Die neue Farbe

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Das 20. Jahrhundert wird mit seinen Weltkriegen als düstere Epoche in die Geschichte eingehen. Aber da der Frieden dann weitgehend aufrechterhalten werden konnte, geschah etwas Ungewöhnliches: Frauen erklommen in aller Welt höchste ­politische Ämter. Anfangs ging es noch langsam voran. Man sprach bei den Staatschefinnen wie Sirimavo Bandaranaike in Sri Lanka (ab 1960), Indira Gandhi in Indien (ab 1966) oder Golda Meir in Israel (1969) noch von Ausnahmen. Auch die argentinische ­Prä­sidentin Isabel Perón (1974) wurde eher als Ikone denn als Politikerin empfunden. Doch bei der Präsidentin der Philippinen Corazón Aquino (1986) war man mit solchen ­Zuschreibungen schon vorsichtiger. Auch ­Premierministerin Benazir Bhutto in Pakistan (1988) wurde ernst genommen. Und vor Margaret Thatcher, Großbritanniens Premierministerin von 1979 bis 1990, hat sich der Rest der Welt regelrecht gefürchtet. Ihre mit harter Hand vollzogene Politik einer ­Liberalisierung hat das Vorurteil, Frauen seien für Führungsaufgaben ungeeignet, endgültig zu Fall gebracht.

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Von da an wurden es immer mehr: Gro Harlem Brundtland kam in Norwegen an die Macht (ab 1981), Edith Cresson kurzfristig in Frankreich (1991), Kim Campbell in Kanada (1993), Tansu Çiller in der Türkei (1993) und zu guter Letzt Angela Merkel in Deutschland (2005). Im Jahre 2011 entstammen europäische Spitzenfrauen öfter dem konserva­tiven Lager! Jedoch: Als Vorbilder sind sie da, nun könnte eine Staatschefin so selbstverständlich werden wie ein Staatschef.

Doch diese Vorbilder waren nicht aus den Wolken gefallen; es gab einen historischen Wendepunkt, ohne den nichts passiert wäre: das Wahlrecht für Frauen, das aktive ebenso wie das passive. Es wurde nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in vielen Ländern eingeführt – wobei ‚eingeführt’ nicht ganz passt, denn Frauen hatten lange und zäh für dieses Recht gekämpft. Mit einer Verzögerung von zwei Generationen konnten die Frauen dann in der zweiten Hälfe des Jahrhunderts die Früchte ernten, was ihr Gewähltwerden betrifft.

Hier müssen auch die ersten weiblichen Abgeordneten und Ministerinnen Erwähnung finden, die es gab und auch geben musste, bevor die eine Frau ganz an die Spitze vorstoßen konnte. Es begann mit den klassischen Frauenressorts Familie, Gesundheit, Soziales, die wurden Politikerinnen überlassen. Aber irgendwann um die Jahrtausendwende war es so weit: Madeleine Albright wurde Außenministerin der USA (1997), Ruth Dreifuss Innenministerin in der Schweiz (1993) und Elisabeth Rehn gar Verteidigungsministerin Finnlands (1990).

Dass in den 1970er Jahren überall in der westlichen Welt eine Neue Frauenbewegung entstand und dass just in dieser und den folgenden Dekaden der Frauenanteil in der Politik schneller anstieg als je zuvor, ist selbstverständlich kein Zufall. Die Frauenproteste seit den 70er Jahren befeuerten eine Gleichstellungspolitik, zu deren größten ­Erfolgen die Frauenquote gehört. Sie war immer umstritten, gerade ehrgeizige Frauen glaubten, sie für ihren Aufstieg nicht zu ­benötigen. Aber sie blieb im Spiel.

In der Politik mit ihrer Neigung zur Verregelung ließ die Quote sich besser durchsetzen als in der Wirtschaft, und so haben wir – in Europa – auf dem politischen Feld einen viel deutlicheren Zuwachs an weiblichen Mitspielern als in der immer noch männerdominierten Welt der großen Unternehmen. Die Grünen führten in der Bundesrepublik eine Quote von 50 Prozent schon 1979 ein, die SPD zog 1988 mit 40 Prozent nach, die CDU bescheidet sich seit 1996 mit 33 Prozent, die CSU führte 2010 jüngst 40 Prozent ein, die FDP lehnt die Quote weiterhin ab.
Alle Länder, die die Quoten in der Politik kennen, haben mehr Frauen in Parlamenten und Regierungen, vorneweg die skandinavischen Staaten. Aber auch Frankreich und Spanien sind Quoten gegenüber aufgeschlossen. Dass dieses politische Instru­ment seinem Hautgout zum Trotz (‚Ich schaff es doch auch alleine‘) sehr hilfreich sein kann, ist erwiesen.

Frauen in Regierungsverantwortung gibt es allerdings nicht nur im Westen. Wir haben in Südamerika, im asiatischen Raum und in Afrika ebenfalls zunehmend ‚Herrscherinnen‘. Allerdings korreliert dort, wie die Forscherin Farida Jalalzai feststellt, die Repräsentanz von Frauen in hohen Positionen nicht mit einem entsprechenden Grad von Frauenbewusstsein und Streben nach Gleichberechtigung für alle.

Klar gesagt: Die Präsidentinnen Ellen Johnson-Sirleaf von Liberia, Dilma Rousseff von Brasilien oder Cristina Kirchner von ­Argentinien stehen nicht für einen gewonnenen Emanzipationskampf. Auch Benazir Bhutto, Premierministerin in Pakistan während der 1990er Jahre (die ihren Versuch, die Macht zurück zu gewinnen, 2007 mit dem Leben bezahlte), verwies nicht auf Gleichstellung der Frauen in Pakistan. Kirchner kam als Witwe an die Macht, wie Aquino und Bandaranaike, Bhutto als Tochter.

