Christiane Goldenstedt: Ganz schön offensiv

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Die Rebellion begann zwischen gestutzten Hecken und ordentlich gemähten Rasenflächen. Sie begann im Arbeitszimmer eines Einfamilienhauses, unter üppig beladenen Bücherregalen. Dort saß Dr. Christiane Goldenstedt, 54, Lehrerin für Französisch und Geschichte am Gymnasium Ganderkesee bei Bremen, Ehefrau und Mutter eines Sohnes und einer Tochter, und sah konzentriert auf eine Tabelle, die sie aus dem Internet geladen hatte. Die Lehrerin las: "Perikles, Kolumbus, Wallenstein, Robespierre, Napoleon, Metternich." Sie las weiter: "Kant, Lenin, Stalin, Scheidemann." Immer mehr Namen tauchten auf, 59 insgesamt: "Hindenburg, Himmler, Hitler, Goebbels." Alles Männernamen. Erst kurz vor Ende der Liste wurde eine Frau erwähnt, aber auch nicht wirklich: "Geschwister Scholl" stand da.

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Es ist nicht irgendeine Tabelle, die Goldenstedt da auf ihrem Computerschirm las. Die Tabelle ist Teil des niedersächsischen Kerncurriculums für Geschichte der Klassen fünf bis zehn; sie bestimmt mit, was Schülerinnen und Schüler über die Geschichte der vergangenen drei Jahrtausende lernen sollen: Wie sie die Welt sehen, an wem sie sich orientieren, welche Vorbilder sie finden.

Christiane Goldenstedt las die Tabelle bis zum Ende, aber da kamen keine Frauen mehr. Es blieb bei Sophie Scholl als Teil eines Geschwisterpaares. Goldenstedt war fassungslos. Sie konnte nicht glauben, dass so etwas noch möglich war: Dass ein Expertengremium, besetzt mit vier Frauen (!) und drei Männern, alle Mitglieder des niedersächsischen Geschichtslehrerverbandes, heutzutage noch in einem solchen Ausmaß Frauen ignorieren konnte.
Christiane Goldenstedt ist keine Kämpferin, sie ist vom Wesen und von der Ausbildung her eher eine Vermittlerin. Und so wählte sie nach einigem Überlegen ein Werkzeug, das ihrem Charakter entspricht. Sie beschloss, die Richtlinie durch eine Petition an den Niedersächsischen Landtag zu verhindern.

Als Kind ging Christiane Goldenstedt auf ein Mädchengymnasium bei Hameln und lernte, dass Zurückhaltung und Schweigen bei Frauen respektiert, ja belohnt wird. Während ihres Studiums begeisterte sie sich dann für die Frauenbewegung, für selbstbewusste Frauen wie Annette Kuhn, Historikerin für Frauengeschichte in Bonn, oder für historische Kämpferinnen wie Olympe de Gouges, die während der französischen Revolution für die Rechte der Frauen focht und auf dem Schafott endete.

Goldenstedt wurde klar: Frauen brauchen Vorbilder.

Als sie später an der Schule unterrichtete, war sie längst zur Feministin geworden und schrieb auch in Fachzeitschriften über ihre Heldinnen. Doch jetzt wollte sie einen Schritt weiter gehen: Sie wollte handeln!

Also setzte sich Christiane Goldenstedt an ihren Schreibtisch und formulierte ihre Petition an das Kultusministerium. "Eine Identitäts- und Bewusstseinsbildung mit Hilfe des Faches Geschichte" sei nur möglich, "wenn das Fach Geschichte auch aus der Perspektive der Frauengeschichte erschlossen wird". Geeignete Kandidatinnen dafür, die Frauenlücke im Curriculum zu füllen, lieferte Goldenstedt gleich mit.

Dann suchte die empörte Lehrerin Mitstreiterinnen: Wissenschaftlerinnen und Leiterinnen von Frauenverbänden und Institutionen, etwa aus dem Haus der FrauenGeschichte in Bonn, dem Landesfrauenrat Niedersachsen, dem Deutschen Akademikerinnenbund oder der Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros Niedersachsen. Sie alle unterzeichneten die Petition.

Sodann schickte Goldenstedt sie an das Niedersächsische Kultusministerium und das Ministerium schickte sie an den Geschichtslehrerverband, der das Curriculum ausgearbeitet hatte. Der Bundesvorsitzende dieses Verbandes heißt Peter Lautzas, er lebt in Mainz und glaubt, dass die Mitglieder seines Verbandes für frauenpolitische Themen nicht viel übrig haben. "Frauengeschichte ist für die meisten bloß eine lästige Fliege", sagt Lautzas. Die gängige Meinung sei, dass Geschichte hauptsächlich von Männern gemacht und Petitionen wie diese eigentlich überflüssig seien. Er, Lautzas, sehe das zwar anders, aber: "Etwas zu ändern ist schwer und braucht Zeit." Wir schreiben das Jahr 2008.

Mehrere Monate hörte Goldenstedt nichts vom Verband, dann erfuhr sie, die Namensliste sei geändert worden. Nun fanden sich in ihr acht Frauen. Und 59 Männer. Erwähnenswert fanden die GeschichtslehrerInnen außer Sophie Scholl jetzt noch: Kleopatra, Hildegard von Bingen, Maria Theresia, Katharina die Große und Rosa Luxemburg, sowie die Göttinnen Hera und Athene.

Goldenstedt war mit diesem Ergebnis nicht zufrieden. Sie schickte die Petition erneut ab, diesmal an den Landtag. Doch für die Mitglieder des niedersächsischen Kultusausschusses war das schlicht Gedöns. Es fand sich keine Mehrheit für die Forderung nach mehr weiblichen Vorbildern als klägliche 14 Prozent, stattdessen gab es Gelächter.

Christiane Goldenstedt, die im 21. Jahrhundert darum kämpft, dass in einem deutschen Lehrplan die Frauen gleichberechtigt neben den Männern stehen, hat etwas erreicht. Aber noch nicht genug. "Ich habe immerhin acht Frauen ins Curriculum gebracht", sagt sie. Möglicherweise werden es noch mehr. Die Grünen haben jetzt einen Antrag auf erneute Überarbeitung des Curriculums gestellt. Sollte er erfolgreich sein, ist das der zweite Sieg einer Lehrerin in Niedersachsen, die nicht bereit war, das Verschweigen der Frauen in der Geschichte hinzunehmen.

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