Der Aufstand der Musliminnen!

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Lange war es das best gehütete Geheim­nis der französischen Vorstädte – bis die erste Tote da lag: die 17-jährige Sohane Benziane. Sie wurde mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leib verbrannt, mitten in ihrem Wohnviertel, in Balzac in Vitry-sur-Seine. Grund: Ihr Freund hatte der Freundin eines anderen Jungen eine Ohrfeige versetzt – und der wiederum rächte sich, indem er die Freundin des Täters mit Benzin übergoss und anzündete. Bitterer Kommentar von Sohanes Schwester Kahina, einer Soziologie-Studentin: „Zuerst haben sie die Mülleimer angezündet. Dann die Autos. Jetzt die Mädchen.“

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Sie, das sind die jungen Männer in den überwiegend von Nordafrikanern bewohnten verelendeten französischen Vorstädten. Sie lassen ihre Aggressionen nicht an den für die Misere Verantwortlichen aus, sondern an den noch Schwächeren: An den eigenen Schwestern, Freundinnen und Frauen.

Seit Beginn der 80er Jahre haben die überwiegend muslimischen Nordafrikaner im Land ihres Ex-Kolonialherren eine Parallel­gesellschaft aufgebaut. In dieser Gesell­schaft gelten nicht die französischen Menschenrechte für alle, sondern das islamistische Zwei-Klassen-Recht für Männer und Frauen. Mitten in Frankreich leben die Frauen wie im von den Mullahs regierten Iran oder in dem von Gotteskriegern terrorisierten Algerien: entrechtet, bevormundet und gespalten in „Anständige und Schlampen“. Die Mädchen unter dem Kopftuch zeigen Flagge: Sie sind keine Flittchen, sondern Mädchen zum Heiraten.“ Wer sich jedoch den Macho-Gesetzen entzieht, zahlt einen hohen Preis.

So wie Samira Bellil, die als erste das Gesetz des Schweigens brach. Im vergangenen Herbst erschien in Paris ihr Buch über das, was sie in der „Hölle der Bandenvergewaltigungen“ („Dans l’enfer des tournantes“) erlebte. Bei diesem „Spiel“ reichen die in Banden organisierten von einem zum anderen weiter („tournante“), gebrochen werden ihre Opfer mit extremer Erniedrigung und Gewalt. Nachdem Samira mit 14 mit dem Bandenchef Jaïd geschlafen hatte, wurde sie zum Freiwild. Sie ist nun die Schlampe, mit der man alles machen kann, ein „Kellermädchen“. Dreimal wird sie zum Opfer von Gruppenvergewaltigungen. Die Gebrandmarkte verlässt die Schule, streunt auf der Straße, versinkt in Drogen und Gewalt. Es dauert nochmal 15 Jahre, bis Samira endlich redet – und damit einen Skandal entfacht.

Das Geständnis von Samira und der Tod von Sohane waren der eine Tropfen zu viel. Ça suffit! Es reicht! erklärten nun hunderte, ja tausende von Mädchen und Frauen in den Vorstädten und machten sich auf den Weg. Im Februar und März zog ihr „Marsch der Frauen“ durch ganz Frankreich. Unter dem Slogan „Ni putes ni soumises“ (Weder Huren noch Unterworfene) veranstalteten sie Kundgebungen in 23 Städten. Höhepunkt war die Abschlussdemonstration am 8. März in Paris mit über 20.000 Teilnehmerinnen.

„Wir ersticken an dem Machismo der Männer in unseren Vierteln“, erklärten die Musliminnen in ihrem landesweiten Aufruf. Denn: „Sie verweigern uns im Namen der ‚Tradition‘ die elementarsten Menschenrechte. Wir nehmen nicht länger hin, dass unsere Unterdückung mit dem ‚Recht auf den Unterschied‘ gerechtfertigt wird.“

Nach Jahrzehnten des Stillhaltens brechen die Frauen jetzt also das unausgesprochene Tabu der Solidarität um jeden Preis mit ihren Männern. Diese Männer, unter denen die Arbeitslosigkeit und Verunsicherung grassiert, werden seit Beginn der 80er Jahre offensiv von islamischen Fundamentalisten unterwandert. Die bieten ihnen Gruppenzugehörigkeit, Geld (zum Beispiel, wenn sie ihre Töchter und Frauen verschleiern) und Selbstbewusstsein – auf Kosten der Frauen. Bereits 1998 hatte die französische Polizei in den Vorstädten fast tausend, genau: 994 junge Männer verhaftet und wegen Bandenvergewaltigungen angeklagt. Doch die meisten Zeuginnen hatten angstvoll geschwiegen. Das ist jetzt vorbei. Zumin­dest in Frankreich.

