Die Mao-Witwe

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Dieser Text erschien 1981 in EMMA. Heute will niemand wahr haben, mit welchen Hoffnungen der Maoismus verbunden war.
In der Person Jiang Qings versucht die derzeitige chinesische Führungsspitze denjenigen abzuurteilen, den sie nicht mehr vor den Richterstuhl zerren kann: Mao Zedong, seinen Utopismus, seinen kommunistischen Radikalismus. Man zeigt uns im Fernsehen eine nicht mehr junge, gefasste Person mit kurzem, aber noch dunklem, dichtem Haar, den Kopf ein wenig geneigt, wie um besser zu hören. Man zeigt uns weder Beweismaterial noch Zeugenaussagen für irgendwelche Delikte.
Diese strenge Frau, die in der Öffentlichkeit stets in grauer Männerkleidung auftrat, ungeschminkt unter der Brille und mit straff zurückgekämmten Haar – die Uniform einer egalitären Revolution der Armen –, wurde öffentlich karikiert mit geschminktem Gesicht; Finger, Handgelenke und Ohren mit Gold und Brillianten überladen, mit superhohen Absätzen und im bis zum Oberschenkel geschlitzten Kleid, das den Blick auf die Beine freigibt. Wie eine Schauspielerin aus fernen Zeiten, gierig und korrupt. – Sie, die Gleichheit gepredigt hatte, die es gewagt hatte, nach Maos Tod die Nachfolge Hua Guofengs anzugreifen, und die Deng Xiaoping vorgeworfen hatte, er wolle China wieder „auf den Weg des Kapitalismus“, des Konsumismus, der gesellschaftlichen Schichtenbildung, der Ausbeutung zurückführen.
Auch die Männer des linken Flügels wurden schonungslos dargestellt, aber als Ehrgeizlinge oder zweideutig. Keiner von ihnen hüfteschwingend oder in Unterhosen: Das sind die Waffen der Frauenfeindlichkeit, die sich gegen die Frau richten, die es gewagt hat, das Wort zu ergreifen, und die Hand nach der Macht auszustrecken. Das sind nicht nur chinesische Waffen.
Eine subtile Komplizenschaft verbindet das Gericht in Peking mit der westlichen Presse. Die Ermittler brauchten also nur das unglaubliche Märchen zu verbreiten, Jiang Qing habe während des Verfahrens einen Striptease vorgeführt – um sie zu verwirren? Um sie zu verführen? Auf jeden Fall, weil sie angeblich gewohnt sei, mit ihrem Körper leichtfertig und provozierend umzugehen – und schon griffen die großen westlichen Zeitungen die Story mit spöttischen Schlagzeilen auf. Welcher männliche Leser lacht nicht über einen Strip einer Siebenundsechzigjährigen? Auch wenn es nicht stimmt, was macht das schon?
„Erschießt mich auf dem Tiananmen- Platz und ruft das Volk zur Exekution herbei“, hat sie vor Gericht gesagt. Es war, glaube ich, nicht nur eine Herausforderung – vielleicht ein Wunsch. Ihr Leben war von einer totalen politischen Leidenschaft durchdrungen wie von einer starken elektrischen Spannung. Die Macht war für sie nicht Ziel, sondern Mittel dieser Leidenschaft. In ihrem Namen hat Jiang Qing fast alle nur denkbaren Fehler begangen, außer denen, die man ihr vorwirft. In ihrem Namen könnte sie sicher leicht den Tod ertragen.
Im Jahr 1972 hat sie der amerikanischen Journalistin Roxane Witke von sich erzählt, die ihr Buch (‚Genossin Tschiang‘) jedoch erst 1977 drucken ließ, als Jiang Qing bereits inhaftiert war.
