"Wir lassen uns nicht einschüchtern!"

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Catherine, warum hast du The F-Word ­gegründet?
Ich war jung, habe in London gelebt und hatte viele feministische Klassiker gelesen. Und natürlich habe ich mich gefragt: Was passiert heute in Großbritannien? Wo stehen die Feministinnen? Was machen sie? Ich habe also im Netz nach Mitstreiterinnen gesucht. Doch abgesehen von ein paar Magazinen habe ich nur akademische Referenzen gefunden. Ich habe dann nach amerikanischen Seiten gesucht und ganz tolle Projekte gefunden. www.io. com/~wwwave hieß eins, das gibt es heute gar nicht mehr. Ein anderes hieß Feminista: voller Artikel von Frauen, die beschrieben haben, warum Feminismus so wichtig für sie ist. Ich dachte: So was müsste es hier auch geben! Dieser Gedanke hat mir den Schlaf geraubt. Ein Freund hat mir schließlich eine Seite eingerichtet und ­gesagt: Jetzt leg endlich los!

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Und dann?
Wir haben monatlich Artikel und Features als Online-Magazin veröffentlicht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich am Anfang fast alles selbst geschrieben. Als Blogs wie Feministing aufkamen und Bloggen insgesamt populärer wurde, haben wir auch damit angefangen. Die Stärke beim Bloggen liegt in der Interaktivität und Unmittelbarkeit. Selbst wenn ich einfach nur spazieren gehe und etwas sehe, was in feministischer Hinsicht relevant ist, kann ich sofort reagieren und darüber schreiben. Meistens handelt es sich aber um ­Erlebnisse, die ein Gefühl von Ohnmacht hinterlassen. Sexuelle Übergriffe auf der Straße zum Beispiel. Aber wenn viele Frauen über dasselbe Problem schreiben, werden plötzlich Muster und Zusammenhänge deutlich. „Das Private ist politisch“, dieser Satz gilt bis heute, auch im Netz.

Wie haben die Leute denn auf The F-Word reagiert?
Am Anfang haben vor allem meine Freunde mitgelesen. Dann auch Fremde. Frauen, die schrieben: „Ihr habt mein Leben verändert!“ Aber als Frauen im Netz sind wir auch Ziel von Angriffen. Mir hat sogar einmal jemand Todesdrohungen per E-Mail geschickt. Er hatte eine ganze Liste von feministischen Webseiten-Betreiberinnen, die er killen wollte. Ich habe ihn angezeigt. Wir lassen uns nicht einschüchtern.

Und wie gehst du mit solchen Trollen um, die nur blöd labern?
Wir publizieren viele der sexistischen Kommentare bei The F-Word gar nicht. Ich würde Bloggerinnen ohnehin raten: Wenn es dir zu viele Kommentare sind, schalte die Funktion einfach aus! Viele fühlen sich dazu verpflichtet, permanent in diese Diskussionen einzutauchen. Das kann toll sein, aber auch davon abhalten, einen neuen Blogeintrag zu schreiben.

Hat Sexismus im Netz zugenommen?
Den hat es immer gegeben. Als ich angefangen habe, mich im Internet nach ­anderen Feministinnen umzusehen, habe ich mich vor allem in Newsgroups bewegt, in Diskussionsforen. Eine hieß soc.feminism. Ich habe mich dort nach anderen Feministinnen erkundigt, und dann hat sich heraus gestellt, dass nur Anti-Feministen da waren. Ich bin mit Beleidigungen bombardiert worden. Die Gruppe bestand fast nur aus Männern, und sie waren sich alle einig: Der Feminismus ist tot, den brauchen wir nicht mehr. Das war 1999.

Und heute?
Für unser Buch „The F-Word“ haben wir Frauen gefragt: Warum interessiert ihr euch für Feminismus? Und die meisten sagten: Weil ich feministische Blogs lese. Vor zehn Jahren gab es nur sehr wenige feministische Seiten im Netz, heute gibt es so viele, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich die alle verfolgen soll.

