität aufgedeckt. Seit wir das Gesetz haben, ist die Zahl der Verfahren um 98 Prozent gestiegen, hat sich also verdoppelt. Wir sehen also, dass das Gesetz funktioniert. 

Ein beliebtes Argument der Pro-Prostitutions-Lobby in Deutschland ist, dass die Prostitution „in den Untergrund“ abrutscht und gefährlicher für die Frauen wird. 
Wir hören dieses Argument oft. Aber wir sehen in Frankreich das genaue Gegenteil. Denn wir haben ja im Jahr 2016 Frauen, die sexuelle Dienste anbieten, komplett entkriminalisiert. Bevor das Gesetz in Kraft trat, wurden jährlich 2.000 Prostituierte strafrechtlich verfolgt. Sozialarbeiterinnen mussten die Frauen also an versteckten Plätzen suchen, weil sie Angst vor der Polizei hatten. Seit 2017 gab es keine einzige Verurteilung einer Prostituierten mehr. Jetzt sind die Frauen nicht mehr in irgendwelchen Büschen und Wäldern, sondern sichtbar. Sie wissen, dass sie die Polizei rufen können, wenn ein Freier gewalttätig wird. Auch wenn Prostitution in Bordellen ausgeübt wird, heißt das ja nicht, dass dort alles in Ordnung ist. Wir sehen ja in Deutschland, dass das nicht der Fall ist. Dort gibt es viel mehr Morde an Prostituierten als in Frankreich. 

Seit 2002 wurden in Deutschland mindestens 170 Frauen von Freiern oder Zuhältern ermordet.
In Schweden gab es überhaupt keinen Mord an einer Prostituierten seit dort 1999 die Freierbestrafung eingeführt wurde. 

Im Sommer 2024 hat der Europäische Gerichtshof eine Klage der französischen Pro-Prostitutionslobby abgewiesen und das Gesetz für verfassungskonform erklärt.
Ja. Der Europäische Gerichtshof hat bestätigt, dass das französische Gesetz den Frauen und Männern in der Prostitution keineswegs schadet. Im Gegenteil. Das Urteil stellt fest, dass die Freierbestrafung die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Freiern zugunsten der Frauen verbessert hat. Und genau das sehen wir in Frankreich. 

Wie sieht es denn mit den Ausstiegshilfen für die Frauen aus?
Wir haben in Frankreich ein spezielles Ausstiegsprogramm: Die Departments sind verpflichtet, Aussteigerinnen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen und Opfern von Menschenhandel eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Die Frauen bekommen eine monatliche Unterstützung von 600 Euro und Schulungen, um einen Job zu finden. Seit 2017 haben rund 2.000 Frauen dieses Programm durchlaufen. Das könnten natürlich mehr werden, da müssen wir noch Fortschritte machen. Aber es sind immerhin 2.000 Frauen, deren Leben sich radikal verändert hat. Und wir sehen, dass das Modell wirklich erfolgreich ist, was die soziale und berufliche Integration betrifft: 90 Prozent der Frauen, die das Programm absolviert haben, haben anschließend einen dauerhaften Job gefunden. Alle sprechen fließend Französisch. Sie haben also ein Leben, das aus täglicher Gewalt und Traumatisierung bestand, eingetauscht gegen ein Leben in Würde als integriertes Mitglied der Gesellschaft. 

Ein Dossier über den Kampf gegen Prostitution in der aktuellen November/Dezember-EMMA im www.emma.de/shop
Ein Dossier über den Kampf gegen Prostitution in der aktuellen November/Dezember-EMMA im www.emma.de/shop

Gibt es etwas, das Sie kritisieren?
Wie bei allen Gesetzen gegen Gewalt gegen Mädchen und Frauen braucht es genügend Ressourcen, damit das Gesetz sein volles Potenzial entfalten kann. Der Kampf gegen die Prostitution aber hat in der Regierung keine Priorität, wobei die Ministerin für Gleichstellung sehr unterstützend ist, andere Ministerien jedoch weniger. Das hat zur Folge, dass die Organisationen, die wir brauchen, um die Ausstiegsprogramme zu unterstützen, nicht genug finanzielle Mittel bekommen. Deshalb haben sie lange Wartelisten. Und wir sehen, dass die Bestrafung der Freier in Frankreich sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Es gibt sogar Departments, in denen überhaupt keine Freier erwischt und bestraft werden. Dort fehlt offensichtlich der politische Wille. Dabei weisen wir wissenschaftlich nach, dass Prostitution die marginalisiertesten Frauen der Gesellschaft trifft.

In Ihrem Buch „Last Girl First“.
Genau. Wir müssen diese Mädchen und Frauen an die erste Stelle setzen und nicht irgendwelche Marionetten., die die Interessen der Zuhälter-Lobby vertreten. 

Werden bald weitere Länder das Nordische Modell einführen?
In Spanien hat der sozialistische Premierminister Pedro Sanchez anekündigt, dass er ein abolitionistisches Gesetz verabschieden möchte, genau wie Gleichstellungsministerin Anna Redondo. Die konservative Volkspartei ist ebenfalls für die Freierbestrafung, aber nicht an der Regierung. Es bräuchte jetzt also ein überparteiliches Bündnis. 

Wie in Frankreich, wo ein überparteiliches Bündnis die Freierbestrafung beschlossen hat.
Genau. Wir hatten eine sozialistische Regierung und viele starke Feministinnen in beiden Parteien, die sich zusammengetan haben. 

Was ist Ihre Botschaft an deutsche PolitikerInnen?
Machen Sie endlich ein Gesetz, das Frauen in der Prostitution wirklich schützt. Das Gesetz, das vor 20 Jahren gemacht wurde, hat Frauen in der Prostitution nicht genutzt, sondern ihnen mehr Schaden zugefügt. Der Menschenhandel ist angestiegen, Täter bleiben straffrei und Männer fühlen sich berechtigt, über Frauenkörper zu verfügen. Denn die deutsche Gesetzgebung betrifft nicht nur Mädchen und Frauen in der Prostitution, sondern alle Frauen. In einer Gesellschaft, die Prostitution akzeptiert, werden alle Frauen als Ware betrachtet. Es braucht jetzt mutige Politikerinnen und Politiker, die das ändern wollen!

Coalition for the Abolition of Prostitution: www.cap-international.org

WEITERLESEN
Héma Sibi: Last Girl First! Prostitution at the Intersection of sex, race an class-based oppressions (Editions libre, 15 €)

 

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