Die Beweise sichern!

Artikel teilen

Warum haben Sie Ihr Projekt „Häusliche Gewalt“ am Kölner Institut für Rechtsmedizin initiiert?
Es ging uns darum, bekannt zu machen, dass wir Rechtsmediziner so etwas können: Verletzungen durch Häusliche Gewalt feststellen und sie so dokumentieren, dass diese Dokumentation bei Gericht nicht durchfällt. Denn wir erleben leider häufig, dass die ­Doku­mentation von Verletzungen durch Ärzte, die darin nicht geschult sind, nicht ausreichend ist. Oft ist der Beweiswert null, und damit gehen Sie vor Gericht einfach baden.

Anzeige

Deshalb wäre es also sinnvoll, SpezialistInnen wie Sie einzuschalten?
Genau. Meine ehemalige Chefin aus Jena hat mir folgenden Fall erzählt: Ein Gynäkologe rief sie an und sagte: „Ich hab hier so eine hysterische Frau, die behauptet, ihr Mann hätte sie gewürgt. Die hat zwar nix, aber ich wäre trotzdem ganz froh, wenn Sie mal mit drauf gucken könnten.“ Sie fährt hin und sieht sofort: Die Frau hat dicht stehende Petechien im Gesicht. Das sind punktförmige Einblutungen in der Haut. Und wenn man die in der Gesichtshaut hat, dann ist das ein Beweis dafür, dass der Blutabfluss so stark gestoppt wurde, dass die kleinen Gefäße platzen. Vorzugsweise in den Bindehäuten der Augen, der Mundschleimhaut oder hinter den Ohren. Aber so „kleine“ Befunde sehen Sie häufig nur, wenn Sie wissen, was Sie suchen.

Aber der Gynäkologe hat nicht erkannt, dass die Frau ein Gewaltopfer war?
Nein. Für einen Rechtsmediziner hingegen war das ein absolut eindrucksvoller Befund. Ich habe das Foto dieser Frau gesehen und mich gefreut, dass die überhaupt noch auf zwei Beinen irgendwo hingekommen ist. Denn so hätte auch eine Frau aussehen ­können, die so einen Angriff nicht überlebt. Und wenn das nicht erkannt wird, ist das, gelinde gesagt, sehr ärgerlich. Genauso ärgerlich wie wenn eine Frau erzählt: „Ich bin mit jeder meiner Verletzungen beim Hausarzt gewesen.“ Aber in der Dokumentation ­spiegelt sich das nicht wider.

Wie sollte denn idealerweise der Weg aussehen, damit die geschlagene Frau mit Ihrer Hilfe die Misshandlung nachweisen kann?
Häufig steht ja am Anfang ein Polizeieinsatz. Die Polizei weist also den Täter weg und vermittelt die Frau an eine Beratungsstelle. Die nimmt die Beratung wahr, und die ­Beraterin sieht, dass die Frau ein blaues Auge hat. Und jetzt wäre es wichtig, dass die Beraterin nicht sagt: „Gehen Sie damit mal zum Hausarzt!“, sondern, dass da rasch ein Termin bei uns in der Ambulanz der ­Rechts­medizin gemacht wird. Das gleiche gilt auch für das Frauenhaus, wenn die Frau mit ­Verletzungen ankommt.

Muss eine misshandelte Frau, die ihre Verletzungen von Ihnen begutachten lässt, auf jeden Fall Anzeige erstatten?
Nein, das muss sie nicht. Gerade Frauen, die noch dabei sind, sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu lösen, sind sich oft gar nicht ­sicher, ob sie Anzeige erstatten wollen. Deshalb ist es wichtig, dass die Beratungsstellen ihnen erklären: „Du kannst dir das mit der Anzeige in Ruhe überlegen. Aber wenn du ihn in einem halben Jahr anzeigen willst, dann hast du ein gerichtsfestes Ergebnis.“ Das ist auch vielen Ärzten nicht klar: Dass man uns bei einem Verdachtsfall erstmal fragen kann, ohne dass automatisch die Polizei mit im Boot ist. Bei Kindesmisshandlungen klappt das inzwischen ganz gut. Da haben wir mit einigen Kliniken die Vereinbarung, dass sie uns ihre Verdachtsfälle schicken und um unsere Einschätzung bitten.