Es ist nicht neu, dass der Rassismus in Frankreich offensiv bekämpft wird, von Betroffenen wie Sympathisanten. „Ne touche pas à mon pote!“ (Rühr meinen Kumpel nicht an!), lautete das Motto einer anti-rassistischen Kampagne, die in den 80er Jahren Aufsehen erregte und aus der die so genannten „Kumpelhäuser“ sowie die Organisation „SOS Racisme“ entstanden. Nur: Nach den Kumpelinnen hat niemand gefragt. Und auch niemand nach dem Preis, den die Frauen für die zunehmende Gettoisierung der Muslime zahlen. Eine Gettoisierung, die in Frankreich viel leichter zu bekämpfen wäre als in Deutschland. Denn immerhin sprechen die algerischen oder marokkanischen MigrantInnen die Landessprache, kommen sie doch aus den ehemaligen französischen Kolonien.

Erstmals erheben jetzt die Frauen der Gettos die Stimme. Ihr Marsch hat jetzt auch die französische Öffentlichkeit aufgeschreckt. Die bedeutendste französische Tageszeitung, Le Monde, berichtete ausführlich über den Protest und ließ die jungen Aktivistinnen selbst zu Wort kommen. „Sexu­elle Gewalt in den Vorstädten“ überschrieb die Le Monde diplomatique ihr Dossier zu den Gruppenvergewaltigungen. „Die Mädchen aus den Vorstädten trauen sich zu reden“ titelte die linke Libération bisher eher auf der Seite der Kumpel.

Unter dem Dach der Kumpelhäuser ist eine Website eingerichtet worden, auf der die Frauen persönliche Erfahrungen festhalten. Dadurch machen sie öffentlich, wie sie leben, was sie denken – und was sie träumen. Nicht selten schreiben sie anonym, denn es bleibt gefährlich, in ihrem Viertel nicht den Mund zu halten und nicht den Kopf zu senken. Zum Beispiel so: „Wir können das Jugendzentrum in unserem Viertel nicht besuchen, unsere Brüder hindern uns daran und die Freunde unserer Brüder hindern uns daran. Wenn wir im Stadtzentrum einfach spazieren gehen wollen, haben wir Angst, dass dieser Spaziergang falsch interpretiert wird (‚Sie hat sich mit einem Jungen getroffen!‘ ‚Ich habe gesehen, wie sie in einem Café eine Zigarette geraucht hat.‘). In dem Treffpunkt, den ich besuche, sprechen wir mit einer Beraterin über Sexualität, aber das passiert heimlich. Wir sprechen mit niemandem darüber, wir haben Angst, als Nutten beschimpft zu werden. Ich bin es leid, so zu leben.“

Es hat schon Zeiten gegeben, in den 70er Jahren, in denen die Mehrheit der muslimischen Mädchen in Frankreich fast genauso frei zur Schule und auf die Straße gingen wie ihre Brüder. Dass die Uhr wieder zurückgedreht wurde, ist keineswegs nur der sozialen Benachteiligung der MigrantInnen in Frankreich zu verdanken, sondern auch und vor allem der islamistischen Propa­ganda, die den laut Koran angeblich höherwertigen Männern süß in den Ohren tönt. Propagandazentrale ist der 1979 ausgerufene iranische Gottesstaat, finanziert wird die ideo­logische Offensive von Saudi-Arabien. Das hat inzwischen auch der französische Staat begriffen – und hält gegen.

