Frauenabteile gegen Belästigung?

© Stefano Tinti/istock
Artikel teilen

Frauenabteile auf der Stecke zwischen Leipzig und Chemnitz. Ganze zwei Abteile mit zwölf Sitzplätzen nur für Mütter und Alleinreisende will die Mitteldeutsche Regiobahn (MRB) auf dieser Strecke einrichten, im mittleren Wagen, direkt neben der Ruhezone und dem Dienstabteil. So sollen die Frauen sich sicherer fühlen, erklärte das Unternehmen.

Anzeige

Wer Frauenab-
teile ankündigt, muss mit Einwänden rechnen

Selbstverständlich löste die Ankündigung der MRB eine saftige Diskussion aus. Denn: In einer Gesellschaft, in der Männer keine Frauen belästigen, brauchen wir auch keine Frauenabteile. In einer Welt, in der Frauen in einem gesonderten Zugabteil abgeschottet werden, kann es keine Gleichberechtigung geben. Wer im Jahr 2016 ankündigt, Frauenabteile einzuführen, muss also auf Einwände gefasst sein. Denn die Diskussion wird ja nicht zum ersten Mal geführt, in Deutschland, in Europa, auf der ganzen Welt.

In der Schweiz zum Beispiel führte die Bundesbahn SBB schon 2002 ein Pilotprojekt mit Frauenabteilen im Raum Zürich durch. Das Projekt wurde wegen mangelnder Nachfrage eingestellt. In Großbritannien versuchte 2015 der Labour-Politiker Jeremy Corbyn, mit dem unbequemen Thema zu punkten – erfolglos. In Ländern, in denen es gesonderte Abteile für Frauen gibt, ist die Geschlechterapartheid in der Regel groß und die Gewalt gegen Frauen noch größer. Wie in Indien, Mexiko, Brasilien, Ägypten, Saudi-Arabien. Und nun Ostdeutschland?

Scheinbar war die MRB nicht gefasst auf Kritik, anders lässt sich die ungeschickte Reaktion des Unternehmens nicht erklären. Auf Nachfrage des Mitteldeutschen Rundfunks verkündete das Bahnunternehmen: Die Frauenabteile hätten gar nichts mit sexueller Belästigung zu tun, sondern mit Komfort. Zum Beispiel für reisende Mütter mit Kinderwagen und ältere Menschen mit Gehhilfe. „Das ist eine zusätzliche Serviceleistung nach Vorbild der Österreichischen Bahn und in Anlehnung an ICE und IC“, so ein Sprecher. Ja, was denn nun? Sicherheit? Komfort? Dürfen Männer mit Gehhilfe auch ins Frauenabteil?

Nun fehlte nur noch eine laute Stimme, um das Internet zum Kochen zu bringen. Diese Stimme gehört der 33-jährigen Designerin Anna Lena Bankel, sesshaft in Wien. Sie begann unter dem Hashtag #ImZugPassiert über sexuelle Belästigung in der Bahn zu twittern: „Mann starrt mich mit irren Augen an.“ Und: „Mann richtet sich umständlich die Unterhose.“ Plus: „Was ist euch anderen Frauen so #imzugpassiert?“

Zum Beispiel Folgendes: „Männer, die sich extra schräg gegenüber hinsetzen, damit sie sich vor mir einen runterholen können. Mehrmals erlebt." Eine andere Frau berichtet: „Mann, der mich ganze Fahrt lang anmacht, steigt dort aus, wo ich aussteige und versucht, mir nach Hause zu folgen.“ Und die nächste schreibt: „Gruppe Männer belästigt mich. Bitte Schaffner um Hilfe. Er, augenzwinkernd: Burschen, jetzt seids ein bissl lieb zu der Dame!“

Prompt schalteten sich die online hervorragend vernetzten radikalen Männerrechtler ein, im üblichen Tenor: Was ist mit Abteilen für diskriminierte Männer? Alles übertrieben! Alles Lüge!

In Paris erfährt jede Frau Belästigungen in der Metro 

Alles Lüge? Falsch! In Deutschland hat sich bloß einfach noch niemand wirklich die Mühe gemacht, die Frauen zu fragen, was sie in Sachen sexueller Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln erleben. In Frankreich schon! 100 Prozent der Frauen gaben an, in der Pariser Metro belästigt worden zu sein. Das ergab eine Umfrage, die der „Hohe Rat für Gleichheit zwischen Männern und Frauen“ im vergangenen Jahr der französischen Regierung überreichte. 100 Prozent. Sprich: alle! Die Hälfte dieser Frauen war zu dem Zeitpunkt der Belästigung unter 18 Jahre alt. 60 Prozent erklärten, dass sie in ständiger Angst lebten, in der Metro, im Bus oder in einem Vorortzug überfallen zu werden.

Der Rat empfahl einen sofortigen Aktionsplan: Frauen besser informieren, wie sie das Sicherheitspersonal alarmieren können. Das Haltestellennetz erweitern. Die Wartezeiten beim Umsteigen reduzieren. Und vor allem: Das Schweigen über und Erdulden der Übergriffe in Öffentlichen Verkehrsmitteln brechen! Von Frauenabteilen oder gesonderten Bereichen nur für Frauen war nicht die Rede.

