Gesetz: "Voller Widersprüche!"

Justizminister Marco Buschmann und Frauenministerin Lisa Paus: Ideologie über Realität? - Fotos: IMAGO
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Der Kampf um das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ geht in die nächste Runde. „Verfassungswidrig“, „voller Widersprüche“, „nicht umsetzbar“, „zeugt von völliger Ahnungslosigkeit“ – so beurteilen ExpertInnen und Feministinnen den Entwurf zum sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“. Auch die „Vereinigung Transsexuelle Menschen“ äußert „ernsthafte Bedenken“.   

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Am 9. Mai 2023 hatten Justizminister und Frauenministerin endlich ihren „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ (SBGG) vorgestellt – aufgrund massiver Proteste mit etwa einjähriger Verzögerung. Bis zum 30. Mai konnten Verbände und auch Einzelpersonen ihre Stellungnahmen zum Gesetzentwurf abgeben. Das Ergebnis: Vernichtende Kritik von allen Seiten.

In den einschlägigen Medien von taz bis Süddeutsche allerdings kommen bisher nur die Ideologen zu Wort, denen das Gesetz immer noch nicht weit genug geht. Sie wollen jegliches Einräumen der Relevanz des biologischen Geschlechts wieder gestrichen wissen: beim Sport, im Strafvollzug oder beim Zugang zu geschützten Frauenräumen zum Beispiel. Kritische Eltern, Ärzte, Fraueninitiativen, Trans- und Berufsverbände, die sich ebenfalls mit Stellungnahmen zu Wort gemeldet haben – Fehlanzeige! Ihre Argumente werden nicht zitiert. Hier darum ein Überblick über ihre sehr breite und sehr ernste Kritik an dem sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“: 

Die Realisten kritisieren zuallererst, dass der Kern des geplanten Gesetzes immer noch die Abschaffung der Kategorie „Geschlecht“ ist. Danach soll jeder Mensch seinen Geschlechtseintrag durch eine einfache, nicht einmal eidesstattliche Erklärung auf dem Standesamt ändern können, und das einmal im Jahr.    

"Beim Schutz von Frauen und Mädchen ist der Verweis auf das Hausrecht unzumutbar."

„Der Gesetzentwurf ersetzt naturwissenschaftliche Fakten durch ein nicht validierbares, vages Konzept, indem es den bisherigen Personenstandseintrag ‚Geschlecht‘ durch die sogenannte ‚Geschlechtsidentität‘ ersetzt“, erklärt die Initiative Lasst Frauen sprechen. „Das führt zu Widersprüchen und Unklarheiten“.    

Unklar ist zum Beispiel, warum es einerseits angeblich keine Missbrauchsgefahr durch Männer geben soll, die sich qua „Sprechakt“ zur Frau erklären (um zum Beispiel Zugang zu geschützten Frauenräumen zu bekommen). Gleichzeitig gebe es die Gefahr des Missbrauchs aber eben doch, nämlich zum Beispiel im Verteidigungsfall (wo Männer sich zur Frau erklären könnten, um nicht eingezogen zu werden). „Da im Gesetzentwurf für die Dauer eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls ein Missbrauch des Selbstbestimmungsgesetzes als möglich angenommen wird und verhindert werden soll, muss das auch für die Sicherheit von Frauen, Kindern und Jugendlichen gelten“, erklärt die "Feministische Partei - Die Frauen" in ihrer Stellungnahme.

Der Fall eines bärtigen Mannes, der in einer Wiener Frauensauna bleiben durfte, nachdem er sich zur „Transfrau“ erklärt hatte, zeigt: Missbrauch ist sehr wohl möglich. Doch der Gesetzentwurf delegiert die Entscheidung über den Zugang zu Frauen-Sauna, -Umkleide oder -Dusche an die jeweiligen Betreiber. Und das erneut mit einem Widerspruch. Denn einerseits dürfen Personen nicht „lediglich unter Berufung auf den Eintrag ins Personenstandsregister“ den Zugang zu geschlechtsspezifischen Toiletten oder Umkleideräumen verlangen. Andererseits darf die die „Zutrittsverweigerung“ nicht „pauschal auf die Geschlechtsidentität gestützt werden“. Ja, was denn nun?

"Auf das Verfassungsgericht können sich die Verfasser des Gesetzes gerade nicht berufen."

