"Ich könnte 'blöde Fotze' zu Ihnen sagen"

Auf welches Identitätsangebot werden die netten älteren Herren zugreifen? © Fotolia
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Am Morgen nach der Wahl von Donald Trump. Ich hatte in Innsbruck zu tun gehabt und holte mein Auto aus der Tiefgarage des Hotels. Ein netter, älterer Mann öffnete gerade die Tür seines Volvo Combi mit Tiroler Kennzeichen nebenan. Ob er mich mit seinem Wagen eingesperrt habe, fragte er. Und wie ich es fände. Das mit der Wahl. Ob ich so etwas erwartet hätte. Wir schüttelten beiden die Köpfe. "Die Amerikaner sind wie die Kinder." sagte der Mann dann. Das fand ich nicht. Eine Diskussion entstand. Und. Sie landete bei der Frauenfrage.

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"Die Clinton" sagte der Mann. "Die Clinton. Die wollte doch eh nur Krieg führen." Auf meine Frage, was denn eine Frau nun machen sollte, damit man ihr keinen Vorwurf machen könne, antwortete der Mann, daß die Frauen einfach zu Hause bleiben sollten. Die Familie versorgen. Die meisten Frauen, meinte er. Er nähme mich da aus. Ich schaue nicht so aus. Aber die meisten Frauen. Die. Die wollten doch gar nicht arbeiten. Die wollten versorgt werden. Die hätten es doch nur darauf abgesehen, die Männer auszunehmen. Nicht alle. Nein. Das wolle er nicht sagen. Aber besonders die Jüngeren. Die wollten doch nur einen reichen Mann. Auf meinen Hinweis, daß doch immer Zwei dazugehörten, wenn eine Verbindung eingegangen würde, antwortete er, daß man die Männer schützen müsse. Vor den Frauen.

Dann schaute er mich lange an. "Jetzt." sagte er. "Jetzt. Nach dieser Wahl. Da könnte ich ja 'blöde Fotze' zu Ihnen sagen und es kann mir nichts mehr passieren?" Der Mann legte fragend seinen Kopf zur Seite und lächelte schelmisch verschwörerisch. "Ich meine das nicht böse." sagte er noch und lachte fröhlich. "Die Zeiten haben sich geändert." rief er und stieg in sein Auto ein.

Die meisten
Frauen wollen
doch gar nicht
arbeiten!

Ich fand mich sprachlos. Ich fand mich also genau da, wo solche Machtverhältnisse die Frauen jahrtausendelang durch Herabwürdignung stumm gehalten hatten. Und. Die Selbstverständlichkeit dieser Machtausübung durch Herabwürdigung war durch das charmante Lächeln nur noch verstärkt. Und nein. Die Zeiten hatten sich nicht geändert. In keiner Weise. Die Frau als Objekt der Schmähung. Seit diesen 5000 Jahren. Das hatte in Comedy oder Schönheitswahn maskiert sowohl im Kanon der Unterhaltungsindustrie wie in der Hochkultur die letzten Jahrzehnte überlebt. Das war von den Frauen selbst gegen sich selbst gerichtet erhalten geblieben. Nur jetzt. Im Klima der Aufsagung aller Vereinbarungen des Zivilisierten. Da kann einer die ganz alte Macht der Verachtung wieder benutzen.

Aber. Ich mußte weg. Ich stieg also ins Auto. Fuhr los. Auf der Fahrt durch das Inntal. Im Sonnenschein. Die schneeglitzernden Berge rechts und links hoch aufragend. Schönwetterwölkchen am blauen Himmel. Die Lärchen orange leuchtende Flecken an den Hängen.

