Ali E. Toprak: Die Türkei in Deutschland

© Jochen Tack/Imago
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Seit dem vereitelten Militär-Putsch und dem zivilen Gegenputsch ­Erdoğans ist nun auch Deutschland ein Schauplatz türkischer Konflikte. Viele Deutsche verstehen nicht, dass so viele Türkeistämmige Erdoğan unterstützen. Manch einer macht die „Parallel­gesellschaft“ dafür verantwortlich. Doch die Parallelgesellschaft war, wenn überhaupt, gestern. Heute müssen wir leider von einer Gegengesellschaft sprechen. Einer Gemeinschaft von Menschen, die dem Aufnahmeland ablehnend gegenüberstehen, die aktiv und aggressiv gegen unsere Werte und unsere freie Gesellschaft agieren.

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Wenn man sich Erdoğans Umgang mit unserer Bundeskanzlerin in den vergangenen Monaten genauer anschaut, drängt sich der Gedanke auf, dass die deutsch-türkischen Beziehungsprobleme nicht nur politischer Natur sind. Dieser Konflikt läuft auch auf der Gender-Ebene ab. Obermacho Erdoğan, dessen Ehefrau und Tochter islamisch verschleiert sind, wird sich doch von einer Frau nicht weichklopfen lassen! Merkel blitzt bei ihm in fast allen politischen Fragen nur noch ab. Sie ist es in seinen Augen kaum wert, mit ihm an einem Tisch zu sitzen.

Wie geht dieser Mensch eigentlich mit unserer Kanzlerin – und damit mit uns um? Und warum lässt sich Merkel das ­gefallen?

Würde ein Mann an der Spitze Deutschlands sich Erdoğans Allüren bieten lassen? Und hätte sich Erdoğan gegenüber einem Kanzler ebenso verhalten?

Erdoğans Ton gegenüber Deutschland, dessen mächtigstes Amt eine Frau innehat, ist der eines türkischen Macho, der bauchkraulend seine Ehefrau auffordert, den Tee zu servieren. Und sie serviert.

Was macht Deutschland falsch? Es lässt Erdoğan über die von ihm gesteuerte Ditib, die über 900 Moscheen hierzulande betreibt, sowie andere ihm nahestehende Organisationen und Netzwerke auch mitten in Deutschland seine Macht ausüben. Das islamisch-totalitäre Gesellschafts­modell des türkischen Präsidenten wird gezielt gegen die säkulare, freiheitliche Demokratie Deutschlands in die (noch) friedliche Schlacht geschickt.

Den jüngsten Beweis für das Totalversagen deutscher Integrationsbemühungen lieferte die Pro-Erdoğan-Demonstration in Köln. Das Bühnenprogramm startete mit dem Satz „Ich grüße Euch, die ihr seit 50 Jahren nicht assimiliert wurdet!“ Da wirkt es für deutsche Ohren wie Hohn, wenn der Moderator die Menge auffordert, „Wir sind Deutschland!“ zu skandieren. Das ist kein Angebot zum Miteinander, das ist die Kampfansage einer Gegengesellschaft: Nicht ihr Deutschen seid länger dieses Land – WIR sind es!

Sodann grölen tausende von Menschen: „Wir wollen die Todesstrafe!“. Dieses selbsternannte Gegen-Deutschland erklärt der europäischen Zivilisation den Krieg. Das war keine Kundgebung in Deutschland angekommener BürgerInnen – es war eine Machtdemonstration Erdoğans. Er will uns beweisen, dass er auch in Deutschland jederzeit zehntausende seiner Anhänger auf die Straße bringen kann. Er will uns mit der von ihm gezüchteten ­Gegengesellschaft einschüchtern, will uns Angst machen.

Erdoğan hat Gefallen daran gefunden, dass wir uns von ihm abhängig machen. Nicht erst durch den Flüchtlingsdeal, sondern schon viel früher: durch unsere falsche Toleranz gegenüber dem von ihm vertretenen fundamentalistischen Islam und seinem archaischen, antizivilisatorischen Weltverständnis.

Erdoğan konnte in Deutschland ungehindert die Strukturen seiner Gegengesellschaft aufbauen und wurde dabei sogar noch von der Politik in jeder Hinsicht ­gefördert. Seit Jahren weisen kritische Muslime darauf hin, dass der größte ­Islamverband, die Ditib, der der staat­lichen türkischen Religionsbehörde unterstellt ist, nicht die Aufgabe erfüllt, Muslime zu integrieren, sondern dass er im Gegenteil die Interessen des türkischen Staates auf deutschem Boden vertritt.

Jeden Freitag werden deutschlandweit Predigten aus Ankara verlesen. So werden die Muslime in Deutschland Woche für Woche aus Ankara indoktriniert – und ihnen wird eingeimpft, wohin sie mental gehören: Nicht hierhin, sondern in die Türkei.

Neben Ditib ist Milli-Görüs ein Erdoğan vorbehaltlos ergebenes Instrument zur Implementierung des radikalen Islam in Deutschland. Flankierend agieren Lobbyorganisationen wie die UETD, die Erdoğans politische Arbeit in Deutschland koordinieren.