Das FrauenAktionsBündnis (FAB) kommentiert das Chaos so: „In Bezug auf Frauenräume bedarf es der Rechtssicherheit. Der Verweis auf das Hausrecht der BetreiberInnen ist unzumutbar.“ Denn: „Die berechtigte Angst vor einer AGG-Klage wird schwerer wiegen als die Pflicht, Kundinnen vor Eingriffen in die Intimsphäre oder einer potenziellen Retraumatisierung zu schützen“. Die Initiative Geschlecht zählt bestätigt: "Der Staat entzöge sich mit Hinweis auf das Hausrecht seiner gesetzlichen Verantwortung, den Schutz von Frauen und Mädchen zu gewährleisten."

Und „Lasst Frauen sprechen“ korrigiert: „Fälschlicherweise behauptet der Gesetzentwurf, es habe in Ländern mit ähnlichen Gesetzen bisher keinen Missbrauch des Gesetzes gegeben. Tatsächlich sind jedoch viele Fälle bekannt, in denen Männer in betrügerischer Absicht ihren Personenstand ändern ließen.“ So zum Beispiel in England und Schottland, wo verurteilte Vergewaltiger sich zur „Frau“ erklärten, um in den Frauenstrafvollzug zu kommen.

Es verwundert nicht mehr, dass der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, hier überhaupt kein Problem sieht. Im Gegenteil. In seiner Stellungnahme fordert Lehmann, den Verweis auf das Hausrecht der BetreiberInnen einer Sauna oder eines Frauenhauses wieder aus dem Entwurf zu entfernen, denn der atme „den Geist des Misstrauens“. Damit macht sich der Queer-Beauftragte und Vater des Gesetzesentwurfes erneut zum Sprachrohr von Transaktivisten, die den Passus, der den Zugang zu geschützten Räumen regelt, am liebsten ganz streichen möchten. 

"Die Annahme, Jugendliche verzichteten auf medizinische Maßnahmen, ist ein Irrtum."

Es geht aber nicht nur um Frauenschutzräume, sondern auch um „Stipendien, Preise und Positionen für Frauen, Frauenquoten, Frauenhäuser, Recht auf Behandlung durch Ärztinnen und weibliches Pflegepersonal“, erklärt das FrauenAktionsBündnis.

Und für die Initiative LAZ reloaded zieht Juristin Gunda Schumann in ihrer ausführlichen und fundierten juristischen Analyse den Schluss: „Der komplette Wegfall von ‚Hürden‘ für eine Änderung des Geschlechtseintrags“ sei „aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht hinnehmbar“. Und sie verweist, wie andere Stellungnahmen auch, auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das verlangt, „dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen“. Ausdrücklich gestattet Karlsruhe dem Gesetzgeber, „einen auf objektivierte Kriterien gestützten Nachweis zu  verlangen, um beliebige Personenstandswechsel auszuschließen“. Fazit: „Auf das Bundesverfassungsgericht können sich die AutorInnen des Gesetzentwurfs gerade nicht berufen.“   

Möglich ist der „Geschlechtswechsel“ schon bei Kindern: Eltern können den Geschlechtseintrag ihres Kindes von Geburt an ändern lassen, „ohne dass das Kind überhaupt gefragt wird oder irgendeine Fachperson den Fall auch nur zu Gesicht bekommt“, kritisiert „Lasst Frauen sprechen“.

Die Behauptung, dass das „Selbstbestimmungsgesetz“ nichts mit medizinischen Maßnahmen zu tun habe, widerlegt nicht nur die Elterninitiative Trans Teens Sorge berechtigt (TTSB). „Die stark vereinfachte Möglichkeit, Namen und Personenstand zu ändern, signalisiert leichtgläubigen jungen Menschen unrealistischerweise, dass es ebenso einfach und zügig möglich ist, das physische Geschlecht zu wechseln“, wissen die Eltern. „Wenn erst Vorname und Personenstand geändert sind, ist der Körper umso schwerer zu ertragen.“ Der als „falsch“ empfundene Körper. Die sich für „trans“ haltenden Jugendlichen, die inzwischen in überwältigender Mehrheit Mädchen sind, bekämen „oft auch keine anderen Behandlungsoptionen angeboten“.

Für Kinder und Jugendliche ist nicht einmal eine Beratungspflicht vorgesehen.

