Farahnaz Forotan: die Kämpferin

Die afghanische Journalistin Farahnaz Forotan
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Sich nun wieder klein machen? Den Mund halten? Nicht Farahnaz Forotan. Da muss schon eine andere Drohung kommen als diese: Die Rückkehr der Taliban. Denn genau die ist nach dem so genannten Friedensabkommen, das die amerikanische Regierung mit den Fundamentalisten schloss, im Gespräch. Ein Schreckensszenario für die Frauen in Afghanistan. Denn es könnte bedeuten, wieder einmal aller – so mühsam erkämpfter – Rechte beraubt zu werden.

Die Journalistin Forotan will das nicht zulassen und sie riskiert viel dafür. Womöglich sogar ihr Leben. Bevor die 36-Jährige zum Gesicht des afghanischen Feminismus wurde, zur Erfinderin der Kampagne #myredline, hat sie als Journalistin für den Nachrichtensender Tolo-News gearbeitet.

Immer wieder hat sie darüber berichtet, was den Frauen auch im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert noch angetan wird: Freiheitsberaubung, Zwangsverschleierung, Zwangsehen, häusliche Gewalt durch Ehemänner, Väter, Brüder, Onkel; so genannte Ehrenmorde. Sie hat erzählt, dass es immer noch die Frauen sind, die keine höheren Schulen besuchen dürfen; sie keine wichtigen Ämter innehaben; sie nicht zum Arzt gebracht werden, wenn sie krank sind.

Ihr Mut, das alles öffentlich auszusprechen, machte Farahnaz bereits da zum Rollenmodell für jene jungen Mädchen, die von Selbstbestimmung und kleinen Freiheiten träumten. Dann kam der Tag, an dem die Amerikaner den Abzug ihrer Soldaten beschlossen und den Taliban, als Dank dafür, dass sie die Ausbreitung von Al Kaida verhindern, erneut Macht anboten. Sie tauschen die Pest gegen die Cholera.

Und wie es mit Menschen- und Frauenrechten dann bestellt sein wird, davon war nur noch ganz am Rande die Rede. Spätestens da, sagt Forotan, wurde ihr klar, es brauche mehr als vereinzelte Stimmen, mehr als nur ein paar Akte des Aufbäumens, um sich den Taliban entgegenzustellen. An einem Märztag im Jahr 2019 schrieb Fahranaz Forotan auf Twitter: „Ich bin Journalistin und ich will Journalistin bleiben. Meine rote Linie sind mein Stift und meine Meinungsfreiheit. Was ist eure?“

Ein Jahr später sitzt Forotan in ihrem Kampagnen-Büro und wundert sich noch immer über die riesige Resonanz auf ihre Botschaft. Mehr als 100.000 Mal wurde der Tweet geteilt und viele Hundert Frauen haben zurückgetwittert: Hier verläuft meine rote Linie. Aus dem Tweet wurde eine der größten Social-Media-Kampagnen des Landes. Seither reist Forotan durch die afghanischen Provinzen und filmt Menschen dabei, wie sie die Frage beantworten. Erst waren es nur Frauen, inzwischen sind auch Männer dazugekommen.

Für solche Reisen braucht man viel Mut? Nein, sagt Forotan, man brauche vor allem viel Wut darüber, mit welcher Ignoranz über die Köpfe der Frauen hinweg entschieden werde. Laut sein. Sichtbar sein. Viele sein. Das ist das Ziel von #myredline, und Forotan ist sich bewusst, wie sehr ihr die Zeit davonläuft. Sobald der erste Taliban das Regierungsgebäude betritt, soll ihm klar sein, dass die afghanischen Frauen heute andere sind als jene, die man so lange unterdrückt hat.

Forotan wurde als Kind einer Kabuler Familie geboren, die es ihr erlaubte, sich zu entfalten. Sie ist ledig, hat keine Kinder und wollte schon früh Journalistin werden. Mehr Details gibt sie über ihr Privatleben nicht preis.

Der Hass, den sie auf sich zieht und der sich in Drohungen gegen sie Bahn bricht, in Beschimpfungen und Mordfantasien, macht ihr Leben zu einem Tanz auf sehr dünnem Seil. In ihrem Büro hängt ein Bild der Künstlerin Frida Kahlo, auf dem diese nackte Brüste hat. Als eine schwedische Zeitung ein Foto von diesem Bild und Forotan veröffentlichte, nahmen die Drohungen überhand und Forotan bewegte sich eine Zeitlang nur noch im Auto zwischen Büro und ihrer Wohnung.

36 Videos hat #myredline inzwischen veröffentlicht, weitere 30 sollen in diesem Jahr folgen. Niemand, hofft Forotan, könne diese Stimmen wieder zum Schweigen bringen.

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