In „Reclaiming the F-Word“ schreiben Sie über „feministische Generationen“. Kann man die überhaupt so klar trennen?
Ich glaube nicht, dass es große Unterschiede zwischen den beiden so genannten Feminismus-Generationen gibt. Klar, der gesellschaftliche Kontext hat sich seit den 60ern verändert: Globalisierung, eine größere Kluft zwischen Arm und Reich, die anwachsende Sex-Industrie. Und der Feminismus hat sich im Vergleich zu den 60er oder 80er Jahren ja auch weiterentwickelt. Aber die grundsätzlichen Prozesse sind vergleichbar. Viele behaupten ja, dass es bei jungen Feministinnen nur darum ginge zu sagen: Ist es nicht toll, wir können gleichzeitig Porno-Star und Feministin sein! Dabei gibt es genau so viele junge Feministinnen, die sich kritisch mit Pornografie oder Prostitution auseinandersetzen. Es gibt in allen Generationen unterschiedliche Positionen, sowohl bei älteren als auch bei jüngeren Frauen. Der Unterschied liegt vor allem in der Form, die Feminismus heute im Netz annimmt.

Ist das alles?
Ich habe nicht in den 60ern gelebt, ich weiß nicht, ob es damals genauso schwer war. Aber ich habe das Gefühl, dass es in den vergangen 20 Jahren einen starken Backlash gegeben hat, mit dem Feministinnen heute sehr zu kämpfen haben. Ein schwieriges Umfeld. Aber wir sind ja nicht alleine! Es ist zumindest in Großbritannien sehr auffällig, dass sich vor allem jüngere Frauen wieder sehr stark mit feministischen Themen beschäftigen. Und das Internet spielt dabei eine große Rolle.

Sind Frauen, die das Netz gar nicht nutzen, damit nicht automatisch aus der Diskussion ausgeschlossen?
Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum die frühen Feministinnen oft nicht mitbekommen, was die jüngere Generation macht – und umgekehrt. Jüngere Feministinnen organisieren sich stark über das Internet, deutlich mehr als ältere Feministinnen.

Warum sind Frauen dann im Netz trotzdem weniger sichtbar als Männer?
Frauen schreiben im Netz zu sehr unterschiedlichen Themen. Oft bekommen wir davon nichts mit, weil sie ausgegrenzt oder ignoriert werden. Deshalb gab es hier den feministischen Karneval, eine Blogparade. Das war eine Linksammlung, die wöchentlich von Blog zu Blog gewandert ist. Dabei kam raus, dass auch sehr viele Frauen über politische Themen bloggen. Ich glaube, dass viele Frauen im Netz Themen bearbeiten, die vom Mainstream gar nicht als politisch wahrgenommen werden. Weil es „nur“ Frauenthemen sind, keine „ernstzunehmende“ Politik.

Und was tust du?
Bei uns haben mittlerweile über 400 Frauen Artikel veröffentlicht. Uns war aber immer wichtig, dass nicht nur Akademikerinnen und Journalistinnen bei uns schreiben. Einmal hat ein 10-jähriges Mädchen einen Artikel über Mädchen-Magazine veröffentlicht – das war ein toller Text!

In deinem Buch gibst du unter „take action“ Tipps, wie Frauen aktiv werden können. Die meisten davon sind Offline-Ratschläge: Aufkleber, Bildungsarbeit in Schulen, Demos. Also raus aus dem Netz und rein in die „echte“ Welt?
Schreiben ist auch eine Form von Aktivismus. Die eine organisiert eine Demo, die andere geht in die Politik und die nächste schreibt einen Artikel. Jede macht das, was sie kann.

Was sollen Frauen tun, die online gehen?
Lasst euch nicht von Kritik runterziehen! Seid offen für andere Meinungen! Und: Habt kein schlechtes Gewissen, wenn ihr mal nichts veröffentlicht habt und denkt „Oh Gott, heute habe ich nicht gebloggt, jetzt habe ich den Feminismus verraten!“ Wir sind schließlich alle viel beschäftigte Frauen!

Weiterlesen
Catherine Redfern: Reclaiming the F-Word (Zed Books)
The F-Word

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