Vom 10. bis zum 16. April findet übrigens die Woche gegen Street Harassment, gegen sexuelle Belästigung auf der Straße statt. Denn die Busse und Bahnen, die sind ja nicht die einzigen Schauplätze für dieses Problem ...

Artikel teilen

Sexualstrafrecht: Nein heißt Nein?

Artikel teilen

Schon wenige Tage nach den dramatischen sexuellen Übergriffen der Silvesternacht hatten sich PolitikerInnen in vollmundigen Ankündigungen überboten. Die Täter, verkünden sie, müssten bestraft werden. Bundeskanzlerin Merkel will mit der „vollen Härte des Rechtsstaats“ zuschlagen; Vizekanzler Gabriel fordert „Null Toleranz gegenüber Kriminalität und sexuellen Übergriffen“ und will Täter „schneller und effizienter abschieben“; Justizminister Maas erklärt: „Wer glaubt, sich bei uns über Recht und Gesetz stellen zu können, der muss bestraft werden“ und solle dann auch ausgewiesen werden.

Anzeige

In der Regel enden Taten wie in der Kölner Silvesternacht straflos

Das klang gut. War aber völlig unrealistisch. Denn wer einen Blick in das Sexualstrafrecht und einschlägige Gerichtsurteile wirft, muss feststellen: Das, was die marodierenden Männer am Kölner Hauptbahnhof oder auf der Hamburger Reeperbahn getan hatten - Frauen an den Busen oder zwischen die Beine gefasst - ist in den meisten Fällen gar nicht strafbar.

Wer glaubt, „sexuelle Belästigung“ sei im deutschen Recht ein Straftatbestand, irrt. „Belästigung“ ist lediglich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geregelt und betrifft ausschließlich sexuelle Übergriffe im Beruf. Im Strafgesetzbuch hingegen kommt diese Art sexueller Gewalt überhaupt nicht vor.

Dort gibt es im § 177 zwar die „sexuelle Nötigung“, aber: Die „sexuellen Handlungen“, die der Täter vornimmt, müssen „von einiger Erheblichkeit“ sein, damit sie tatsächlich strafbar sind. So haben es RichterInnen entschieden. Mehrere Urteile, darunter auch solche des Bundesgerichtshofs, kamen zu dem Schluss: Ein Griff an die Genitalien oder an den Po ist unerheblich.

Hinzu kommt: Das Opfer muss Widerstand leisten, damit der Täter weiß, dass die Frau nicht von ihm angefasst werden möchte. Ein Mann, auch ein fremder, darf also zunächst davon ausgehen, dass eine Frau sexuellen Kontakt mit ihm möchte. Also zum Beispiel mit ihm schlafen, wenn er sie nach einer Party nach Hause bringt; oder von ihm auf der Kaufhaus-Rolltreppe an den Po gefasst werden; oder am Kölner Hauptbahnhof in den Schritt. Sollte sie das wider Erwarten nicht wollen, muss sie das dem Mann deutlich machen. Fehlt ihr dazu die Zeit, weil der Täter ihr blitzschnell an den Busen oder zwischen die Beine greift, oder der Mut, weil der Täter einschüchternd groß ist, oder weil es mehrere sind, fällt der sexuelle Übergriff nicht unter den § 177.

Viele sexuelle 
Übergriffe 
fallen nicht 
​unter den § 177

Deshalb ist auch der „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ (bff) mehr als skeptisch, was die angekündigte Bestrafung der Silvester-Täter anbelangt: „Dem bff sind schon lange zahlreiche Fälle bekannt, in denen Frauen an öffentlichen Orten belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst wurden. In der Regel enden diese Taten für die Täter straflos, weil aufgrund der Überrumpelung der Betroffenen keine Nötigungsmittel angewendet werden müssen, um die sexuelle Handlung zu begehen. Solche Überraschungsangriffe sind so die Erfahrung der Fachberatungsstellen und von Rechtsanwältinnen nicht durch den Straftatbestand der sexuellen Nötigung erfasst und damit systematisch straffrei.“

Der Verband befürchtet deshalb, dass die Bestrafung der Täter so sie denn überhaupt gefunden werden „hauptsächlich wegen der zusätzlich begangenen Diebstahl- und Raubdelikte stattfinden wird und nicht aufgrund der sexuellen Übergriffe“. Fazit: Der Straftatbestand der sexuellen Nötigung bedarf „dringend einer Reform“.

Die hat Justizminister Heiko Maas (SPD) jetzt vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu, auch wenn der Minister, der nun unter Zugzwang steht, versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Fakt ist: Maas hatte in Sachen § 177, dem so genannten Vergewaltigungsparagrafen, noch im September 2014 „keinen Handlungsbedarf“ gesehen. Erst der öffentliche Druck von Frauenorganisationen inklusive einer Petition mit 20.000 Unterschriften (inklusive der seiner Kollegin Manuela Schwesig) scheinen ihn offenbar von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt zu haben. Im September 2015 präsentierte der Justizminister also einen Entwurf, der aber rasch wieder in der Versenkung verschwand und nun nach der Silvesternacht wieder ans Licht geholt wurde.