Auch Transsexuelle selbst kritisieren die Leichtfertigkeit, mit der das geplante Gesetz schon Jugendlichen den „Geschlechtswechsel“ erlauben will: „Insbesondere hinsichtlich der geplanten Regelungen für Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr (…) haben wir ernsthafte Bedenken“, erklärt die Vereinigung Transsexuelle Menschen (VTSM). 

Schärfer formuliert es die – selbst transsexuelle – Sexualtherapeutin Dr. Renate Försterling. „Nach meiner langjährigen Erfahrung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in meiner Genderpraxis ist die Annahme, junge Menschen würden reflektiert und quasi aus Distanz zu ihren eigenen Wünschen nach einer Vornamens- und Personenstandsänderung auf medizinische Maßnahmen zur körperlichen Angleichung verzichten, ein Irrtum“, schreibt Försterling. „Natürlich wollen die meisten der geschlechtsdysphorischen Jugendlichen auch operative geschlechtsangleichende Maßnahmen. Überall in Deutschland wurden und werden Operationskapazitäten speziell für solche Operationen geschaffen.“ Fazit: „Diejenigen, die die rechtliche Trennung in dieses Gesetz geschrieben haben, haben entweder keine Ahnung von Entwicklungspsychologie oder sie stehlen sich mit der Formulierung einer rechtlichen Trennung bewusst aus der Verantwortung zu Gunsten politischer Ziele, bei denen die Interessen der Kinder und Jugendlichen keine angemessene Berücksichtigung finden.“

Umso erstaunlicher, man könnte auch sagen: verantwortungsloser, dass selbst für Jugendliche vor dem Wechsel des Geschlechtseintrags nicht einmal eine Beratungspflicht vorgesehen ist. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) wundert sich darüber, dass nicht einmal bei der freiwilligen Beratung darauf hingewiesen wird, dass die Beteiligung von Fachleuten bei einer so existenziellen Entscheidung angezeigt wäre: „Wir fänden es daher sinnvoll, hier die Beteiligung von und Beratung durch spezialisierte Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie zu ergänzen.“

Es gibt übrigens auch Frauenverbände, die sich für das „Selbstbestimmungsgesetz“ aussprechen. Zum Beispiel der Deutsche Frauenrat oder die Frauenhauskoordinierung. Es fällt auf, dass just diese Verbände vom Bundesfrauenministerium finanziell mit siebenstelligen Summen gefördert werden – also von jenem Hause, aus dem der Gesetzentwurf kommt.

Die nächsten Schritte werden sein: Der überarbeitete Entwurf kommt ins Kabinett. Danach wir es im Bundestag und in den Ausschüssen debattiert. In Anbetracht der massiven Kritik am Entwurf dürfte das vor der Sommerpause nicht mehr gelingen - ein halber Sieg für uns Aufklärerinnen, die vor den Gefahren des so undurchdachten geplanten Gesetzes warnen.

 

Kritische Stellungnahmen zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz (SGB) u.a.
Arbeitskreis „Geschlechtsbasierte Rechte der Frau” (AK-GRF)
Deep Green Resistance
D&A: Discussion and Action
Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP)
Europäische Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit e.V.
Fachtagung Frauenrechte
Feministische Partei - Die Frauen
Frauen Aktion München (FAM)
Frauenaktionsbündnis FAB
Fraueninitiative Weiberzorn
Frauenlandhaus Charlottenberg
FrauenLesbenNetz
Frauen- und Kinderhaus Uelzen e.V.
Frauenheldinnen e.V.
Freie Wähler Frauen Bayern
LAZ reloaded
Initiative „Geschlecht zählt”
Initiative „Lasst Frauen Sprechen!”
Lesbisches Aktionszentrum (LAZ) Reloaded e.V.
LGB Alliance Deutschland
Netzwerk „Starke Themen”
Radfem Berlin
Radfem Kollektiv Berlin
SAFIA Lesben gestalten ihr Alter e.V.
#SaveTDF - Initiative für Transparenz, Demokratie und Frauenrechte
Sisters - für den Ausstieg aus der Prostitution e.V.
Trans Teens Sorge berechtigt (TTSB)
The Real Dyke March
Vereinigung Transsexuelle Menschen e.V.
Women’s Declaration International – Deutschland
 

Stellungnahmen von Einzelpersonen u.a.:
Dr. Monika Barz
Selena Broens
Rona Duwe
Victoria Feuerstein
Dr. Renate Försterling
Monika Mengel

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