In den Sozialen Medien agieren viele Tausende professionelle und dilettierende Trolle, die regelrechte Propaganda-Kriege gegen jeden Kritiker und jede Kritikerin des islamischen Fundamentalismus führen. Sie hetzen gegen Menschen wie mich, nur weil wir wagen, Erdoğans Politik öffentlich zu kritisieren; dieser Mega-Star des politischen Islam und Möchtegern-Sultan.

Wir aus der muslimischen Welt stammenden Islamismus-Kritiker wurden und werden allein gelassen. Man wirft uns vor, „überintegriert“ zu sein. Alles wurde kulturalistisch relativiert, und der Islamismus, dieser importierte Rassismus, wird verharmlost. Statt sich der kritischen Auseinandersetzung zu stellen, machen sich Muslime mit deutscher Unterstützung zu Opfern.

Wir Kritiker des Islamismus verstehen die Welt nicht mehr. Die angeblich aufgeklärten Deutschen und die Intellektuellen verbündeten sich nicht etwa mit uns, sondern mit den erzreaktionären muslimischen Kreisen.

Dabei sind diese Menschen hier nie ­angekommen. Sie können selbst in der dritten Generation mit Werten wie Freiheit, Gleichberechtigung und Aufklärung nichts anfangen. Deutschland konnte diesen Menschen offensichtlich keine Identität bieten. Warum? Weil in unserem Land bis heute eine irrationale Multikulti-Romantik vorherrscht. Weil wir selbst unsere freiheitlichen Werte nicht selbstbewusst und offensiv vertreten und verteidigen.

Wir haben die Konfrontation mit dem politischen Islam gescheut und stattdessen Appeasement-Politik betrieben. Der größte strategische Fehler der deutschen Politik ist die absurde Vorstellung, jene erzreaktionären Islamverbände würden sich mit unserem Staat und Gesellschaft schon identifizieren, wenn man sie nur salon­fähig mache, sie finanziell und politisch unterstütze. Doch nach zehn Jahren Deutsche Islamkonferenz müssen wir feststellen, dass die Islamverbände noch nie so weit weg von unserem Staat und unserer Gesellschaft waren wie heute. Erdoğan und Saudi-Arabien haben mehr Einfluss über die Islamverbände in Deutschland als der deutsche Staat.

Der anatolische Macho nimmt sich heute die Freiheit, mit jedem Wort noch eine Schippe draufzulegen. Und wir lassen uns das gefallen. Wir befördern auch noch das Selbstbewusstsein einer Gegengesellschaft, deren einziges Ziel es ist, das verhasste liberale Denken für alle Ewigkeit in die Mauern des Harems zu sperren.

Wenn die Integration der Muslime noch gelingen soll, müssen wir ein selbstbewusstes Land sein, das Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung hochhält und alles Reaktionäre und Machohafte ablehnt und sanktioniert.

Ali E. Toprak

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Ali Toprak: Bevormundet uns nicht!

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Außer EMMA gehen die meisten feministisch-links argumentierenden Meinungsmacherinnen reichlich undifferenziert und verallgemeinernd mit den Geschehnissen an Silvester um. Kritischen Stimmen wird gerne Populismus und Rassismus vorgeworfen. Also überlegt so mancher lieber zweimal überlegen, ob sie etwas sagen. Das führt zu Selbstzensur und zum Denkverbot. Es hat sich eine Kultur des Wahrnehmens und des Sprechens hinter vorgehaltener Hand herausgebildet. Unliebsame Tatsachen werden verdreht oder als Rassismus stigmatisiert, noch bevor sie erkannt und benannt sind. Doch wenn die Menschen Grund zu der Annahme haben, dass ihre Wahrnehmung und Sorgen nur noch von rechten Populisten benannt werden, dann ist der Zulauf zu diesen Populisten garantiert.

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Missstände nicht ansprechen, weil euer Weltbild ins Wanken geraten könnte?

Die unerträgliche Relativierung der frauenverachtenden Einstellungen bestimmter Männergruppen vor allem durch die weißen, linken Feministinnen und ihre Unterstützer ist ein Schlag ins Gesicht aller unterdrückten Frauen und die Frauenbewegungen in den islamischen Ländern! Welch ein anmaßendes und kolonialistisches, übergriffiges Denken ist es, dass ihr Denk- und Sprechverbote zu den teilweise zutiefst faschistischen Verhältnissen in diesen Ländern aussprecht?!

Ihr dürft gern und ungehindert euren eigenen Faschismus und Sexismus bekämpfen - wir aber sollen die Missstände in unseren Herkunftsländern nicht ansprechen dürfen, weil sonst euer Weltbild ins Wanken gerät, wonach nur und immer der weiße Mann an allem schuld ist? Habt ihr euch eigentlich schon einmal mit der Sklaverei und dem Imperialismus der muslimischen Welt beschäftigt?