Der Mann hatte recht gehabt. Mit Donald Trump hatte eine gewalttätige Kultur des Rassismus und der Frauenverachtung gewonnen. Ja. Die Mehrheit der Wähler und Wählerinnen gaben Trump das Mandat, den Staat selbst in diese brutale Kultur des Wahlkampfs zu verwandeln. Trump, so lautete der Auftrag. Trump soll das alte Establishment mit den Mitteln dieser Kultur beseitigen. Er soll den Staatsapparat zum Erfüllungsgehilfen seiner rechtsextremen Versprechungen machen. Der Ku Klux Klan wird ihm dafür eine Parade marschieren. Im Staat. In der äußeren Welt. Rassismus und Frauenverachtung sollen die Grundlage offiziellen Handelns bilden. Der "weiße Mann" soll wieder in seine angestammten Rechte eingesetzt werden.

Der "weiße Mann" soll wieder das Geld verdienen. Die weiße Frau soll viele weiße Babies zur Welt bringen. Und. Damit sie das tut, muß sie wieder vollkommen abgewertet werden. Sie soll ja auf keine andere Idee kommen können. Denn. Verachtung. Verachtung nimmt die Verachteten vollkommen gefangen und versklavt sie.

Mit Trump haben Rassismus und Frauen-
verachtung gesiegt

Und nun. So wie der Mann in der Innsbrucker Tiefgarage, sollen die Werte, die mit dem Begriff "weißer Mann" umrissen werden, wieder die unbewußte Grundlage des Handelns und Denkens und der Dominanz des "weißen Manns" werden können. So wie der Mann in der Innsbrucker Tiefgarage diese schimpfliche Bezeichnung der Frau selbstverständlich zur Hand hatte, so sollen alle anderen Ausdrucksformen der Überlegenheit wieder selbstverständliche Ausdrucksform des "weißen Manns" werden.

Wie bei allen Faschismen handelt es sich auch hier um das Abwehrgefecht gegen sozialen Abstieg. Als Mittel gegen diesen Abstieg fällt dem weißen Fundamentalismus dann nur ein, sich durch massenhafte Vermehrung den alten hegemonialen Platz zurückzuholen. Zugleich wird damit gesagt, daß die Frauen Schuld an diesem Abstieg sind. Die Frauenbewegung wird abgewertet. Gleichzeitig wird überdeckt, daß familienrechtlich die Frauenarbeit eine ökonomische Notwendigkeit ist. Der Familienerhalter existiert längst nicht mehr. Der ist von in der neoliberalen Wirtschaft beseitigt worden und nicht von den Frauen. Wie immer. Wirtschaftlichen Probleme werden mit der Frauenfrage verschleiert. Und dann. Mehr Jobs wird es für die Burschen auch dann nicht geben, wenn alle Frauen zu Hause bleiben und Hemden bügeln. Dafür ist die digitale Revolution zuständig.

In der Innsbrucker Tiefgarage. Der nette ältere Herr deklarierte sich als "weißer Mann". Er deklarierte sich zwar noch in Frageform und mit einem charmanten Lächeln. Aber. Die Wahl von Donald Trump ermöglichte es ihm, aus den vielen Identitätspartikeln, die ihn sicherlich insgesamt ausmachen, dieses spezifische Identitätsangebot auszuwählen.

Identitäten, so sagt die Wissenschaft. Identitäten setzen sich aus erworbenen Aspekten und aus Zuschreibungen zusammen. Dieser nette, ältere Mann. Er wirkte wie einer, der seine Enkel zum Sportunterricht fährt oder ihnen das Autofahren beibringt. Dieser nette, ältere Mann griff in dem Gespräch über die Wahl in den USA nicht auf seine berufliche Identität zurück. Seinen Erfolg. Oder seine Stellung in der Familie. Seine Rolle in der Gemeinde. Im Kirchenrat der Pfarre. Nein. Er benutzte das Angebot rechtsextreme Männlichkeit Trumpscher Manier zur Darstellung. Dieser nette, ältere Herr ließ seine "Weißheit" sichtbar werden. Er war noch ein wenig erstaunt darüber. Aber. Wir wissen. Er wird das noch sehr gut lernen. Seine Enkeltöchter wird er schützen. Die Frauen aber. Die Frauen so. Im Allgemeinen. Für die hält er eine Schmähung bereit. Und. Er weiß sich im Einklang mit einem Zeitgeist, der ihn darin nur bestärken wird.