Offensichtlich trauen sich ÄrztInnen nicht recht an das Thema Häusliche Gewalt heran. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Fortbildungen mit den ÄrztInnen gemacht?
Zunächst mal sitzen in diesen Fortbildungen tatsächlich immer die Leute vom Pflegeper­sonal, aber nur sehr vereinzelt Ärzte. Ich ­begegne immer wieder Ärzten, die behaupten: „In meiner Praxis gibt es so was nicht.“ Sie sehen aber nur, was sie sehen wollen. Die Frauen kommen ja auch nicht immer mit blauen Augen oder gebrochenen Armen, sondern mit psychosomatischen Beschwerden. Die haben dann immer Bauchschmerzen oder einen Reizdarm. Da wäre eine psychosoziale Anamnese angesagt und die Frage: „Was ist da eigentlich bei Ihnen zu Hause los?“ Hinzu kommt: Hier ist man eben nicht nur als ­Mediziner gefragt, sondern als Mensch mit einer Haltung. Und das fällt offenbar vielen Ärzten schwer. Zumal Ärzte ja nicht bessere Menschen sind als der Durchschnitt der ­Bevölkerung. Und auch dort ist die Wahrnehmung des Problems ja noch mit vielen ­Vor­urteilen belastet, so nach dem Motto: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, wie mir ­einmal ein Arzt bei einer Fortbildung sagte.

Versuchen nicht auch Frauen oft aus Scham und Angst, den Grund für ihren gebrochenen Arm oder ihre Platzwunde zu verheimlichen?
Sie gehen nicht in die Notfallambulanz und sagen: „Entschuldigen Sie, mein Mann hat mir gerade die Nase gebrochen. Können Sie das mal eben richten?“ Stattdessen erzählen sie irgendeine Geschichte. Als ich im ­Prak­tischen Jahr in der Notaufnahme war, habe ich das auch erlebt. Da kommt eine Frau mit einer gebrochenen Nase, die schon zum vierten Mal mit so einer Gewalt-Verletzung da ist, und niemand spricht das an. Auf die Frage, warum nicht, hat mir ein Kollege ­geantwortet: „Ich habe Angst, dass ich dann die Büchse der Pandora öffne.“ Aber wir wissen aus Studien, dass Frauen, die Opfer Häuslicher Gewalt geworden sind, angesprochen werden wollen. Und für die weitere ­Beratung gibt es die Beratungsstellen.

Wie sollte denn der Arzt oder die Ärztin idealerweise reagieren?
Nachdem die Verletzung behandelt ist, sollte der Arzt oder die Ärztin zunächst mal den ­besorgten Ehemann, der wie eine Klette an seiner Frau klebt, mit einer guten Begründung rausschicken. Dann sollte er der Frau tief in die Augen gucken und sagen: „Sie haben mir hier eine Geschichte erzählt, die ich nicht glauben kann, denn solche Verletzungen haben wir hier öfter bei Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden. Wir können Ihnen jetzt sofort helfen und Sie an ein Frauenhaus vermitteln. Aber Sie müssen jetzt auch gar nichts dazu sagen, und ich gebe Ihnen hier den Flyer einer Frauenberatungsstelle. Und wenn der zu auffällig ist, schreibe ich Ihnen die Nummer auf einen Zettel, den Sie sich in den BH stecken können.“ Man muss den Frauen zwei Dinge signalisieren. Erstens: Man hat ­gesehen, dass es Gewalt gegeben hat. Zweitens: Das ist nicht in Ordnung. Denn ein Teil des Problems ist ja, dass die Täter die Deutungshoheit haben und den Frauen einreden, dass es ganz normal sei, wie sie sich verhalten.

Wenn die Polizei zu einem Einsatz Häuslicher Gewalt gerufen wird, weist sie den schlagenden Mann automatisch aus der Wohnung, auch wenn die geschlagene Frau das nicht verlangt. Würden Sie es befürworten, wenn ÄrztInnen analog ebenfalls automatisch die Polizei rufen und Anzeige erstatten würden?
Nein. Denn die Frau muss selbst an dem Punkt sein, diese Gewaltbeziehung beenden zu wollen. Sie weiß ja, was das unter Umständen für sie bedeutet: in eine andere Stadt ziehen, die Kinder aus der Schule nehmen und so ­weiter. Meiner Ansicht nach kann man deshalb nicht über den Kopf einer erwachsenen Frau hinweg Anzeige erstatten. Gut, wenn eine Frau bewusstlos mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma auf der Intensivstation liegt und der Mann erzählt eine komische ­Geschichte dazu, dann rufen wir die Polizei. Aber bei einem blauen Auge … Die Frau muss das selbst wollen. Allerdings gibt es auch Frauen, die so traumatisiert sind, dass man den Eindruck hat, sie können diese Entscheidung gar nicht mehr selbst treffen. Dann muss man überlegen, welchen Weg man gehen kann.

