Emma Bonino: Die unerschrockene Hexe

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Die EU-Kommissarin Emma Bonino verliert keine Zeit. Sie handelt.

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Der Papst nennt sie eine "Hexe", und die britische Zeitschrift PR Week verlieh ihr jüngst anerkennend den Preis des "besten europäischen Kommunikators". Der Papst ist wie immer unfehlbar, doch der Preis ist zu kurz gegriffen. Denn die Aktivitäten dieser Donna in Brüssel gehen weit über Europa hinaus.
Am 3. Februar gab die EU-Kommissarin Emma Bonino eine Pressekonferenz in Brüssel, an ihrer Seite eine afghanische Ärztin, tiefverschleiert - aber nicht aus Glaubens-, sondern aus Sicherheitsgründen. Die Italienerin und die Afghanin lancierten zusammen die Kampagne: "Eine Blume für die Frauen von Kabul". Bonino: "Es handelt sich hier nicht um Menschenrechtsfragen. Es geht um Leben und Tod."
Vier Monate zuvor, am 29. September, war die EU-Politikerin in Kabul verhaftet, waren ihre Begleiter von Taliban-Milizen geschlagen worden. Es hätte schief gehen können, auch für Emma Bonino. Aber das riskiert sie eben, wenn es um den Kampf gegen Unrecht geht.
Bonino ist ein typisches Produkt der aktionistischen 1970er Jahre mit seinen übermütigen Feministinnen in Italien und schert sich nicht um diplomatische Spielregeln. Sie macht, ganz im Gegenteil, den Bruch dieser Regeln und medienwirksame Aktionen zu ihrer politischen Waffe.
Angefangen hat die italienische Bauerstochter damit im bewegten 75er Jahr in Mailand. Da studierte sie Sprachen, wurde ungewollt schwanger, und ein Wucherarzt verlangte 2.000 DM für den Abbruch. Da hat es Emma gereicht. Sie machte ihre Abtreibung öffentlich und ging demonstrativ drei Wochen lang dafür ins Gefängnis. Die Medien standen Kopf. Emma Bonino hatte ihren ersten Skandal.
Ab nun ging es Schlag auf Schlag. Gründung eines Beratungszentrums für Abtreibung 1975, Einzug in das italienische Parlament für die kleine "Radikale Partei" 1976, Einzug in das Europäische Parlament 1987. Was aber nicht heißt, daß die Abgeordnete Bonino seither auf Proteste, Aktionen und Kampagnen verzichtet. Fast symbolisch für den Lebensweg der Kampferprobten: Ihre Nominierung für das hohe EU-Amt erging, als sie gerade vor dem UN-Gebäude in New York für eine liberalere Drogenpolitik demonstrierte.
Die Frau mit der tiefen Stimme kann den Mund nicht halten. Wegsehen, sich abwenden, wenn die Welt aus den Fugen gerät, käme ihr nicht in den Sinn. Emma Bonino kämpft seit über 20 Jahren gegen Gleichgültigkeit und Establishment, für Verbraucherschutz und Liberalisierung der Drogen, gegen BSE und Atomenergie - und vor allem: für die Menschenrechte von Frauen, ihre wirksamsten Waffen sind: ihr scharfer Verstand und ihr Mundwerk. Wie Gewehrsalven rattern die Worte über ihre Lippen, ab und zu gestoppt von einem knappen "hm", soll heißen: "Ist doch klar, oder?"
Woher nimmt die 49-Jährige, die nie in ihrem Leben den Wunsch verspürt hat zu heiraten, diese Energie und diesen Mut? Von ihrer starken Mutter hat sie viel gelernt. Und von den Bauern aus dem kleinen norditalienischen Dorf Bra, ihrem Geburtsort. Deren "Sinn für Gerechtigkeit und Solidarität und ihr Verantwortungsgefühl" haben Bonino geprägt. Und natürlich: "Mein unbändiger Drang nach persönlicher Freiheit". Die Mutter verstand das. Der Vater nicht. Auch Emmas Wunsch zu studieren billigte er nicht. Aber: "Er war klug genug, sich nicht einzumischen."
Fast ehrfurchtsvoll bestaunen die Medien das Phänomen Bonino. Respekt, gar Bewunderung klingt durch, wenn die Italienerin einmal mehr im internationalen Rampenlicht steht. Und alle bemühen sich heutzutage darum, die "erste Radikale in einem so wichtigen Amt" vom Makel der notorischen Ruhestörerin reinzuwaschen. "Dabei ist sie gar nicht so - weder besonders links noch tiefgrün und schon gar nicht radikale Emanze. Nur ein bißchen frecher als die Kollegen", versuchte kürzlich die Frankfurter Rundschau abzuwiegeln.
Emma Bonino steht zu den Frauen. Jetzt, als Kommissarin der EU zuständig für humanitäre Hilfe, lenkt das PR-Genie das Augenmerk der ganzen Welt auf die Frauen in Afghanistan. Sie wagt es, Front zu machen gegen die fundamentalistischen Taliban-Milizionäre, die neuen Herren in Kabul, die den Frauen die elementarsten Menschenrechte und oft auch das Leben rauben. Zusammen mit 50 internationalen Frauenorganisationen lancierte sie zum 8. März die europaweite Solidaritätsaktion mit den Frauen in Afghanistan: "Blumen für die Frauen in Kabul".
Diese Emma Bonino macht ihrem Namen Ehre. Oder, wie es kürzlich die Redakteurinnen der FR in einem Interview so nett formulierten: "Frau Bonino, unter Ihrem Vornamen firmiert in Deutschland ein Frauenmagazin der anderen Art. Ihr Name klingt darum in deutschen Ohren wie ,Emanze'." Wie wahr.

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