Erst der öffentliche Druck brachte die Reform wieder auf den Tisch

Der Entwurf erfasst nicht nur die sexuelle Nötigung, sondern auch die Vergewaltigung, also den erzwungenen „Beischlaf“ oder andere Taten, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. Denn auch hier gilt bisher: Das Opfer muss Widerstand leisten. Ein Nein reicht nicht aus.

Die Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen haben rund 100 bewiesene Vergewaltigungsfälle dokumentiert, in denen die Täter freigesprochen oder gar nicht erst ein Verfahren eröffnet wurde. Die Begründungen verschlagen einem bisweilen den Atem. Allen voran die des Bundesgerichtshofs, der 2006 einen Freispruch wie folgt erklärte: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt“. Andere Richter folgen diesem höchstrichterlichen Vorbild.

Der letzte spektakuläre Fall dieser Art war der Freispruch von Roy Z. durch das Landgericht Essen im September 2012. Der 31-jährige schwere Alkoholiker, dessen Gewalttätigkeit aktenkundig war, hatte in seiner Marler Wohnung eine 15-Jährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte zuvor gesagt: „Nein, ich will das nicht“, die Vergewaltigung aber aus Angst über sich ergehen lassen. Die Richterin sprach den Täter frei. Begründung: „Er konnte ja nicht wissen, dass sie das nicht wollte.“

Ein "Nein, ich will das nicht" reicht nicht aus: Freispruch!

Folge: Obwohl die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung steigt, sinkt die Verurteilungsquote. Nur jede zehnte Anzeige endet, so hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) herausgefunden, mit einer (Bewährungs-)Strafe für den Täter, in Bundesländern wie Berlin sogar nur jede 25.

Jetzt, nach der Silvesternacht-Katastrophe, kommt Bewegung in die Sache. Endlich. An dem neuen Gesetzentwurf gibt es einige gute Aspekte und einen schlechten. Gut an diesem Entwurf ist:

1. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig sind“.

2. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig“ sind.

3. Er erfasst auch Fälle, in denen das Opfer „im Falle des Widerstandes ein erhebliches Übel befürchtet“.

4. Und falls der fehlende Widerstand des Opfers „auf einer Behinderung beruht“, soll dies künftig als „besonders schwerer Fall“ gelten. Bis dato war es ein minder schwerer Fall.

Eine Frage aber bleibt: Warum muss das Opfer eigentlich Widerstand leisten? Warum gilt nicht das ebenso einfache wie klare Prinzip „Nein heißt Nein!“, wie es auch die sogenannte Istanbul-Konvention fordert? Dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ fordert in Artikel 36: „Das Einverständnis (zum Geschlechtsverkehr, Anm.d.Red.) muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“
Der deutsche Justizminister hat sich dazu in seinem Gesetzentwurf nicht durchringen können.

Jetzt ist die CDU an dem SPD-Minister vorbeigeprescht. Anfang des Jahres hat der Bundesvorstand der CDU die so genannte „Mainzer Erklärung“ verabschiedet. Darin heißt es: „Sexualdelikte sind keine Kavaliersdelikte. (...) Deshalb sorgen wir dafür, dass gemäß Art. 36 der Istanbul-Konvention die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung geschlossen wird. Für den Straftatbestand muss ein klares ‚Nein‘ des Opfers ausreichen.“

Österreich hat vorgemacht wie es gehen kann

Während die SPD bisher davon ausgeht, dass der konservative Koalitionspartner den Maas-Entwurf durchwinkt, bestätigt die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Annette Widmann-Mauz, auf EMMA-Anfrage: „Nein heißt Nein! Deshalb müssen wir die Istanbul-Konvention umsetzen und die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung schließen. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers muss dahingehend verändert werden.“ Auch das sogenannte Begrapschen solle ein „neuer Straftat bestand“ werden.

Österreich hat gerade vorgemacht, wie das geht. Seit 1. Januar 2016 wird dort bestraft, wer „mit einer Person gegen deren Willen (…) den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt“. Und auch das so genannte Grapschen steht nun, klar definiert, unter Strafe: Seit Jahresanfang drohen in unserem Nachbarland sechs Monate Haft, wenn „der Geschlechtssphäre zuordenbare Körperstellen entwürdigend berührt“ werden.

Leider hat sich Justizminister Maas davon nicht inspirieren lassen. Und die CDU-MinisterInnen haben es durchgewunken - trotz "Mainzer Erklärung". Die CDU/CSU-Fraktion scheint das zu Recht irritierend zu finden. Nach dem Kabinetts-Beschluss erklärte sie in einer Pressemitteilung: "Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesminister Maas bietet allerdings noch keinen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Wir werden daher im parlamentarischen Verfahren auf Änderungen drängen." Und weiter: "Ein Nein muss immer beachtet werden."
 

Zur Petition des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) an Justizminister Heiko Maas: "Schaffen Sie ein modernes Sexualstrafrecht. Nein heißt nein."

Weiterlesen
 
Zur Startseite