1. Preis: Renate Meinhof "Wenn die Seele klemmt"

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Es ist ein Satz ihrer Mutter, der Sonja Gentzsch immer dann von der Zunge springt, wenn sehr junge Frauen den Weg in ihr Büro gefunden haben. Sie sagt: „Mädchen, wenn du Milch trinken willst, musst du dir keine Kuh kaufen.“

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Wie bitte? Wenn du mit einem Mann ins Bett willst, musst du ihn nicht gleich heiraten, soll das heißen. Musst. Auch. Nicht. Gleich. Schwanger werden. Sie lässt die Worte aus ihrem Mund fallen, und das klingt, als würden Tennisbälle eine Treppe herunterspringen. „Es gibt doch die Pille, Kondome!“ Was Aufklärung und Verhütung betrifft, habe sie den Eindruck gewonnen, der Osten sei seit der Wende „in die Steinzeit zurückgebombt“. Das ist vielleicht schon ein Teil des Problems.

Sonja Gentzsch sagt das, eine fröhliche Person mit warmen Augen, geboren in Wansleben im Mansfelder Land. Sie ist in Sachsen-Anhalt Geschäftsführerin des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter, und weil das ein so langer Name ist, steht unten, an der Tür, nur das Kürzel: VAMV. Und: „VAMV macht Dampf“, das kann man sich merken.

Was ist los mit dem Osten? Es sind Schlagzeilen, deretwegen man sich auf den Weg macht. „Drei Babyleichen innerhalb von zwei Wochen“ ist so eine Zeile. Getötet von Müttern zwischen 19 und 22 Jahren. Lübben, Frankfurt/Oder, Nauen. Das Risiko kleiner Kinder, von ihren Eltern getötet zu werden, ist in Ostdeutschland gut dreimal so hoch wie im Westen, hat der Kriminologe Christian Pfeiffer herausgefunden. Und Wolfgang Böhmer, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident, hatte in Focus den verstiegenen Versuch unternommen, einen Zusammenhang zwischen DDR-Mentalität und den Kindstötungen herzustellen.

„Der Osten verabschiedet die Familie“ ist eine andere Zeile. Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern und Alleinerziehende, so sind die Zahlen, erreichen im Osten einen Anteil von 42 Prozent, im Westen sind es 22.

Und dann das Thema Abwanderung. Junge gebildete Frauen, sagt die Studie „Not am Mann“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, gehen in den Westen. Zurück bleiben Arbeiterjungen auf dem Land, mit schlechter Ausbildung, die sich als Versager sehen. Zurück bleiben auch Frauen ohne Berufsabschluss, die ihrem Leben mittels eines Kindes einen Sinn zu geben versuchen.

„In vielen Familien“, so hatte neulich eine CDU-Abgeordnete aus dem Potsdamer Landtag die Lage im Osten zusammengefasst, „klemmt die Seele.“ Aber wo klemmt die Seele, und warum? Oder klemmt sie gar nicht? Und was steckt hinter den Schlagzeilen?

Die Helferin an der Basis. Die ganz jungen Frauen. Sonja Gentzsch kennt sie. Manchmal kommen 18-Jährige zu ihr, keine Ausbildung, kaum Geld, ein Baby im Wagen. Wenn sie nach dem Vater fragt, hört sie Sätze wie diesen: „Also, er hieß Ronny, und nu isser weg.“ Eine Nacht nur. Reiko oder Silvio oder Ronny oder Pierre. Junge Männer um die zwanzig, mit Namen, die klingen wie das geronnene Fernweh ihrer DDR-Eltern. „Ruckizucki“, sagt Sonja Gentzsch, „und Sie haben eine Alleinerziehende, total überfordert, mit drei Kindern von drei verschiedenen Vätern. An die müssen Sie erst mal rankommen.“ Sie sagt: „Hier ein totes Kind, da eins, ich kann gar nicht mehr hinhören, und es wundert mich auch nicht.“