Ein Abwehr-
gefecht gegen
den sozialen
Abstieg

Nun ja. Zeitgeist. Die herrschenden Ideen sind immer die Ideen der Herrschenden. Der nette, ältere Mann bevorzugte die ihm als natürlich zugeschriebene Identität "weißer Mann" als stärkeres Angebot als seine selbst erworbene Persönlichkeit. Die angebliche Natürlichkeit des Geschlechts erscheint ihm stärker als all das, was er in seinem Leben erreicht hat. Im Auto. Im Inntal. Inmitten dieser jubelnden Herbstlandschaft. "Die Zweite Frauenbewegung ist damit zu Ende." dachte ich. "Endgültig und nun real."

Das heißt, wir müssen in die Dritte Frauenbewegung aufbrechen. Denn. Wenn ein Mann - oder irgendjemand - mir eine sexistische Schmähung entgegenschleudern kann und dieser Mann - oder irgendjemand - mit keinen Folgen rechnen muß. Dann habe ich keinen gleichberechtigten Status in dieser Kultur. In diesem Staat. Und. Wenn der Zeitgeist Maskulinismus heißt, dann ist Maskulinismus an der Macht.

In der österreichischen Situation ist das dann das rhetorische Nachzugsverfahren der vorhandenen Situation. Die Frauen werden halt noch geschmäht, nachdem sie familienrechtlich ausgesteuert in geringfügiger Beschäftigung der Altersarmut entgegengeführt werden. Ach ja. Wie hat der nette, ältere Herr gemeint. Frauen wollen doch ohnehin nicht arbeiten. Wie sollen sie denn, wenn sie ohnehin nur schlechter bezahlt die Haushaltsarbeit ja doch noch erledigen müssen, während der sogenannte Familienerhalter die Familie nicht allein erhalten kann, aber für seinen Job geschont werden muß.

Eine Frau hat es in Österreich oder Deutschland nicht gleichberechtigt. Wenn die Männer absteigen, dann geht es den Frauen noch schlechter. Dafür gibt es aber nun die Lizenz zur Schmähung. Dann können die "weißen Männer" sich wenigstens da besser fühlen. Wie gesagt. Das Identitätsangebot "weißer Mann" ist auch für so einen Europäer verführerisch. Er kann sich weiterhin als den Mittelpunkt der Welt sehen und die anderen bleiben die anderen. Die Wahrheit ist ja, daß der "weiße Mann" auch nur eine Gruppe ist, die von anderen Gruppen aus, eben nur eine andere Gruppe darstellt. Der Verlust der Exklusivität. Wie viel sollen wir dafür noch bezahlen. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts handelten schon davon.

Und. Dieser "weiße Mann", der nach dem Handbuch der FPÖ der autochthone Österreicher genannt werden soll und nach dem der AfD der .... Deutsche. Diese "Weißheit". Die ist nicht schichtspezifisch. Der nette, ältere Mann in Innsbruck war gediegene Mittelschicht. Er hat auf das Identitätsangebot "weißer Mann" zurückgegriffen, weil wir über die Frauenfrage geredet hatten und er keine Argumente mehr hatte. Für andere, die den Abstieg deutlicher spüren, mag es die überzeugendere Identität sein, weil sie machtversprechend von außen angeboten wird. Wie zu sehen ist, werden alle Konventionen, Prägungen und die übrige innere Welt des jeweiligen Mannes außer Kraft gesetzt. Der nette, ältere Herr wirkte nicht wie einer, der normalerweise mit Schmähausdrücken um sich wirft. Für ihn war es wohl genugtuend, daß ein anderer in der Schmähung voranging. Donald Trump hat in dieser Art der Schmutzrederei für alle anderen vorausgegangen. Hat angeführt. Und die anderen "Weißen" sind dankbar dafür.

