Alinas Kampf für die Primavera

Alina Jacobs will die Primavera zurückholen. Foto: Sybill Schneider
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Alina, du bist eine der Studierenden in Flensburg, die den Abbau der Primavera für einen Skandal halten. Wie kam es dazu?
Plötzlich war die „Primavera“, die bei uns im sehr belebten Oslo-Foyer der Universität steht, weg. An ihre Stelle rückte ein Fragezeichen in Regenbogenfarben. Ich habe mich direkt gefragt, weshalb wir davon erst mehr als einen Monat später im Senat offiziell erfahren haben. Dort haben wir auf Nachfrage eines Senatsmitglieds erfahren, dass der Gleichstellungs- und Diversitätsausschuss sich ermächtigt hat, zum Uni-Präsidium zu gehen und den Abbau zu fordern. Aber warum ist der Senat, der zuständig ist, wenn es um Grundsatzfragen, etwa um das Leitbild der Uni geht - wozu auch Kunstfreiheit gehört -, übergangen worden?

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Welche Erklärung habt ihr bekommen?
Anfangs hieß es von Seiten des Uni-Präsidiums und unserer Gleichstellungsbeauftragten Martina Spirgatis, es ginge nur um die prominente Platzierung der „Primavera“ im Oslo-Foyer und gar nicht um die Statue selbst. Diese Begründung hat sich in der Argumentation im Senat und in der Beschlussvorlage des Gleichstellungs- und Diversitätsausschusses aber nicht bestätigt. Dann hieß es, es hätten sich Studentinnen gemeldet, die sich wegen des breiten Beckens der „Primavera“ unwohl fühlten.

Wer zum Beispiel?
Das konnte uns niemand beantworten. Diese angeblichen Studentinnen sind niemals irgendwo in Erscheinung getreten. Im AStA brandet wirklich alles an, sämtliche Belange von Studierenden werden dort diskutiert, aber die „Primavera“ war dort erst ein Thema, als sie entfernt wurde. Es hat sich auch niemand gefreut, als sie weg war. Im Gegenteil. Viele Studentinnen waren verwundert und entsetzt, dass eine solche Statue einfach so entfernt wird. Nebenbei gab es auch keinen Beifall für das Regenbogen-Fragezeichen. In den Medien aber war von „empfindlichen Studentinnen“ die Rede. Welches Licht wirft das auf uns? Es klang so, wären wir alle dem Projekt der Cancel Culture verfallen. Dabei kam diese Aktion gar nicht von uns Studenten.

Viele Frauen machen mit bei der Kampagne #saveprimavera. - Foto: Instagram
Viele Frauen machen mit bei der Kampagne #saveprimavera. - Foto: Instagram

Die Gleichstellungsbeauftragte der Uni, Martina Spirgatis, argumentierte, die Figur lasse „nicht einen Hauch von Intellektualität zu“ und symbolisiere "ein überkommenes Frauenbild“. Wie siehst du das?
Die Argumentation überzeugt mich nicht, sie klingt mehr nach einer Ausrede, um die ganze Aktion im Nachhinein zu rechtfertigen. Steht ein breites Becken etwa für die Dummheit der Frau? Wie darf denn eine künstlerische Frauenskulptur aussehen? Darum habe ich die Foto-Aktion „Ist mein Becken zu breit für das Oslo-Foyer?“ ins Leben gerufen. Frauen jeder Art und jeden Aussehens machen dort mit und stellen auf einem Foto genau diese Frage. Das ist großartig! Leider hat mir weder die Gleichstellungsbeauftragte noch das Präsidium bisher auf diese Frage geantwortet. Mir geht es vor allem darum, klar zu sagen, dass die Deutungshoheit über Kunst oder die Interpretation von Weiblichkeit nicht bei einer Person oder einem Ausschuss liegen darf. Das ist katastrophal!

Zumal die Primavera nicht irgendeine beliebige Kunst ist.
Genau. Sie wurde von Fritz During geschaffen, Jahrgang 1910. Er war ein Schüler des von den Nazis als „entarteter Künstler“ verfemten Bildhauers Ludwig Gies. Gilt Durings Kunst nun etwa auch als „entartet“? Die Universität muss zu dieser Frage Stellung beziehen und eine Diskussion zulassen.

Das passiert aber nicht?
Nein, die Uni-Leitung, unser Präsident Werner Reinhart, äußert sich so gut wie gar nicht zu dem Vorfall. Auch sollte sich eine Gleichstellungsbeauftragte zumindest die Belange der Frauen anhören, die nun die „Primavera“ zurückfordern. Das Präsidium hat sich zu diesem Fall bisher nur einmal öffentlich geäußert.

