"Macht euch nicht gleich ins Hemd!"

© Bettina Flitner
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Wieso sind Sie eigentlich Chemikerin geworden?
Vieles von dem, was ich tue, hat mit meiner Neugier auf das Unsichtbare im Leben zu tun. Und da spielen Moleküle eine große Rolle.

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Damals war Chemie ja eher ein Männerstudium.
Das hatte ich als 19-Jährige so noch gar nicht vor Augen. Ich habe mich sowieso nie als Mädchen gesehen. Als Kind bin ich oft gefragt worden: Bist du a Madl oder bist du a Bub? Ich fand es damals schon doof, mich zu entscheiden.

Und später?
Ich hatte ja schon mit 28 mein erstes Kind gekriegt. Und mit 32 mein zweites. Da waren viele überzeugt, dass jetzt Schicht im Schacht ist. Als ich mich dann 1998 in Hamburg als Chemikerin habilitiert habe, waren viele erschrocken. „Das kann nicht dein Ernst sein, was willst du als Frau damit werden?“ Und ich habe gesagt: „Na, ich werd Professorin!“

(...)

Wünschen Sie sich ein anderes Verständnis von Wissenschaft?
Längerfristig ja. Frauen, die Spitzenforscherinnen werden wollen, müssen Männern nicht alles nachmachen. Sie müssen sich zutrauen, mit ihrem eigenen Stil in Führungspositionen zu kommen. Aber das geht nicht alles auf einmal und auch nicht sofort. Vor allem aber dürfen Frauen sich nicht immer gleich so ins Hemd machen! Erst mal müssen sie schauen: Wie sind die Regeln des Betriebs?

Sind Frauen zu feige für eine wissenschaftliche Karriere?
Nein, eher arg etepetete. Da macht sie einmal jemand schräg von der Seite an, und sie sind sofort beleidigt und verschwinden mit dem Satz: Das hab ich echt nicht nötig!

(...)

Was raten Sie heute Nachwuchswissenschaftlerinnen?
Ihr braucht Verbündete! Ihr müsst die Sprache und auch die Gesten der Männercommunity beherrschen. Anfassen zum Beispiel. Es hat eine immense Bedeutung, wer wem als erstes die Hand auf die Schulter legt – das beobachten wir ja auch bei Politikern. Obama legt Merkel die Hand auf die Schulter, Merkel legt Hollande die Hand auf die Schulter – aber niemals würde Merkel Obama die Hand auf die Schulter legen. Die eigenen Forschungsergebnisse vereinfacht kommunizieren, das ist auch wichtig. Selbst gegenüber den Leuten aus dem eigenen Fachbereich. Damit Kollegen sofort verstehen und wertschätzen, was man macht. Und so ein bisschen Power Play, das gehört auch dazu.

Das Gespräch führte Alexandra Eul. Das vollständige Interview steht in EMMA Juli/August 2015. Ausgabe bestellen

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Alice Schwarzer schreibt

Mehr Visionen! Weniger Putzen.

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Frau Prof. Nüsslein-Volhard, worum geht es genau bei diesem Stipendium für Forscherinnen?
Es geht darum, Doktorandinnen, die ein Kind haben (und über ein geringes Einkommen verfügen), zu helfen, ihre Doktorarbeit zügig zu machen. Indem wir ihnen für ein Jahr lang monatlich 400 Euro geben, mit denen sie sich eine Putzfrau leisten können. Die Idee ist also, dass sie sich Zeit kaufen.

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Sie haben in diesem Jahr von zwölf Stipendien nur die Hälfte vergeben. Warum?
Es waren einfach nicht genug geeignete Kandidatinnen da. Wir hatten 50 Bewerberinnen, davon haben wir zwölf eingeladen, aber nur bei sechsen hatten wir den Eindruck, dass es etwas wird.

Und was sind Ihre Kriterien dafür, dass es „etwas wird“?
Wir wollen die Frauen ja nicht fördern, weil sie ein Kind haben oder weil sie arm sind. Wir wollen sie fördern, weil sie begabt sind. Es müssen also Frauen sein, die richtig top sind.

Aber die rein formale Qualifikation ist der Jury doch aus den Bewerbungsunterlagen bekannt. Was also gibt in dem Gespräch den Ausschlag?
Ob sie wirklich ein Interesse an der Wissenschaft haben. Eine Leidenschaft. Manche haben leider so gar keine Vision.

Wie müsste ich mich benehmen, wenn ich von Frau Prof. Nüsslein-Volhard aus­gewählt werde?
Ganz ehrlich sein! Sie sollten uns begeistert von Ihrer Forschung erzählen. Wir müssten das Gefühl haben: Sie brennen. – Wir fragen die Frauen auch immer, wie sie das mit ihren Kindern organisieren. Und manche machen das so dämlich, dass man gleich weiß: Das wird nie was. Und wir fragen sie auch, ob ihre Männer sie unterstützen. Und dann ist es leider oft so, dass umgekehrt die Frauen ihre Männer unterstützen, weil die noch kein Geld verdienen. Das wollen wir natürlich nicht fördern.

Als Sie das Putzfrauen-Stipendium 2004 initiiert haben, gab es da mehr relevante Bewerberinnen?
Ja. Es werden weniger. Viele moderne ­Frauen sind unglaublich nervig, haben weder Disziplin noch Motivation, nur Sinn für Schönheit und andere „Soft Skills“. Manche wissen so gar nicht, was sie wollen, lassen sich treiben. Wie soll man da Frauen fördern! Es gibt natürlich Ausnahmen von ganz Tollen, aber die reichen doch bei weitem nicht aus, um die geforderten Quoten zu erfüllen! Die Erfahrung mache ich leider immer wieder bei der Betreuung der ­Doktoranden und Doktorandinnen. Mein Labor hatte immer schon ein großes internationales Ansehen, aber es gibt kaum Frauen, die sich zu mir trauen. Ich habe immer etwa 80 Prozent Männer gehabt. Das liegt vermutlich auch an meinem schlechten Ruf: Bei mir muss man viel arbeiten. Manchmal kränkt mich das richtig. Dass manche so gar nicht begreifen, was das für einen Spaß ­machen kann, mit Leidenschaft zu forschen.