Magdeburg, Halberstädter Straße, zwei Türen in den Hinterhof, zwei Treppen hoch, und man steht in einem schmalen Flur mit Linoleumboden, dessen Geruch einen Jahre zurückschickt, in die untergegangene Welt, da in jeder Wohnung, irgendwo immer, genau dieses Linoleum lag: Parkettimitat, Hölzchen an Hölzchen, und sehr gut zu reinigen. Wer hierher kommt, und meistens sind es Frauen, braucht Hilfe. Jemanden, der einem sagt, was man tun muss, wenn Unterhaltszahlungen nicht eingehen. Jemanden, der einem im Labyrinth von Kürzeln und Ämtern den Weg weist zu Hartz IV und ALG II. Jemanden, der Tränen erträgt, auch das. Sonja Gentzsch ist jetzt 49. Lange ist es her, da war sie selbst alleinerziehend, geschieden, in der DDR. Mit 21 wurde sie damals schwanger, und Anja, die Große, lebt mit ihren zwei Kindern nun auch wieder allein, in der Plattenbausiedlung Neustädter Feld in Magdeburg. Es kommt einem so vor, als habe die Mutter ein Muster vererbt.

Die Alleinerziehende. „Eigentlich hat sie falsch gemacht, was man falsch machen konnte“, sagt Sonja Gentzsch im Wohnzimmer ihrer Tochter und schaut sie an aus dem Abstand einer Couchtischlänge. Sparsam ist das Zimmer möbliert. Etwas Versöhnliches jetzt, aber es fällt einem nichts ein. Die Tochter sagt: „Mutti, lass mich doch meine Fehler selber machen.“ Versuch eines Lächelns.

Anja Gentzsch hat einen Hauptschulabschluss, aber die Lehre zur Köchin hat sie nicht geschafft. Sie ist 28 und lebt von Hartz IV. 83 Quadratmeter hat sie, 460 Euro warm, die Miete kommt vom Amt. Nicht mal eine Ahnung davon, was sie beruflich machen könnte, kein kühner Traum, gar kein Traum. Als sie 21 war, kam Sabrina zur Welt. Ronny, der Vater, zahlt Unterhalt, sonst haben sie keinen Kontakt. Sabrina kommt dieses Jahr in die Schule. Michael, der Vater von Sebastian, zahlt auch. Anja Gentzsch hat ihn im November rausgeschmissen, weil er zu trinken begann, und das Geld zerrann ihm zwischen den Fingern. Sebastian, wach und flink, ist ein gutes Jahr alt.

Mit den Kindern auf den Spielplatz zu gehen, muss man sich überlegen. Eigentlich sollte man eine Harke dabeihaben, die die Scherben aus dem Sand pflügt, bevor man die Kinder dort buddeln lässt. Den Jugendlichen, die sich abends hiertreffen, gehen im Suff schon mal die Flaschen zu Bruch. „Wie Slum ist das“, sagt Sonja Gentzsch.

Die Demographin. Bei Demographen und Soziologen lernt man erstens, dass Zahlen alles sagen, und zweitens, dass Zahlen gar nichts sagen. Es lohnt sich trotzdem, eine längere Zugfahrt nach Rostock zu machen, denn im Max-Planck-Institut für demographische Forschung arbeitet Michaela Kreyenfeld, die viel dazu sagen kann, unter welchen Bedingungen Frauen im Osten sich für ein Kind entscheiden. Im Grunde belegt sie mit Zahlen und Studien, was Sonja Gentzsch in Magdeburg tagtäglich erlebt. Ostfrauen bekommen demnach auch in sehr unsicherer ökonomischer Situation und in unsicherer Partnerschaft ein Kind. Entscheiden sich hingegen Westfrauen zur Mutterschaft, dann ist meistens schon ein sicherer Rahmen da, wozu auch gehört, dass der Partner beruflich etabliert ist, also genügend Geld verdient.