Für viele der Wähler Donald Trumps wird ein Gefühl der Verlorenheit als Grund ihrer Wahl angegeben. Sie fühlen sich zurückgelassen und machen mit dieser Wahl auf sich aufmerksam. Dieses Argument wird auch für die FPÖ- und die AgD-Wähler verwendet. Statt aber über demokratische Prozesse sich in den Staat einzubringen, wird die Demokratie abgeschafft, um sich die alten Privilegien der "Weißheit" oder des Österreicher- und Deutschseins zurückzuholen.

Wir müssen in die Dritte Frauenbewegung aufbrechen!

Ja. In den USA wird den Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen gegenüber offen von Bürgerkrieg gesprochen. Die Leben von Personen sollen wieder durch die Geburt bestimmt werden. Das ist genau das Gegenteil, wofür die Gründerväter die Vereinigten Staaten gründeten. Aber. Wie gesagt. Der Ku Klux Klan will für Trump eine Parade abhalten. Es geht um die Verteilung der Resourcen. Der Kampf darum wird mit brutalen Mitteln geführt werden.

Was tun. Nun. Es bleibt nichts anderes übrig als von vorne zu beginnen. Nur komplizierter. Wir müssen den Staat stärken, um ihn demokratischer machen zu können und so zu Gleichheit und Geschlechtergerechtigkeit zu kommen. Und. Diesmal geht es um das Bestehen auf Emanzipation und Autonomie quer zu allen Geschlechtern und Schichten und anderen Zugehörigkeiten, um die demokratischen Kräfte so zu vereinen, daß sie wirksam sein können. Schließlich hat uns der Zerfall dieser Kräfte in genau diese Rechtspopulistischen Parteien beschert. Dieses Symptom des Zerfalls des politischen Establishments sollte eine Lehre bleiben und sich nicht wiederholen.

Was mich nun aber noch mehr beschäftigt, das ist die Normalisierung. Wäre ich nicht diesem netten, älteren Mann in der Innsbrucker Tiefgarage begegnet, ich hätte das Normale an der Brutalität des Kommenden nicht in dieser Klarheit sehen können. Denn. Und das scheint mir der nun wichtigste Vorgang zu sein. Die Bilder von Donald Trump mit Barack Obama im weißen Haus. Diese Bilder etablierten sofort ein Gefühl von Normalisierung. Es wird nicht so schlimm werden, wenn dieser Mann da mit dem Präsidenten so friedlich sitzen kann, denkt man oder frau unwillkürlich. Einen Augenblick habe ich bei diesen Bildern verstanden, wie es kommen kann, daß ein verbrecherischer Wahlkampf in eine verbrecherische Amtsführung gleiten kann und alle Gegnerschaft durch die Äußerlichkeiten des Amts beruhigt zuschaut.

Fortsetzung folgt.

 

Der Text erschien zuerst im Sonntags-Standard.

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Der wütende weiße Mann

Foto: pacific press agency/Imago
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Neuerdings heißt es ja gerne, wir lebten jetzt im „postfaktischen“ Zeitalter. Will heißen: Zunehmend viele Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sondern nur noch für ihre persönliche gefühlte Wahrheit. Donald Trump, der notorische Faktenverdreher, gilt als Prototyp des Postfaktischen, und seine Anhänger, die sich ihr Weltbild aus Vorurteilen zusammenbasteln, natürlich auch. So weit, so bekannt.

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Ist das Problem also eine Klassenfrage bzw. eine „soziale Frage“? 

