Flitner: Ausstellung in Köln!

Bettina Flitner mit einem der Freier im "Wellness-Bordell".
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Wer ihre Fotografien kennt, erkennt sofort ihre Handschrift. Oft sind Themen und Typen provokant, immer aber ist ihr Blick zutiefst human – und entsprechend wird von den Porträtierten zurückgeschaut. Egal ob es Staatschefinnen sind oder Obdachlose, Freier oder Prostituierte. Sie hat „seit 25 Jahren eine singuläre Position in der deutschen Fotoszene“, schrieb die Photonews 2014 über Bettina Flitner. Jetzt werden in Köln über hundert Fotos aus zehn Fotoessays von ihr ausgestellt. Darunter die „Freier“ aus dem Jahr 2013 oder Jugendliche aus Berlin 2002, die stolz sind, „ein Rechter zu sein“.

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Die Ausstellung beginnt mit der Trilogie „Mein Feind – Mein Herz – Mein Denkmal“, bei der Flitner auf Straßen und Plätzen überlebensgroße Fotoskulpturen von zufälligen Passantinnen ausstellte, die ihren Rachefantasien, Erinnerungen und Träumen freien Lauf ließen. Nicht nur diese Arbeit löste heftige Debatten bei Menschen wie Medien aus. „Seit Beginn der 1990er Jahre infiltriert Flitner den Kunstbetrieb und sprengt seine Grenzen“, befand der Kunsthistoriker Klaus Honnef. 

FACE TO FACE, Werkschau Bettina Flitner, bis 18. April 2015, Kunsträume Horbach, Wormser Str. 23, Köln. Öffnungszeiten: Sonntag, 11-14 Uhr, Mittwoch und Freitag, 15.30 - 18.30 Uhr. – www.michael-horbach-stiftung.de

www.bettinaflitner.de

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Straßenstrich: Sieh mich an!

Fotografin Bettina Flitner mit Streetworkerin Petra und Jana.
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Der Straßenstrich bei Cheb an der deutsch-tschechischen Grenze ist für viele die Endstation. Manche sind erst 23, wie Andrea auf dem EMMA-Cover. Sie ist seit ihrem 18. Lebensjahr in der Prostitution. Zunächst war sie in deutschen Clubs und Bordellen in Frankfurt, Hamburg, Nürnberg etc. Wie die hießen, weiß sie nicht. Sie spricht kaum Deutsch. Andrea ist im Alter von vier Jahren ins Kinderheim gekommen. Ihre Mutter war Alkoholikerin, der Vater unbekannt.

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Irgendwann lernte sie einen jungen Mann kennen, einen Roma, der ihr etwas von Liebe erzählte. Als sie 18 war, haben ihr Loverboy und seine Familie sie nach Deutschland verkauft. Irgendwie ist es Andrea gelungen, in ihre Heimat zurückzukehren. Die Familie ihres Ex-Lovers hat sie dann auf den Strich von Cheb geschickt und von ihr verlangt, dass sie alles Geld abgibt. War es nicht genug, wurde sie geschlagen.

Wenn sie in Not ist, macht Andrea es auch schon mal für 10 oder gar 5 Euro.

Darum macht Andrea es, wenn sie in Not ist, auch schon mal statt für 30 Euro nur für 10 oder gar 5 Euro. Wenige Wochen nachdem Bettina Flitner Andrea porträtiert hatte, hat sie einen Mann kennengelernt, der sie vom Strich geholt hat. Mit ihm lebt sie heute zusammen, in seiner kleinen Wohnung. Sie bekommt Sozialleistungen und geht „nur noch manchmal“ anschaffen. Die Zuhälterfamilie hat ihr zunächst nachgespürt, lässt sie aber jetzt in Ruhe. Ein Happy End?

Die Männer, die auf dem Straßenstrich bei Cheb Frauen kaufen, sind überwiegend Deutsche – die, die kassieren, überwiegend Tschechen, oft Roma. Die meisten der Frauen, die hier stehen, haben schon in Deutschland angeschafft, in Clubs und Bordellen, oft in mehreren Städten.

Bettina Flitner war im Frühling 2014 dort einige Tage lang unterwegs. Sie hat mit der tschechischen Sozialarbeiterin Petra vom Hilfsprojekt Karo mehrfach „die große Runde“ gedreht. Petra verteilt Kondome und informiert: über die Beratungsstelle von Karo, das Schutzhaus und die Babyklappe in Plauen.

Direkt vor Ort betreut Karo auch Kinder von Prostituierten oder solche, die selber schon auf dem Strich aufgegriffen wurden. In der Gegend von Cheb ist man spezialisiert auf Babys: Als Erkennungszeichen für die Freier stellen die Eltern, die ihre Kinder verkaufen, Kinderwagen vors Haus oder hängen Windeln ins Fenster.

Ihren Job erledigen sie
im Gebüsch oder
im Auto der Kunden.

Bettina hat mit Petra hunderte von Kilometern auf dem Strich abgeklappert. Nicht zuletzt dank der Karo–Frau hatten die Prostituierten Vertrauen. Die Fotografin hat ihnen erklärt, dass man in Deutschland zurzeit sehr viel über sie – die Frauen aus Osteuropa, die sich prostituieren – diskutiert, sie aber eine anonyme Masse seien. Und sie wolle diesen hunderttausenden von Frauen nun ein Gesicht geben. Und eine Stimme. Diesen Frauen, die sich bei uns oder an den Grenzen prostituieren, für deutsche Männer und Sextouristen, die nach Deutschland einreisen.

Die Frauen stehen Tag für Tag am Straßenrand. In der Regel werden sie von den Männern, die kassieren, dort hingebracht. Ihren Job erledigen sie im Gebüsch oder im Auto der Kunden. 30 Euro pro Nummer. In Not auch nur 20 oder 10. Die Frauen stehen allein dort. Oft ist kein anderer Mensch in Sichtweite.

Bettina Flitner hat die Frauen nach ihren Träumen gefragt. Manche waren traumlos oder hatten nur noch Hoffnungen für ihre Kinder.

KARO e.V. betreibt in Plauen und Cheb je eine Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Frauen aus dem Prostitutions- und Drogenmilieu, eine Babyklappe und ein Schutzhaus im Vogtlandkreis. Der Vermieter des Schutzhauses will das Gebäude verkaufen. KARO will das Haus kaufen und braucht Spenden: KARO e.V., Volksbank Vogtland eG,  IBAN: DE 6087 0958 2450 0207 6600, BIC: GENODEF1PL1 (www.karo-ev.de)

Mehr von Bettina Flitner: www.bettinaflitner.de

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