Wir kennen diese Form der dynastischen Macht-Weitergabe, die auch Frauen einbezieht, aus dem europäischen Mittelalter, wo Regentinnen in Vertretung unmündiger Söhne bzw. verstorbener Gatten oder Väter Großes leisteten – ohne jedoch ein Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit des weiblichen Minderstatus in den Gesellschaften zu ­we­cken. Die religiöse Weisung, derzufolge das Weib dem Manne untertan sei, hatte eine stärkere Wirkung auf die Köpfe und Herzen der Menschen als die Leistungen bedeutender Fürstinnen. Erst die Aufklärung hat hier eine Wende bewirkt.

Ein vergleichbarer Schub an Mündigkeit via Religionskritik ist in vielen Ländern des Ostens und Südens ausgeblieben, weswegen die eine Frau auf dem Thron dort auch nicht mehr für die Emanzipation aller Frauen ­bedeutet als eine Maria Theresia, die keinen Bruder hatte, im 18. Jahrhundert. Jedoch: Globalisierung bedeutet auch, dass Ideen frei schwirren. Und so besteht Hoffnung, dass die Gleichberechtigung irgendwann auch in der so genannten Dritten Welt ankommt.

Ein weiterer Grund für das erfolgreiche ­politische Vordringen von Frauen in nicht-entwickelten Ländern liegt in der Neigung instabiler Regime, engagierte Frauen als Krisenmanagerinnen anzusetzen, wenn gar nichts mehr geht und die männlichen Machthaber sich lieber davonstehlen. Dies gilt für das von Bürgerkriegen geschüttelte Afrika und auch für Bangladesh, wo Khaleda Zia als Witwe zehn Jahre lang Premierministerin war, ebenso wie für einige der nach dem Zerfall des Sowjet­imperiums in die Unabhängigkeit entlassenen Länder. Man wusste dort ganz einfach nicht weiter; das Land zu führen, galt als nicht eben ­attraktiver Job, und so bekamen in der Ukraine Julija Tymoschenko, in Litauen Irena Degutiene, in Kroatien Jadranka Kosor, in Kirgistan Rosa Otunbajewa ihre Chance – leicht hatte und hat es keine.

Es gibt immer wieder Hoffnungen, dass Frauen an der Spitze eine andere, eine bessere Politik machen als Männer – doch damit ist es nicht weit her. „Geschlecht ist kein politisches Programm“, sagt auch die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer. Sie fügt hinzu: „Ich gehe nicht davon aus, dass Frau und Mann grundsätzlich unterschiedlich sind.“

Machen Frauen an der Spitze, wenn schon keine ‚andere‘, so doch wenigstens Politik für Frauen? Auch das ist nicht ­gesagt. Weder Thatcher noch Meir noch Merkel waren bzw. sind Feministinnen. Oft legen gerade Spitzenpolitikerinnen sogar eine besonders nervöse Abwehr an den Tag, sobald Frauenthemen auf die Agenda drängen. Aber es gibt auch Staats­chefinnen, die bewusst Frauen fördern, wie Brundtland in Norwegen, deren erstes ­Kabinett eine starke Frauenriege aufwies.

Objektiv aber tun diese Staatschefinnen alle etwas für Frauen: durch ihr Vorbild und durch den Klimawandel, den ihre Existenz in den politischen Institutionen bewirkt. Gemeint ist jetzt nicht ein ‚netteres‘ Klima, weil Frauen öfter lächeln, sondern ein Wandel, der mit der Geschlechtermischung zu tun hat und der immer entspannend wirkt. Weibliche Neulinge haben weit weniger Angst, sich um Ämter zu bewerben, wenn sie wissen, dass sie auf Kolleginnen treffen werden, und Männer lernen, die Präsenz von Frauen zu akzeptieren.

Die Managerin und Buchautorin Laura Linwood, die Spitzenfrauen befragt hat, sagt: „Staatslenkerinnen fühlen sich in der Regel überbeobachtet.“ Das kennt ja auch die kleine Karrierefrau von der Straße. Kaum betritt sie einen Männerclub, in dem sie etwas werden will, steht sie auch schon auf dem Präsentierteller. Staatschefinnen geht es bis heute so. Sie werden meist strenger beurteilt als Männer im selben Amt und vorschnell abgewertet. Zugleich aber wächst weltweit ein durch Gewöhnungseffekt herbeigeführter elementarer Respekt. Die Autorinnen Andrea Fleschenberg und Claudia ­Derichs, die das „Handbuch Spitzenpolitikerinnen“ herausgebracht haben, sprechen von einer „kritischen Masse“ von 30 Prozent ­Frauenanteil, die erreicht sein muss, bevor die Kandidatinnen sich nicht mehr fremd fühlen.

Europaweit liegt der Frauenanteil in den nationalen Parlamenten bei durchschnittlich 24 Prozent. In Schweden nähert er sich zurzeit mit 46 Prozent der Parität. In Deutschland beträgt der Frauenanteil 32,8 Prozent. Italien und Frankreich sind mit 20 Prozent beschämend weit hinten, so auch England mit 21 Prozent.

Das sind hoffnungsvolle Ausgangspositionen für künftige europäische ­Regie­rungs­chefinnen.

 

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