Allerdings erleben wir nach dem Wahlschock gerade in einer ganz anderen Zielgruppe eine erstaunliche Ignoranz eines bestimmten Faktums. Es lautet: Donald Trump wurde mit überwältigender Mehrheit von weißen Männern gewählt, und zwar vor allem von solchen, die man als „abgehängt“ bezeichnet. Zwei Drittel (63%) der weißen männlichen Wähler stimmten laut CNN-Wahlstatistik für den weißen männlichen Kandidaten. Und fast drei Viertel (72%) der weißen Männer ohne Collegeabschluss. Das ist eine gewaltige und aufschlussreiche Zahl - für die sich aber nicht nur Jörg Schönenborn im ARD-Brennpunkt am Abend nach der Wahl kein bisschen interessierte.     

Auch als Alice Schwarzer kurz darauf bei „Maischberger“ versuchte, über das Phänomen zu sprechen - und über die Schlüsse, die daraus zu ziehen seien - wurden die Fakten von den Mitdiskutanten beiseite gewedelt. So befand zum Beispiel Julian Reichelt, Chef von Bild.de, Hillary Clinton solle gefälligst „das Problem bei sich selbst suchen und nicht beim weißen Mann“. Und überhaupt, ob Schwarzer dem weißen Mann demnächst wohl das Wählen verbieten wolle?

Auch die Medien spöttelten: Schwarzer habe „die Feminismuskeule rausgeholt und traf damit sich selbst“, befand der Kölner Stadtanzeiger. „Schwarzer weiß, was sie schon vor 40 Jahren wusste: Der weiße Mann ist das Problem,“ schrieb der Spiegel. Vielleicht hätte der Rezensent den Bericht seines Kollegen Georg Diez lesen sollen. Der war schockiert, auf einer Trump-Wahlveranstaltung den „blanken Hass“ von „wilden weißen Männern mit großen Bäuchen und jungen glattrasierten Männern um die 20“ zu erleben. Spiegel-Autor Diez rief daraufhin den „Bürgerkrieg des weißen Mannes“ aus: „Diese Menge war vereint in der Wut, sie war vereint in der Kränkung, sie war vereint in dem Gefühl, dass ihnen ihr Land genommen wurde und dass sie es sich zurückholen würden.“       

Währenddessen läuft in den USA eine differenzierte Debatte um die „abgehängten weißen Männer“, die schon vor Jahren begonnen hatte. „Who is the ‚Forgotten Man‘?“ fragt die New York Times und konstatiert, dass die Demokraten sich von ihren einstigen „working class politics“ verabschiedet hätten. Vergessen wurde dabei der Arbeiter, der seinen Job in der Autoindustrie verloren hat oder der Landwirt, der seinen Hof dichtmachen musste. Deshalb, so die Washington Post, habe Trump vor allem Bundesstaaten im „Rust Belt“ geholt, dem „Rostgürtel“ mit den geschlossenen Fabriken. Und darum habe Trump auf die „Less Educated Whites“ gesetzt, auf die Weißen mit geringer Bildung.

Sind es die Armen, die gegen die Elite protestieren?

Man kann in der amerikanischen Presse kluge Analysen darüber lesen, was die Verarmung der unteren Mittelschicht mit dem hammerharten Sexismus zu tun hat, der Hillary Clinton entgegenschlug. Nicht nur unter den Trump-Wählern mit ihren Stickern Marke „Don’t be a Pussy. Vote for Trump!“ oder „Finally Someone with Balls!“ Endlich jemand mit Eiern! „Die Antipathie, die Hillary Clinton von weißen Männern entgegenschlägt, ist unvergleichlich“, stellt Politik-Professor Peter Beinart von der New Yorker Universität in seinem Artikel „Fear of a Female President“ fest.

