In der aktuellen EMMA

Christine Herntier: Hält stand

Christine Herntier, Bürgermeisterin von Spremberg in der Lausitz, will raus aus der Sprachlosigkeit. Foto: Jens Kalaene/dpa
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Angefangen hat alles in der Bürgersprechstunde von Spremberg, einem Ort mit 20.000 EinwohnerInnen in der Lausitz, 25 Kilometer südlich von Cottbus. SchülerInnen sind zu ihrer parteilosen Bürgermeisterin gegangen, um von Hakenkreuz-Schmierereien und Naziparolen auf dem Schulhof zu berichten. Und: Auf dem Schulweg wurden einige SchülerInnen von Neonazis angeworben. 

Christine Herntier war entsetzt. Zeitgleich kam heraus, dass „Der dritte Weg“, eine rechtsradikale Kleinstpartei, sich Spremberg als neuen Aktionsraum ausgesucht hatte. Das nahe Cottbus gilt als eine der Hochburgen der Rechten.

Christine Herntier entschied sich, in ihrer Kolumne im Amtsblatt von den rechten Parolen, den Hakenkreuzen und vor allem von den Anwerbungen von SchülerInnen durch Rechtsextreme zu berichten. Von außen erntete sie dafür schnell Applaus, überregionale Medien berichteten. Doch von einigen SprembergerInnen hagelte es Kritik. Eine Nestbeschmutzerin sei sie. Wie sie dem Ort und der Region nur so schaden könne, wo Spremberg doch „die Perle der Lausitz“ sei. Tenor: Es stimmt ja alles, aber der Gang an die Öffentlichkeit hätte nun wirklich nicht sein müssen!

Doch genau das sieht Christine Herntier anders. „Ich lasse nicht zu, dass sich die Rechtenextremen Stück für Stück unsere Region einverleiben und wir stillschweigend zuschauen. Unter Rechtsradikalen will niemand leben“, sagt sie im Gespräch mit EMMA. Die Rechtsextremen seien es, die den Strukturwandel bedrohen. „Sie befeuern die Abwanderung. Sie bringen unsere Region um ihre Zukunft. Ihnen müssen wir den Wind aus den Segeln nehmen. Und das können wir nur, wenn wir die Probleme offen benennen!“

Mittlerweile bekommt sie dafür auch Zuspruch. „Natürlich ist das Thema unangenehm, gerade deshalb müssen wir doch souverän damit umgehen. Wir müssen raus aus der Sprachlosigkeit!“, sagt die Bürgermeisterin entschlossen. Was passiert, wenn eine Region stillschweigend die Zügel aus der Hand gibt, hat sie selbst erlebt. 

Nach der Wende wird die studierte Maschinenbauerin die Geschäftsführerin der Spremberger Textilwerke. Dort war sie bereits zu DDR-Zeiten Direktorin für Materialwirtschaft. Dann kam die Wende und der Niedergang der Textilindustrie begann, ähnlich wie im Ruhrgebiet. Christine Herntier muss 4.000 Menschen entlassen, größtenteils Frauen. Die Menschen verlassen in Scharen die Lausitz, Familien werden zerrissen, Perspektivlosigkeit macht sich breit. 

Herntier selbst bekommt gute Angebote aus dem Westen. Doch sie bleibt. Auch wegen ihrer Eltern, die „aus mir einen glücklichen Menschen gemacht haben“. Ihr Vater war für den kommunalen Wohnungsbau in der DDR tätig, ihre Mutter lange Zeit Hausfrau. Die stellte die Tochter auf den Küchentisch und übte Gedichte mit ihr ein. So hat die Tochter bis heute kein Problem damit, vor Menschen aufzutreten.

Herntier weiß, dass sie die Wunden aus der Nachwendezeit nicht heilen kann. Aber sie will dafür sorgen, dass es weitergeht, am besten vorwärts. 2014 wird sie Bürgermeisterin von Spremberg/Grodk in der Lausitz, dem größten Braunkohle-Revier in Ostdeutschland. Der Bergbau prägt die Landschaft, gibt den Menschen Arbeit und Stolz. 

2019 beschließt Herntier in der Kohlekommission den Ausstieg für 2038 mit. Der Kampf um Fördermittel beginnt. „Ich wollte diesen Niedergang nicht noch einmal erleben. Ich will mithelfen zu lenken“, sagt sie. Der Strukturwandel ist die größte Herausforderung für die Lausitz. Sie soll als „Net Zero Valley“ Europas Modellregion für saubere Technologien werden – und Arbeitsplätze schaffen.

Anders als so manch anderer Stadt in der Lausitz geht es Spremberg relativ gut. Die Straßen wirken wie frisch gepflastert, gerade werden eine neue Oberschule und eine Schwimmhalle gebaut. Inzwischen erwachsene Kinder kehren nach Spremberg zurück. Auch Herntiers eigene Kinder sind zurückgekommen. „Sie haben die Welt gesehen und sind heute froh, wieder in der Heimat zu sein“, sagt Herntier. „Es ist schön, hier zu leben. Das soll auch so bleiben – und dafür will ich sorgen.“

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