Gleichstellungsbeauftragte Spirgatis über die Primavera: "ein überkommenes Frauenbild". - Foto: Europa-Uni Flensburg
Gleichstellungsbeauftragte Spirgatis über die Primavera: "ein überkommenes Frauenbild". - Foto: Europa-Uni Flensburg

Wisst ihr mittlerweile, wer das Fragezeichen aufgestellt hat?
Nein. Aber die Tatsache, dass die Uni-Leitung dieses Fragezeichen toleriert, lässt doch tief blicken. Um die „Primavera“ gibt es ein solches Gerangel. Und das Fragezeichen bleibt unhinterfragt? Warum weiß niemand, wer die Skulptur gemacht und wer sie aufgestellt hat? Seit wann kann jemand Fremdes einfach so Kunst in einem öffentlichen Gebäude aufstellen? Das Fragezeichen passt haargenau auf den Sockel der Primavera. Das war keine spontane Aktion, das war eine Maßanfertigung.

Worüber reden wir also wirklich?
Wir reden über blinden Aktionismus und Cancel Culture. Da sollte vermeintliche Intoleranz durch Toleranz ersetzt werden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Für mich stellt es sich so dar, dass diese ganze Aktion von einer sehr kleinen, aber sehr lauten Minderheit kam, angefangen bei unserer Gleichstellungsbeauftragten und den Mitgliedern des Gleichstellungs- und Diversitätsausschusses, die dafür gestimmt haben, die "Primavera" zu beseitigen.

Und wie ist der aktuelle Stand?
Es gibt Überlegungen seitens der Universität, die Statue nach den Semesterferien im „Tallin-Gebäude“ wieder aufzustellen. Dazu muss man aber wissen, dass das Gebäude kaum besucht wird und kein Vergleich zum Oslo-Gebäude ist, durch das tausende Menschen jeden Tag gehen. Es wäre ein Hinterzimmer, in dem die „Primavera“ verschwinden soll.

Hast du Bedenken, dass es seitens der Uni Repressalien für dich geben könnte?
Rein juristisch darf das nicht passieren. Natürlich bereitet mir dieser Gedanke trotzdem Sorge. Ich habe auch lange drüber nachgedacht, ob ich die Rückholaktion starten soll. Viele meiner Freundinnen haben mich darin bestärkt, es zu machen. Irgendjemand muss sich schließlich trauen und die erste sein. Eigentlich sind die Rückmeldungen, die ich seit meiner Aktion bekomme, sehr positiv. Zudem haben mir viele Frauen aus ganz Deutschland, aus verschiedenen Altersgruppen und Lebenszusammenhängen geschrieben, und sich für meinen Einsatz und Mut bedankt. Es ist eben nicht egal, dass eine expressionistische Frauen-Skulptur einfach so aus einer Uni verschwindet. Die Rückmeldungen zeigen doch, dass das Ausradieren von Weiblichkeit keine Lappalie ist.

Pressesprecherin Kathrin Fischer mit der neuen Skulptur, dem Regenbogen-Fragezeichen. - Foto: Benjamin Bolte
Pressesprecherin Kathrin Fischer mit der neuen Skulptur, dem Regenbogen-Fragezeichen. - Foto: Benjamin Bolte

Na, dann müssten auch die voluminösen „Nanas“ von Niki de Saint Phalle in den Keller. Von Picasso ganz zu schweigen. Was also müsste mit der Plastik von During jetzt passieren?
Das Präsidium müsste dafür sorgen, dass die „Primavera“ wieder an ihren Ursprungsort im Oslo-Foyer zurückgestellt wird. Und es könnte ruhig zugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Dann kann es ja eine Debatte mit den Studierenden darüber geben. Es geht ja schließlich um die Kunstfreiheit und die Freiheit des Diskurses.

Wie erklärst du dir das Schweigen deiner Uni?
Ich glaube, dass das, was an unserer Uni passiert, gerade symptomatisch für unsere ganze Gesellschaft ist. Es fehlt manchen Gruppierungen die Bereitschaft, andere Meinungen zu akzeptieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Man muss an diesen Orten teilweise zweimal nachdenken, was man noch sagen, beurteilen oder tun und lassen darf. Doch es kann nicht sein, dass kleine laute Minderheiten alles bestimmen. Es muss vielmehr ein Konsens gefunden werden. Die Bereitschaft zur Diskussion und eine Debattenkultur sind zentrale Bestandteile einer Demokratie. Und das sollte eigentlich das Rüstzeug sein, dass StudentInnen an einer Universität bekommen.

Zu Petition: Primavera zurückholen - Kunstfreiheit schützen! - Online-Petition (openpetition.de)

 

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