Grund: Der weiße Mann fühlt sich entwertet. Umfragen ergeben: „Die weißen Amerikaner, die Hillary Clinton am stärksten ablehnen, sind die, die eine Entmännlichung am meisten fürchten“, erklärt Beinart. Entmännlichung durch Jobverlust, Entmännlichung durch die Tatsache, dass sie nicht mehr Alleinverdiener sind. Entmännlichung dadurch, dass ihre Art der Männlichkeit nicht mehr Maß aller Dinge ist. „Amerikaner, die finden, dass Amerika ‚zu weich und feminin‘ geworden ist, finden viermal häufiger, dass Hillary Clinton „sehr unangenehm“ ist. Und sie finden, dass „weiße Männer stärker diskriminiert werden als Frauen“.

Ist das Problem also eine Klassenfrage bzw. eine „soziale Frage“? Sind es die Armen, die gegen die Elite protestieren? Könnte man meinen, aber das ist nur ein relativ kleines Stück des Puzzles. Denn: Die abgehängtesten Männer der USA haben Trump ihre Stimme nicht gegeben: die schwarzen. 80 Prozent aller schwarzen Männer haben Hillary Clinton gewählt - und 94 Prozent der schwarzen Frauen. Hier geht es also nicht nur um den Verlust von Einkommen und Sicherheit. Hier geht es um den Verlust angestammter (männlicher und weißer) Privilegien. In der Wahl, die die New York Times als „Schlacht der Geschlechter“ bezeichnet, ging es um die Rassen- und die Geschlechterfrage. Der sich abgehängt fühlende weiße Mann ist wütend auf den aufgestiegenen schwarzen Mann – und noch wütender auf die aufsteigende Frau.  

„Weiße Amerikaner sind wütender als schwarze“, zitiert der Guardian eine NBC-Studie. „Weiße Menschen erklärten häufiger, ihre finanzielle Situation sei nicht so, wie sie sie sich vorgestellt hätten. Und sie schrieben das eher „den Umständen“ zu als ihren eigenen (Fehl)Entscheidungen. Sie erklärten häufiger als Schwarze, dass sie, wenn sie die Nachrichten hören, „mindestens zweimal am Tag wütend sind“. Besonders wütend, so die Umfrage, sind weiße Männer.

Natürlich, es gibt auch wütende weiße Frauen. Über die Hälfte der weißen Frauen (53%), vor allem die älteren, haben Trump gewählt. Und sogar zwei Drittel der weißen Frauen ohne College-Abschluss (62%). Darunter dürften etliche Evangelikale gewesen sein, von denen zwei Drittel Trump wählten. Die Pro Choice-Politik von Clinton, also für das Recht auf Abtreibung, ihre positive Haltung zur Homo-Ehe und natürlich ihr fortschrittliches Frauenleben dürften auch so mancher evangelikalen Frau ein Dorn im Auge gewesen sein. Aber auch die weiblichen Wählergruppen, die für Trump stimmten, reichen nicht an die Zahl der männlichen Trump-Wähler heran. Für Gloria Steinem ist darum die Wahl Trumps ein „White-Lash“ und ein „Man-Lash“, sprich: Ein Backlash, der sich aus der Wut der Weißen und der Männer speist.

Nein, es geht um Rassismus und um Sexismus

Warum ist es so wichtig, sich diese Entwicklung in den USA genau anzusehen? Erstens: Weil auch in Deutschland eine Menge wütender abgehängter Männer unterwegs sind. Sie haben ihre Wut nicht erst in den letzten beiden Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im September 2016 an der Wahlurne ausgetobt: Hätten in Berlin nur Männer zwischen 45 und 59 gewählt, wäre die AfD stärkste Partei geworden und würde jetzt den Regierenden Bürgermeister stellen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern würde die AfD jetzt den Ministerpräsidenten stellen, hätten im Land des Werftensterbens und der Frauenflucht in den Westen nur Männer zwischen 30 und 60 gewählt.

Zweitens, um nicht im Postfaktischen zu verweilen, das verhindert, dass wir die Ursachen verstehen – und sie verändern können. Im Herbst 2017 ist Bundestagswahl. Es ist Zeit, sich für die Fakten zu interessieren.

Chantal Louis 

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