Don't forget Afghanistan!

Afghanische Frauenrechtlerinnen und Unterstützerinnen mit einem eindringlichen Appell.
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„Stopp Taliban! Stopp Taliban!“ schallt es am Dienstagmorgen von der Kölner Domplatte. Bei Eiseskälte und im Schneeregen halten Afghaninnen und Frauenrechtlerinnen aus ganz Deutschland das Banner „Don‘t forget Afghanistan“ in die Höhe. Zuvor hatten sie in Berlin, Hamburg und Hannover demonstriert. Am Dienstagnachmittag folgte eine Demo mit Kundgebung in Düsseldorf. Am Mittwoch, dem internationalen Frauentag, ging es nach Brüssel, vor das EU-Parlament.

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Initiatorin des fünfzügigen Protestmarsches ist die Deutsch-Afghanin Patoni Teichmann. Im August 2021, als die Taliban in Kabul einmarschierten, machte die in Berlin lebende Ärztin dort gerade ein Frauen- und Mädchenprojekt. „Ich saß im ersten Militärflugzeug, das starten durfte, dieser Flug mit nur sieben Menschen. Ich saß dort in diesem leeren Frachtflugzeug und dachte an all die Frauen und Mädchen, denen dieser Flug vielleicht das Leben hätte retten können.“

Wir erleben in Afghanistan heute eine beispiellose Geschlechterapartheid!

Ihre Heimat lässt Patoni, Geschäftsführerin der „European Organisation for Integration“ in Berlin, nicht mehr los. Sie ist fassungslos, wie sich der Westen von einem Land abwendet, in dem er 20 Jahre angeblich für Demokratie gekämpft hat.

Patoni Teichmann ist fassungslos, dass sich der Westen von Afghanistan abwendet.
Patoni Teichmann ist fassungslos, dass sich der Westen von Afghanistan abwendet.

„Wir erleben heute in Afghanistan eine beispiellose Geschlechterapartheid. Mädchen und Frauen erfahren furchtbares Leid, nur weil sie Frauen sind, aus keinem anderen Grund! Was wollen die Taliban für Afghanistan? Alles, was sie tun, ist Krieg gegen die weibliche Bevölkerung zu führen!“, klagt sie.

Vor einem halben Jahr hat Patoni Teichmann die Aktion "Nein zur Geschlechterapartheid in Afghanistan!“ initiiert. Sie mobilisiert seither Afghaninnen in Deutschland und alle, die sich für sie einsetzen wollen. „Wir Frauen Afghanistans müssen uns jetzt zusammenschließen, um für unsere Schwestern in der Heimat zu kämpfen!“, sagt sie.

In keinem Land der Welt sind Frauenrechte so eingeschränkt wie in Afghanistan. Das berichten die Vereinten Nationen (UN) in einem Bericht zum Internationalen Frauentag am Mittwoch. „Aber was folgt daraus?“ fragt Moushda Azadi, eine der Demonstrantinnen in Düsseldorf. „Die ganze Welt weiß, welche Gräueltaten sie an Mädchen und Frauen verüben. Und trotzdem wollen westliche Länder mit den Taliban sogar verhandeln! Wie kann ein Land bloß mit Terroristen verhandeln?“

Tamana Paryani, hier mit EMMA-Redakteurin Annika Ross, konnte mit ihren Schwestern den Taliban entkommen.
Tamana Paryani, hier mit EMMA-Redakteurin Annika Ross, konnte den Taliban entkommen.

Eine, die diese Gräueltaten selbst erlebt hat und über Wochen in einem Taliban-Gefängnis gefoltert wurde, ist die todesmutige Frauenrechtlerin Tamana Paryani. Vor fünf Monaten gelang der 25-Jährigen eine hochriskante Flucht über Pakistan nach Deutschland (EMMA berichtete). Auch Tamana ist eine der Rednerinnen in Düsseldorf. Sie ruft über den verschneiten Platz: „Meine Freundinnen verstecken sich noch immer in den Kellern Kabuls. Gelingt ihnen das nicht mehr, werden sie umgebracht! Lassen Sie sie nicht allein!“

Die nächste Rednerin beschreibt, wie die Taliban einen Anschlag auf eine Geburtsklinik in Kabul verübt haben. „Sie haben Neugeborene, Mütter, Krankenschwestern und Ärztinnen ermordet! Dann haben sie eine Mädchenschule bombardiert. Sie wollten lernende Mädchen treffen, um eine Botschaft an alle Frauen zu senden: Ihr gehört ins Haus!“ 30 Mädchen starben bei dem Anschlag im September 2022.

Ellaha, die erst vor wenigen Wochen aus Kabul fliehen konnte, erzählt von den Schaufensterpuppen: „Dieses Bild, wie sie all den Puppen eine Plastiktüte über den Kopf gezogen haben, hat sich mir eingebrannt. Sie wollen uns die Luft zum Atmen nehmen. Sie hassen alle Frauen!“

Afghanistan wäre doch ein Thema für die feministische Außenpolitik!

Die protestierenden Afghaninnen fordern die internationale Gemeinschaft auf, das Taliban-Regime nicht anzuerkennen, Sanktionen gegen alle Mitglieder zu verhängen, politische Vertretungen der Taliban in Katar zu blockieren und endlich ihre Geldflüsse zu kürzen.

Mehr EMMA lesen! Die aktuelle Ausgabe gibt es im EMMA-Shop.
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Patoni Teichmann: „Das wäre doch etwas, was unsere Außenministerin zu ihrem Thema machen könnte. Annalena Baerbock hat doch gerade erst erklärt, sie wolle feministische Außenpolitik machen. Mit welch anderem Land könnte sie das besser unter Beweis stellen als mit Afghanistan?“

Am 8. März, dem Weltfrauentag, haben sie ihre Forderungen im EU-Parlament vorgestellt. Parlamentarierinnen der LINKEN haben die Frauen empfangen und versprachen ihre Unterstützung.

Patoni und ihre Mitstreiterinnen hoffen auf die Solidarität aller Frauen: „Das, was mit den Mädchen und Frauen Afghanistans passiert, das darf keiner Frau egal sein. Es ist ein Krieg gegen uns alle. Und wir müssen ihre Stimme werden!“

Mehr zu den afghanischen Frauenrechtlerinnen in Deutschland und ihrer Initiative in der nächsten EMMA, der Mai/Juni-Ausgabe!

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