Ganz anders der Osten. Kreyenfeld hat herausgefunden, dass manche Frauen hier gerade auf ökonomisches Chaos reagieren, indem sie ein Kind zur Welt bringen. Sie sagt: „Natürlich wollen manche damit ihre biographische Situation sichern.“

„Nach dem Motto: Ein Kind? Da hab’ ich was, und da krieg’ ich wenigstens was.“ – „Ja, von außen erscheint es völlig irrational, wenn, meinetwegen in Stralsund, eine arbeitslose 20-Jährige ein Kind bekommt, aber das hat unter Umständen eine klare innere Logik.“ Wie hatte der Kriminologe Pfeiffer am Telefon gesagt? Es müsse die Frage erlaubt sein, ob Frauen im Osten mit einer anderen Wertorientierung ans Kinderkriegen gingen als Frauen im Westen.

Heike Trappe, Kreyenfelds Kollegin an der Rostocker Universität, hat den Lehrstuhl für Soziologie und Familiendemographie inne. Sie ist Jahrgang 1966, in Ostberlin geboren. Vater Straßenbahnfahrer, Mutter Krankenschwester, beide im Schichtdienst. Schlafen im Wechsel. Kinder mit Schlüssel um den Hals.

Heike Trappe hat über Frauen in der DDR geforscht, Frauen zwischen Beruf und Familie. Über das mächtige Leitbild von voller Erwerbstätigkeit und Mutterschaft hat sie geschrieben, wie Frauen damit umgingen, und wie dieses Bild bis heute tradiert wird und: wirkt. Um die Kinder hat sich der Staat gekümmert, sagt sie, „aber es waren ja nicht alle glücklich, ihre Kleinen um sechs Uhr morgens aus dem Bett zu zerren, um sie in die Krippe zu bringen.“

Da musste man eben durch. Alle mussten da durch. Das „Rabenmutter-Syndrom“ habe im Osten nie Fuß fassen können, bis heute nicht. Wenn man Heike Trappe eine Weile zuhört, sind plötzlich die Bilder dieser untergegangenen Welt alle wieder da: Erzieherinnen mit Wägelchen voller Kinder, ordentlich rechts und links auf Bänken sitzend, Betten in einer Reihe, Töpfe, die Schlange bei der Windelzuteilung im Wäscheladen. Zwölf Baumwollwindeln pro Schwangere, Mangelware, auf Ausweis nur.

„Frau Trappe, verabschiedet der Osten die Familie?“ Nein, sagt sie, es gebe einen Wandel der Formen, nicht aber der Inhalte. Und wenn Familie sich nicht angepasst hätte an gesellschaftliche Veränderungen, über die Jahrhunderte, so wäre sie längst verschwunden.

„Dann verschwindet also nur die klassische Kernfamilie mit Trauschein? Die heile kleine Familie wie zu DDR-Zeiten?“ – „Aber die gab’s doch überhaupt nicht“, sagt sie. „Nicht konventionelle Familienformen waren in der DDR ja viel verbreiteter als zur gleichen Zeit in der Bundesrepublik.“ Die Ehe sei in der DDR keine lebenslange Einrichtung gewesen.

Die Scheidungsrate war hoch. Ehe und Elternschaft seien immer schon sehr lose aneinander gekoppelt gewesen, ganz anders als im Westen, und bis heute sei das so. 60 Prozent der Kinder in Ostdeutschland werden außerhalb der Ehe geboren. Als „Ernährermodell“ spiele die Ehe im Osten ohnehin kaum eine Rolle. Aber welche Rolle spielen dann die Männer, wenn sie nicht mehr Ernährer, nicht Ehemänner sind, und ohne Arbeit?

Bleibt alles anders – zwischen Ost und West. Das nimmt man mit aus Rostock.

Die sitzengebliebenen Männer. Die Häuser von Großhartau sind rechts und links der B 6 gefädelt, ein lang gezogenes Straßendorf zwischen Bautzen und Dresden, in das man nicht fahren würde, wenn man nicht müsste. Kurz vor der Bahnbrücke, Im Paradies 17, ist der „Friseursalon Isolde Russig“ untergebracht, und weil das „u“ auf der Markise draußen sich in der Schreibschrift sehr schwungvoll zur Seite wagt, liest man erst „Rassig“ statt „Russig“ und geht rein, denn wo könnte Großhartaus Problem augenfälliger sein, als in der trägen duftenden Schwüle seines einzigen Friseursalons?

