„Die Frauen vertrauen uns nicht"

Aus der Ukraine geflüchtete Frauen mit ihren Kindern an der ostpolnischen Grenze. - Foto:Armin Durgut/PIXSELL/IMAGO
Artikel teilen

Warum seid ihr aktiv geworden?
Für mich war ganz schnell klar, dass ich vor Ort helfen will. Ich habe dann auf Facebook einen Aufruf gepostet: Lasst uns hinfahren und Menschen abholen! Meine Freundin Fiona war sofort Feuer und Flamme. Mit Hilfe des Google Translators habe ich in polnischen und ukranischen Foren gepostet: Wir fahren am Wochenende nach Polen und bieten an, Menschen nach Deutschland zu bringen. Gleichzeitig haben wir Geld- und Sachspenden gesammelt. Ein Freund von uns hat uns seinen Bulli geliehen, damit wir das alles transportieren und natürlich auch möglichst viele Menschen wieder mit zurückbringen können. Ein weiterer Freund, der ebenfalls ein großes Auto hat, ist auch mitgefahren und letztlich kamen noch zwei weitere Freunde in ihrem Auto mit. Wir sind am letzten Wochenende losgefahren, also am 6. März, das war der neunte Kriegstag. 

Anzeige

War euch klar, dass die Frauen, die ihr nach Deutschland bringen wolltet, skeptisch sein könnten?
Das wurde mir auf der Fahrt klar. Unterwegs haben mich viele Frauen angeschrieben, die ganz klar gesagt haben: Leute, bei euch wird keine Frau einsteigen! Die haben alle Angst, dass sie an Zuhälter geraten. Es wird ihnen an der Grenze dringend davon abgeraten, bei fremden Leuten mitzufahren.

Jennifer Meiritz hilft vor Ort.
Jennifer Meiritz hilft vor Ort.

Und was habt ihr dann gemacht?
Wir sind morgens um halb sechs in Warschau angekommen. Einer unserer Mitfahrer hatte über mehrere Ecken Kontakt zu einem Kindergarten, der von Nonnen geleitet wird. Und es hieß, diese Nonnen würden auch Spenden sammeln. Dort sind wir hingefahren und wurden sehr herzlich aufgenommen. Wir haben unsere Spenden dort abgegeben und sind dann mit einer Nonne zu einem Bahnhof gefahren, an dem Geflüchtete ankamen und weitergeleitet wurden. Das war sehr gut organisiert. Dass wir mit der Nonne dort waren, hat den Frauen offenbar Vertrauen gegeben. Und wir haben ein reines Frauenauto gemacht: Meine Freundin und ich sind gefahren und haben fünf Frauen mitgenommen, die nach Deutschland wollten, weil sie dort Angehörige haben. Das zweite Auto hat eine komplette Familie mitgenommen.

Wie war die Fahrt nach Deutschland?
Die Stimmung war sehr angespannt. Die Frauen waren unglaublich reserviert und es war deutlich, dass sie Angst hatten. Wir haben ihnen natürlich die ganze Zeit etwas zu essen und zu trinken angeboten, aber sie haben nichts angenommen. Als sie später ausstieg, hat uns dann eine Frau erklärt, dass sie nichts nehmen, weil sie befürchten, dass man ihnen Schlafmittel gibt und dass wir sie an irgendwelche Zuhälter übergeben und sie in der Prostitution landen. Das fand ich sehr krass. Für unsere nächsten Touren haben wir daraus gelernt, dass wir von den Spenden etwas zur Seite legen, damit die Frauen sich auf der Fahrt an der Tankstelle selbst etwas zu essen und zu trinken kaufen können.

Habt ihr selbst denn Menschenhändler gesehen?
In Warschau haben wir dubiose Gestalten gesehen. Und wir wissen ja aus Freierforen, dass die sich schon die Finger lecken und sich auf die Ukrainerinnen freuen. Es ist eben in diesem Krieg so, dass vor allem Frauen und Kinder fliehen, weil die meisten Männer nicht rauskommen und ich kann die Angst der Frauen total nachvollziehen. Wir haben mit den Angehörigen Treffpunkte ausgemacht, wo sie die Frauen in Empfang nehmen konnten. Als wir in Hamburg durch ein Industriegebiet gefahren sind, raschelte es und ich habe gesehen, dass eine Frau, die ihre Hände in den Schoß gelegt hatte, ein Messer in der Hand hatte. Mir war klar, dass das nicht uns galt, sondern dass sie einfach Angst hatte, dass wir sie in diesem Gewerbegebiet irgendwem ausliefern. Ich verstehe das, ich hätte mich vermutlich auch bewaffnet.

Fiel die Spannung denn irgendwann ab?
Eine Frau war beruhigter, als ich per WhatsApp unseren Standort mit ihrem Schwiegersohn geteilt habe, so dass er immer sehen konnte, wo wir sind. Ich hatte für einige auch meinen Personalausweis abfotografiert. Aber so richtig erleichtert waren die Frauen erst, als sie dann wirklich mit ihren Angehörigen zusammengetroffen sind. Zwei Frauen haben wir zum Beispiel in Cloppenburg abgeliefert, wo ihre Männer auf Montage sind. Auf der Fahrt waren die Frauen noch total reserviert. Und als sie dann ausgestiegen sind, hat mich eine der beiden abgeknutscht und überhaupt nicht wieder losgelassen. Sie hatte ihren 22-jährigen Sohn in der Ukraine lassen müssen. Eine andere Frau, deren Tochter in Köln lebt, hat mich gefragt, warum ich das mache. Ich habe dann gesagt, dass wir doch zusammenhalten und uns gegenseitig helfen müssen. Da hat sie geweint und mich ganz fest gedrückt. Ich hoffe, dass uns dieses Gemeinschaftsgefühl erhalten bleibt und dass auch wir in Westeuropa uns der Tatsache bewusst werden, wie schnell man selbst zum Flüchtling werden kann. Und dass es auch noch andere Flüchtlinge gibt. Es ist ja absurd, dass unsere Fahrten legal sind, aber dass es illegal ist, Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten.

Und wie macht ihr jetzt weiter?
Diese Woche hat unsere Gruppe, die wir „Taxi Europa“ genannt haben, drei Fahrten gemacht. Ich selbst konnte leider nicht mitfahren, weil ich mich an der Hand verletzt hatte. Die Nonnen schicken uns jetzt Listen mit Dingen, die gebraucht werden, zum Beispiel Windeln, Thermoskannen, Isomatten oder Schlafsäcke. Und auf der Rückfahrt nehmen wir Leute mit. Wir sind jetzt ein Netzwerk von 15 bis 20 Leuten und achten darauf, dass bei den Fahrten immer Frauen dabei sind. Wir können leider keine reine Frauenfahrten machen, weil wir ja auch auf unsere eigene Sicherheit bedacht sein müssen.

Wer das Projekt kontaktieren oder mit Spenden unterstützen möchte: Paypal (Jenny.meiritz@gmx.de)

Artikel teilen
 
Zur Startseite