Als die Sozialisten noch an der Regierung waren, lautete das offizielle Motto „Toleranz“, auch mit dem Schleier in der Schule. Gleichzeitig führten sie 1994 eine „Dialog-Beauftragte“ ein, Hanifa Cherifi, die zwischen muselmanischen SchülerInnen und LehrerInnen vermitteln sollte. Sie hat das mit Erfolg getan. Gab es vor acht Jahren noch rund 3.000 Schleier-Konflikte an französischen Schulen, so waren es im letzten Jahr nur noch rund 150. Auf jeden Fall, stellt Cherifi klar, bewegt der Schleier-Konflikt nicht die Mehrheit der Millionen Musliminnen, sondern eine Minderheit: Nur eine von 10.000 französischen Schülerinnen ist heute verschleiert.

Inzwischen fordern sogar die oppositionellen Sozialisten in Frankreich ein Anti-Schleier-Gesetz. Ex-Kulturminister Jack Lang zum Beispiel brachte einen Gesetzesvorschlag ein, der „jedes Zeichen religiöser Zugehörigkeit im Rahmen der Schule verbietet“. Bei den Konservativen rennt er damit offene Türen ein, sie haben die Agitation der Islamisten in Fankreich wie in Algerien immer schon kritisch gesehen. Und auch die LehrerInnen-Gewerkschaften werden immer nervöser. „Je länger es geht, umso weniger werden wir das Problem mit dem Dialog lösen“, erklär­te der Generalsekretär der SNPDEN. Sie erwarten vom Staat, dass er das Prinzip der Weltlichkeit in den Französischen Schulen verteidigt. Mit aller Entschiedenheit!“

Der konservative und populäre Innenminister Nicolas Sarkozy sieht es genau so. Er will die Muslime in Frankreich aus ihren „Kellern und Garagen“ holen, um sie dem „radikalisiernden Einfluss obskurer Imame zu entwinden“ (Die Zeit). Sarkozy förderte die Gründung eines „Conseil français du culte musulman“, an dem sich rund tausend muslimische Kultstätten beteiligen

An der Spitze dieses „französischen“, also integrationswilligen Muslimrates steht Dalil Boubakeur, Vorsitzender der als liberal bekannten Großen Moschee in Paris. „Ich bin kein Religionspolitiker, sondern ein Arzt, der es gewohnt ist, bei pathologischen Fällen Hilfe zu leisten“, sagte Boubakeur. Er wird diese Erfahrung gebrauchen können, denn für Frankreich mit seinen etwa sechs Millionen MuslimInnen ist die fundamentalistische Radikalisierung doppelt so brisant wie für Deutschland (etwa drei Millionen MuslimInnen).

Um die Gründe für die Radikalisierung redet Boubakeur nicht herum: „Der europäische Islam geht diesen Weg, weil er das Geld der Wahabiten bekommt, die Erdöl-Dollars aus Saudi-Arabien,“ klagt der liberale Imam. „Wir haben hier keine Ölquellen.“ Aber er hat eine Regierung, die begriffen hat, worauf es ankommt: Auf die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der nicht-gläubigen, nicht fundamentalistischen MuslimInnen, die selbstverständlich für eine Trennung von Staat und Kirche und gegen die Gottesstaatlerei sind. Neueste Erhebungen zeigen: Nur 10 bis 20 Prozent der französischen Muslime sind überhaupt religiös aktiv und nur ein geringer Teil dieser Gläubigen wiederum sind Fundamentalisten.

In Deutschland werden die Zahlen ähnlich sein. Dennoch hat der deutsche Rechtsstaat dem Alleinvertretungsanspruch des „Zentralrats der Muslime“ (merke: eben nicht „deutscher“ Zentralrat), der in den Händen muslimischer Fundamentalisten ist, bisher nichts entgegengesetzt. Im Gegenteil: Seine rührigen Vertreter, allesamt Sympathisanten der Gottesstaaten, repräsentieren allerorten „die Muslime“, auf Kirchentagen wie in der Politik.

Doch wohin Gottesstaaten und Gettos führen, das zeigt nicht nur der 11. September, das zeigt auch das Leid von Samira und Sohane. Die revoltierenden Musliminnen in Frankreich nehmen den Kampf gegen ihre doppelte Dis­kriminierung jetzt selbst in die Hand: Aktivistin Fadela Amara, die Vorsitzende der Kumpelhäuser, will nun auch die vergessenen Kumpelinnen raus aus den Wohnungen und rein in die Kumpelhäuser holen. Ein Fortschritt.

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