„Männer haben wir hier genug“, sagt Doreen Hase, die Friseurin, „aber wir wünschen uns natürlich ‘ne andere Klientel.“ Sie sagt: „Die Männer gammeln hier so ‘rum, man möchte manchmal sagen: Hinter Bautzen geht’s noch weiter, Junge, die Welt ist rund! Und dann sitzen sie hier bei mir und weinen sich aus.“

Großhartau ist in Sachsen die Gemeinde mit dem größten „Männerüberschuss“. Auf 46 Frauen kommen 100 Männer.

Die gesamte ostdeutsche Provinz hat mit dem Frauenmangel zu kämpfen. Es sind die Mädchen mit guten Zeugnissen, „die ‘rübermachen“, so sagt man hier. Die in den Westen gehen, wo Arbeit ist und Ausbildung. Auch bald nach der Wende schon sind sie gegangen, haben geheiratet dort, und deshalb findet man in Großhartau viele 30-jährige, 40-jährige Männer, die in ihren Elternhäusern sitzen, überwintern, übersommern, und: warten. Aber worauf?

Manche von ihnen haben es ja versucht, haben „drüben“ Arbeit gesucht, sind nicht zurechtgekommen, keine Freunde gefunden, sind zurückgekehrt, zurück in die anspruchslose Geborgenheit des Bekannten.

Uwe Johnson hat sich 1970 in seinem Essay „Versuch, eine Mentalität zu erklären“ mit Menschen befasst, die aus der DDR in die Bundesrepublik gegangen waren. Auch nach ihrem Weggang, fiel ihm auf, sprachen sie von ihrem Staat wie Kinder von ihren Eltern sprechen und konnten sich schwer von ihm trennen.„In vielen Aussagen“, schreibt Johnson, „erscheint die DDR als fest umrissene personenähnliche Größe (während die Bundesrepublik bewusst ist als lediglich eine Lage, in der man sich befindet).

„Wenn Männer in Großhartau über ihre Zeit im Westen reden, dann wie über eine „Lage“, etwas Provisorisches nur, kein Zuhause jedenfalls. Und dabei gibt es die DDR nicht mehr, seit 18 Jahren.

Torsten Schlenkrich war nicht im Westen, er möchte da auch nicht hin. Die Städte seien laut, zu laut, sagt er, eine Überforderung. Er sitzt in seinem kleinen Büro der Online Immobilienfirma, bei der er angestellt ist. Sie heißt „go Living“. Schlenkrich sagt: „Einen Mann kriegst du hier nicht weg.“ Er ist 1978 geboren, und Maurer hat er gelernt. Im Haus seiner Eltern hat er drei Zimmer. Die Mutter ist 51 und hat keine Arbeit mehr, der Vater ist 55 und hat welche. Jede Woche gibt der Sohn der Mutter 20 Euro fürs Essen, weil es, wie er sagt, sich nicht lohne, dass er seinen eigenen Kühlschrank fülle. „Beim Essen macht meiner Mutter keiner was vor. Mein Vater sagt, dass meine Mutter den Bohneneintopf besser hinkriegt als seine Mutter.“

Etwa zehn Männer zählt Torsten Schlenkrich zu seinem engen Freundeskreis. Zwei von ihnen haben eine Freundin. Andere haben es mit Ausländerinnen probiert, Thailänderinnen, eine Kenianerin auch, es hat nicht geklappt.