Wie sieht es denn eigentlich im schlimmsten Fall aus, nämlich wenn die Frau an den Folgen der Misshandlung gestorben ist? Ist es richtig, dass viele dieser Todesfälle gar nicht entdeckt werden?
Wir haben bei den Tötungsdelikten sicher ein gewisses Dunkelfeld. Das liegt zum einen daran, dass die Leichenschau häufig nicht gut genug gemacht wird, zum anderen aber auch daran, dass nicht oft genug seziert wird. Sie können viele Arten der Gewaltanwendung von außen nicht erkennen. Todesfälle durch Ersticken zum Beispiel können sehr spurenarm sein. Es wird daher gerade diskutiert, ob die Begutachtung von Todesfällen nicht künftig ausschließlich durch spezialisierte Ärzte erfolgen sollte. Noch wichtiger wäre aber aus meiner Sicht, dass wir häufiger sezieren. Dabei kann man zum Beispiel eine zerrissene Leber entdecken. Finnland hat beispielsweise eine doppelt so hohe Rate an Tötungsdelikten wie Deutschland. Woran liegt das? Die Finnen ­sezieren 30 Prozent ihrer Verstorbenen. In Deutschland sind es, wenn es hoch kommt, fünf Prozent – in einigen Regionen ein wenig mehr, in anderen noch weniger. Ein anderes Beispiel: In der DDR war die Rate an tödlichen Kindesmisshandlungen doppelt so hoch wie in der BRD – ganz einfach, weil in der DDR jedes Kind, das vor seinem 16. Lebensjahr gestorben war, obduziert wurde. Jedes. Also sind dort die Schütteltraumen und die stumpfen Bauchtraumen erkannt worden. Wir im Westen haben dagegen offenbar die Hälfte der tödlich misshandelten Kinder verpasst.

Wird Ihr Angebot von den ÄrztInnen und Kliniken genutzt?
Zunehmend. Das Bewusstsein ist mittlerweile da. Das Gesundheitswesen ist ja nach der Polizei und den Juristen die letzte ­Gruppe, die in der Bekämpfung Häuslicher ­Gewalt dazugestoßen ist. Deshalb ist es zäh – aber es ändert sich was. Das Problem ist ­aller­dings, dass wir nach der Modellprojekt-Phase keine geregelte Finanzierung haben. Wenn die Frau mit der Polizei kommt, tragen Polizei und Staatsanwaltschaft erstmal die Kosten des Ermittlungsverfahrens, also auch die Untersuchung. Kommt aber eine Frau von sich aus, müssen wir das privat in Rechnung stellen, was uns wahnsinnig ärgert, denn man kann ja eigentlich der Frau nicht noch die Kosten für ihre Misshandlung aufs Auge drücken. Wir haben jetzt ein Arrangement mit der Kölner Opferhilfe, die die Kosten im Einzelfall übernehmen wird.

Und die Krankenkassen?
Da haben wir das Problem, dass die Krankenkassen bei Fremdverschulden an den Verursacher herantreten müssen, also den Mann. Was im Prinzip richtig ist. Aber: Wenn die Frau noch mit ihm wohnt, das Gutachten heimlich gemacht hat und es kommt dann der Brief von der Krankenkasse ins Haus geflattert, dann kann das sehr ­ungünstig sein. Bei misshandelten Kindern zahlt das Jugendamt die Kosten für unsere Untersuchung. Ich würde mir also wünschen, dass das Land NRW einen Topf für die Untersuchung misshandelter Frauen im Sinne einer Fallpauschale freigibt. Dann könnten wir mit diesem Angebot an die ­Öffentlichkeit gehen und die Frauen ­offensiv auffordern, zu uns zu kommen.

Weiterlesen
Dossier Männergewalt (1/10)

Artikel teilen
 
Zur Startseite