Es ist ein Zeugnis dafür, wie Jiang Qing sich in einem entscheidenden Moment ihres Lebens sah – als sie noch Hoffnung hatte, das ‚linke Prinzip‘ aufrechtzuerhalten und sich gleichzeitig von dem Verdacht befreien musste, mit dem in Ungnade gefallenen und unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Funktionär Lin Piao kollaboriert zu haben. Das Selbstporträt, das daraus entstand, ist zweifellos authentisch, gerade aufgrund seiner verhängnisvollen Naivität.
Es ist eine lange, bittere Klage über die Härte ihres Lebens, zuerst in tiefster Armut, immer im Kampf. In drei Abschnitten. Der erste umfasst die Zeit von ihrer Geburt bis zu ihrem Eintritt in die Schule für dramatische Kunst in Tsinan, also 1914 bis 1928. Ihr Vater ist Herr Li, ein armer und gewalttätiger Trinker. Die nicht mehr junge Mutter muss fliehen und nimmt die kleine Li Cin mit in eine Art von Halbsklaverei. In ihrer Kindheit lernt Jiang Qing zwei Arten von Unterdrückung kennen: einmal die der Frau durch den Mann, dann die der Bauern durch die Reichen, veranschaulicht durch die abgehackten Köpfe, die die Feudalherren der Umgebung als Warnung für ihre anderen Sklaven an den Mauern der Stadt aufhängen lassen.
Bis zu dem Gesetz von 1950 können Frauen verkauft werden, und der Vater hätte sein weibliches Neugeborenes wie ein Katzenjunges erwürgen können, ohne dass Gesetz oder Sitte es ihm verboten hätten.
Dann gelingt es Li Cin, an einer Theaterakademie zu studieren, und von dort aus führt ihr Weg ins kulturelle und politische Zentrum des vorrevolutionären Chinas, ins Shanghai der 30er Jahre. Erst arbeitet sie am Theater, wo man ihr einen wirkungsvolleren Namen geben wird, Li Yun-ho, was Wolkenkranich bedeutet, dann beim Film, wo sie einen frivoleren Namen erhält, Lan Ping, „Blauer Apfel“. Sie ist grazil, konzentriert, schön.
Hier in Shanghai und gerade in diesen Jahren wenden sich Wolkenkranich und Blauer Apfel der Politik zu. Zuerst einem proletarischen Theaterverband, der progressive Stücke auf dem Land aufführt. Später der Partei. Aber wie schwer ist es für die kleine Schauspielerin, im Untergrund Fuß zu fassen. Jiang Qing spricht von Misstrauen, Drohungen, Erpressungen, Fallen. Als die Polizei sie aufgreift, wird sie vom CVJM, nicht von der kommunistischen Partei gerettet. Sie ist ein verbittertes Mädchen, als sie 1937 nach Yenan, die rote Basis, gelangt, um an der Akademie für dramatische Kunst zu studieren und zu arbeiten.
In Yenan findet das Mädchen, das noch mal von vorn anfangen will, nicht nur zur Partei. Sie trifft auf Mao. Jung, verträumt, leicht anarchistisch, ohne Uniform – der, der am meisten denkt, am wenigsten arbeitet und sich weniger an die Disziplin hält.
Als sie Mao begegnet, wird es fürs Leben sein. Die pflichtbewussten jungen Männer von Yenan sind mit dieser Verbindung keinesfalls einverstanden. Erst 1939 werden sie Mao gestatten, sie zu heiraten. Die Fotografien, die uns aus jener Zeit erhalten sind, zeugen von einer Liebe: zwei junge Menschen, die mit dem gleichen Blick nach vorne schauen, in eine schwierige, unbestimmte Zukunft. Auf einem späteren Schnappschuss sitzt Jiang Qing zu Pferd, hinter Mao. Wie ein Junge wirkt sie.
Als Frau des großen Vorsitzenden muss sie zwischen 1939 und 1964 abseits stehen, um das Misstrauen nicht zu schüren. Nach der Befreiung wird sie ein Amt als politische Beraterin in der Filmindustrie erhalten, sich aber nicht viele Freunde schaffen. Weder bei den Bürokraten noch bei den Intellektuellen, die sich nicht damit abfinden wollen, aus Kunst Pädagogik zu machen, ist sie beliebt.