Es gibt in Großhartau den Brauch, dass, wer 40 wird und nicht verheiratet ist, einen „Blinden Polterabend“ geben muss. Mit allem Drum und Dran, Geschirr zerpöttern und so weiter. Bis 40 möchte Torsten Schlenkrich es also eigentlich geschafft haben, eine Frau zu finden. Doch wenn er von seinen Plänen redet, klingt es, als sei sein jetziges Leben nur eine Generalprobe, und das richtige käme dann später zur Aufführung. Die nächsten Jahre? Er wird aufsteigen in der Freiwilligen Feuerwehr. Er wird sich mit Freunden treffen, sie werden trinken und reden und meinen, alles sei wie immer. Reden über die Frauen, die weggehen von hier. Schlenkrich sagt: „Manchmal verdrängt man das auch, aber was hilft’s, man hat’s ja nicht.“

Der Psychoanalytiker. Ein bisschen wie Aschenputtel steht das Haus mit dem grauen Putz in der Straße, in der sonst toll renovierte Villen mit stattlicher Größe prahlen, und Farbe. Das Erstaunlichste also sind Äußerlichkeiten, beabsichtigte Äußerlichkeiten. Hans-Joachim Maaz ist seit 1981 Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Diakoniekrankenhaus Halle, und dass er gekämpft hat, damit sein Haus mit den 25 Betten ja nicht saniert werde, hat einen Grund.

„Mir war es wichtig, dass wir hier keine Nasszellen in die Zimmer kriegten, sondern die Gemeinschaftsduschen behalten konnten“, sagt er. Es hört sich nach einem kleinen Kulturkampf an. Geborgenheit und Gemeinschaft gegen Komfort. Es hört sich an, als sei die bloße Existenz dieses unrenovierten Biotops schon ein Teil des therapeutischen Konzepts.

Bald nach dem Mauerfall war Maaz mit seinem Buch „Der Gefühlsstau – ein Psychogramm der DDR „bekannt geworden.

Wenn man ihn heute nach den sitzengebliebenen Männern fragt, sagt er: „Diejenigen, die hier bleiben, sind die Schwächeren.“ Sie fühlten sich als Versager, weil sie dem ständigen Anspruch, mobil zu sein, der Arbeit hinterher zu ziehen, nicht gerecht würden. An vielen Orten bilde sich ein „negatives Ghetto“, und manche rutschten zu den Rechten ab.

Hans-Joachim Maaz hat mit den Folgen dieses Anspruchs nach Mobilität und Leistung, mittelbar durch die Patienten, jeden Tag zu tun. Er erlebt zum einen, wie Familien auseinanderdriften, weil es nur noch um die Frage geht: Wie und wo kommen wir durch? Zum anderen habe derjenige, der mobil sein muss, vor allem eines zu lernen: Meide Verpflichtungen!

„Auch langfristige Bindungen also, wie die Ehe, Kinder?“ – Ja, sagt Maaz. Zu DDR-Zeiten habe die Familie als Refugium große Bedeutung gehabt. „Eine Welt, in der man anders sprechen und sich freuen konnte, zusammen subversiv zu sein. Es gab ja einen gemeinsamen Gegner: das System.“ Er sagt: „Gerade weil das System so schlecht war, war das Privatleben besonders wichtig.“

Aber die Netze von Familie und Nachbarschaft sind inzwischen oft nicht mehr da. Es wäre zum Beispiel, sagt Maaz, „in der DDR nicht denkbar gewesen, schwanger zu sein, und keiner merkt es.“ Was die Kindstötungen betreffe, so sei das entscheidende Kriterium für Delikte gegen Kinder: Überforderung. Die in der individuellen Mütterlichkeit, Väterlichkeit; aber hinzu komme die Überforderung, mit dem eigenen Leben in einer Gesellschaft der sozialen Härte überhaupt zurechtzukommen.

Überforderung? Am Ende bleibt dieses eine Wort: Überforderung. So oft ist es gefallen. Macht eine flächendeckende Überforderung solche Schlagzeilen?

Im Juni wird Hans-Joachim Maaz pensioniert. Kaum vorstellbar, dass die gesprungenen Kacheln in der Küche, die Gemeinschaftsduschen, die ganze vertraute verhasste Schmuddeligkeit des Ostens sich behaupten werden, wenn ein Nachfolger kommt.

Auch das Linoleum, Hölzchen an Hölzchen, wie man es schon in Magdeburg bestaunt hatte, wird überfordert sein mit dem Kampf zu überleben.

"Alles bleibt anders", Süddeutsche Zeitung, 8.3.2008

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