Ganze Kulturen und Zivilisationen sind vernichtet worden, nicht ausschließlich vom „weißen Mann“. In der Region, in der eine der großen Weltreligionen - das Christentum - entstanden ist, ist das christliche Leben heute fast ausgelöscht. Die andere monotheistische Religion, das Juden- und das Jezidentum wird täglich mit Auslöschung bedroht. Warum spricht niemand darüber?

Indem ihr linken, weißen Feministinnen die gesellschaftlichen Verhältnisse in islamischen Gesellschaften nicht infrage stellen lassen wollt, leugnet ihr, was an Menschen- und Frauenrechten in diesen Ländern im Entstehen ist. Seid Ihr Euch eigentlich im Klaren darüber, mit wem Ihr Euch verbündet? Mit den dort und auch hier unterdrückten Frauen jedenfalls nicht!

Wir können unterscheiden, was Rassismus ist und was nicht

Und hört endlich auf uns ständig zu beleidigen, indem ihr uns unterstellt, wir könnten nicht unterscheiden zwischen Rassisten, die diese Probleme für sich instrumentalisieren, und denjenigen, die eine konstruktive Kritik ausüben und damit für Aufklärung sorgen!

Unsere und eure Verbündeten sollten die vielen Millionen aufgeklärter Musliminnen und Muslime sein, die tagtäglich für freie, demokratische muslimische Gesellschaft kämpfen und die dafür vielfach mit ihrem Leben bezahlen. Indem ihr mit euren ewigen und unerträglichen Relativierungen ständig dem faschistischen, politischen Islamismus den Rücken stärkt, fallt ihr all denen und vor allen anderen den Frauen in den Rücken!

Ist euch das in eurer postkolonialen Überheblichkeit überhaupt bewusst? Offenbar nicht. Denn eure moralische Eitelkeit und überhebliche Arroganz ist stärker als eure Empathie mit den Opfern des Islamismus!

Ja, niemand wird als Vergewaltiger oder Rassist geboren. Aber die Menschen werden in bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse hineingeboren, die sie dazu sozialisieren. Wenn in den islamischen Ländern Männer mit der Überzeugung groß werden, dass Frauen weniger oder gar nichts wert sind, dann behandeln sie die Frau auch entsprechend. Wenn eine Religion die Frau zum Sexobjekt degradiert, über die der Mann jederzeit frei verfügen kann; wenn sogar im "fortschrittlichsten", muslimisch geprägten Land, der Türkei, die staatliche Religionsbehörde fast täglich widerliche Fatwas herausgibt, die der Frau ausschließlich die Rolle eines beliebig zu benutzenden Sexobjektes zuweisen - muss man sich dann nicht fragen, was diese höchst legitimierte Religionsauslegung in den Köpfen der Männer bewirkt?

Was ist daran falsch, wenn aufgeklärte Menschen diese absurden Sichtweisen benennen und kritisieren? Die Muslime, die ihre Religion lieben und zu recht Respekt dafür erwarten, müssen heute in erster Linie dafür kämpfen wieder die Deutungshoheit über ihre Religion zu gewinnen gegenüber den Vertretern des politischen Islam.

Voraussetzung für eine freie Gesellschaft ist Freiheit des Denkens

Selbstverständlich gebührt jedem Menschen als Mensch zunächst Respekt. Seinen Gedanken aber gebührt Kritik. Das eine zu tun - den Islam zu kritisieren wie auch das Christentum, den Kapitalismus, den Kommunismus, den Hinduismus, das AfD-Programm - heißt doch nicht, das andere – die Gläubigen als Menschen zu respektieren – zu lassen!

Fragt euch doch mal: Wie viele islamisch geprägte Länder gibt es, deren politische und gesellschaftlichen Verhältnisse sich an Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Aufklärung, Religionsfreiheit orientieren? Kennt ihr nur ein einziges Beispiel? Ich nicht.

Warum wohl haben die Flüchtlingsbewegungen auf dieser Erde alle diese eine Richtung, die sie haben - nach Westen? Ist es wirklich nur der Reichtum? Oder vielleicht auch unsere liberale Lebensweise, die Möglichkeit sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu leben? Denn wenn es nur ums Geld ginge – da gibt es doch genug sehr reiche islamische Länder, die Arbeitsmigranten brauchen. Was also zieht die Menschen zu uns?

Europa, das war und ist immer noch der in der Ferne strahlende Leuchtturm einer freien, selbstbestimmten Welt. Ich, liebe Relativierer und uns bevormundende, weiße Feministinnen, möchte, dass unsere freie, pluralistische Gesellschaft erhalten bleibt. Die erste Voraussetzung dafür ist aber die Freiheit des Denkens! Die zweite ist die Freiheit des Wortes! Egal ob Mann oder Frau.

Also hört endlich auf uns Sprech- und Denkverbote zu erteilen! Wir sind erwachsen genug, um selber Sprechen und Denken zu können. Wir brauchen niemanden, der uns wie eine Gouvernante an die Hand nimmt um uns den rechten, linken Weg zu zeigen.

Ali Ertan Toprak ist der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland und Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland (BAGIV e.V.)

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