Während in Mao allmählich die Gewissheit wächst, dass die Struktur der Partei angegriffen werden muss („Bombardiert das Hauptquartier!“), um die Massen zu befreien, schließt sich Jiang Qing näher an ihn an, gewinnt Einfluss, Macht. Im Jahr 1964 wird sie zum ersten Mal sprechen, 1967 wird zum ersten Mal diese Rede veröffentlicht. Es sind ihre flammenden zehn Jahre, endlich hat sie die Möglichkeit, gegen die unterschwelligen Arten von Unterdrückung zu kämpfen, die Unterdrückung durch den Geist, durch die Kultur, durch die Sitte, durch die alte Kultur. Sie wirft sich nicht nur mit Begeisterung, sondern auch mit der Bitterkeit wiederaufgewühlten, vergangenen Schmerzes in den Kampf.
Als Leitfaden dienen ihr jene „Gespräche über Kunst und Kultur“, die Mao in Yenan führte und die als die orthodoxeste, der sowjetischen Ideologie am nächsten stehende von all seinen Abhandlungen anzusehen sind. Die falschen Ideen überwinden, indem man sie ausrottet; den Menschen die Furcht aus dem Herzen reißen, indem man das Gute und das Böse ohne Schattierungen aufzeigt; den Feind in uns verfolgen, die Ungeheuer, die lockenden Dämonen, die die geheimsten und gewaltigsten Mächte umgarnen …
Jiang Qing wird Mitglied des Zentralkomitees der Kulturrevolution und dessen Beraterin fürs Heer, wo man allerdings der Meinung ist, dass der Bedarf an Kulturrevolution eher gering sei. Und in der Tat, als sie versucht, die Heeresspitze zu entflammen, muss sie sich schnell zurückziehen. Doch ihren Ruf als Extremistin wie auch als unbarmherzige Verfolgerin jeder Art von Kultur, die nicht strengstens propagandistisch ist, wird sie nicht mehr loswerden.
Sie ist es, die die alte Oper in Peking zerstört, die Drachen, Prinzessinnen und Krieger. Und sie ist es, die mithilft, den Bestand der Bibliotheken auf wenige Titel zu reduzieren. Sie ist unnachgiebig. Sie glaubt daran, dass sich der neue Mensch auf diese Weise konstruieren lässt, wie eine junge Pflanze, die man nur gut düngen und kräftig gießen muss.
Ist sie auch rachsüchtig? Ihre heutigen Ankläger behaupten das. Sie soll sich an jedem und allem in diesen zehn Jahren gerächt haben. An allen, die sie in den dreißiger Jahren in Shanghai und in den fünfziger Jahren in der Partei gedemütigt haben.
Im Prozess ist Jiang Qing nicht eingeschüchtert: „Wie im alten China verlangt ihr von der Witwe die Schulden, die ihr von dem Ehemann zu Lebzeiten nicht einzufordern wagtet“. Sie denunziert Heuchelei, spricht von Verrat. Sie hat keine Angst, weder vor denen, die ihr den Prozess machen, noch vor dem Tod. Nur eines könnte sie erschüttern: Wenn sich in ihr ein Zweifel über den Sinn ihres Lebens einschleichen würde. Ob die Linke nicht vielleicht Fehler begangen hat? Ob man die Menschen durch einen streng überwachten Umerziehungsprozess wirklich ändern kann? Vermutlich werden wir nie erfahren, ob Jiang Qing von solchen Zweifeln geplagt wird.
Rossana Rossanda, EMMA 4/2005
Der hier gekürzte Text erschien zuerst in EMMA 3/1981. – Die Autorin ist eine der bekanntesten Linksintellektuellen Italiens und Gründerin der Zeitung Il Manifesto.

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