Und die 20 Prozent, die bei Ihnen landen – was sind das für Frauen?
Ich hatte viele gute Amerikanerinnen. Die kamen als Post-Doktorandinnen. Sechs, sieben haben heute ihre eigenen Professuren in den USA. Erfolgreiche deutsche Doktorandinnen hatte ich bisher nicht mehr als zwei oder drei.

Wie ließe sich dieses Missverhältnis ändern?
Es wird heutzutage ja wahnsinnig um die Frauen geworben, dass sie in diese naturwissenschaftlichen Fächer gehen und dass sie Leitungsrollen übernehmen. Ich halte es für einen Fehler. Es ist zwar richtig, dass man sagt, dass es Diskriminierung von Frauen gibt, und dass Frauen das genau so gut können wie Männer. Gar keine Frage! Es gibt auch Top-Frauen. Aber es ist einfach zu beobachten, dass die meisten Frauen nicht so gerne forschen und auch nicht so gerne leiten. Das liegt daran, dass sie eine andere Art von Bestätigung suchen. Was Frauen glücklich macht, ist nicht der berufliche Erfolg, sondern ist das private Glück. Und ich verstehe das ja auch gut. Ich selber stelle mir da manchmal auch Fragen in Bezug auf mein Leben … Muss eine echte Karriere für Frauen immer auf Kosten des privaten Glücks gehen? Ich meine: Wer ­beneidet Frau Merkel? Deren Terminplan möchte doch niemand haben. Obwohl die wenigstens noch einen netten Mann hat. Aber es gibt ja auch Frauen, die keinen netten Mann haben oder gar keinen – und die beneidet keiner.

Aber geraten nicht manche Männer bei Ihnen auch in Konflikt, wenn sie einerseits Lust haben, bis in die tiefe Nacht zu forschen, aber andererseits die Freundin oder gar eine Familie wartet?
Aber sicher. Die leiden auch ganz schön. Sie kümmern sich ja viel stärker als früher um die Kinder und sind viel mehr zu Hause. Was ja auch gut ist. Als ich promoviert habe, war ich fast die einzige Frau und es war ­üblich, dass man abends und auch Samstag- und Sonntagnachmittage im Labor war. Zu meiner Zeit gab es auch keine Doktoranden, die Kinder hatten. Die meisten waren alleinstehend. Jetzt ist es so, dass sie schon früh ­Beziehungen haben oder auch Kinder. Die Frau arbeitet dann meistens nicht. Viele Frauen unserer jungen Wissenschaftler machen lange, lange Babypausen. Die bleiben fünf, sechs Jahre lang einfach zu Hause. Und danach suchen sie sich einen Halbtagsjob.

Aber das müsste dann ja die dazugehörigen Männer entlasten.
Eigentlich ja. Trotzdem stehen manche fürchterlich unter Druck. Denn die Frauen meckern, dass die Männer sich nicht genug um die Kinder kümmern. Auch, wenn sie volltags Hausfrauen sind, warten sie, dass die Männer nach Hause kommen und schmeißen ihnen die Kinder in die Arme, statt das Abendessen auf dem Tisch zu haben. Das beobachte ich auch in meiner Verwandtschaft. Bei den ehrgeizigen unter meinen Forschern sind prompt einige Ehen kaputt gegangen. Die Frauen haben es alleine zu Hause einfach vor Langeweile nicht ausgehalten. Ist ja klar, wenn man sich nur noch über Kleinkinder beugt.

Und die Doktorandinnen?
Die sind leider häufiger damit beschäftigt, gut auszusehen als gut zu forschen. Im vergangenen Jahr hatte ich vier Doktorandinnen, die abbrechen mussten. Eine aus schierer Unfähigkeit. Eine, weil sie Liebeskummer gekriegt und die Motivation völlig verloren hatte. Und zwei, weil ihre Männer weggezogen sind und sie dann mitziehen wollten. Diese Frauen haben das vorher einfach nicht richtig zu Ende gedacht. Sie verstehen nicht, was es bedeutet, zu forschen. Sie hätten einfach nicht an mein ­Institut kommen sollen. Denn sie machen ja auch Arbeit und eine miese Stimmung.

In Ihrer Generation waren Sie als Frau die totale Ausnahme im Labor. Dann kam in den 1970er und 1980er Jahren die Öffnung, mehr Frauen drängten in die so genannten „Männerberufe“. Und wie ging es in den vergangenen 20 Jahren weiter? Ist es besser geworden oder schlechter?
Es ist erst mal besser geworden. Aber jetzt geht es wieder richtig bergab.

Und wie erklären Sie sich das?
Das hat viel mit dem sozialen Druck zu tun. Es galt eine Zeitlang als richtig schick, ein naturwissenschaftliches Studium zu machen und auch etwas zu werden. Und es wurde auch sehr gepusht. Doch jetzt nimmt die Zahl der Frauen zu, die das nicht mehr machen wollen. Es ist ihnen einfach zu viel: leidenschaftlich arbeiten und gleichzeitig um ein Privatleben kämpfen. Die, die die Herausforderung dennoch annehmen, sind großartig. Fantastische Forscherinnen! Letztens hatten wir ein Auswahlverfahren, bei dem unter hundert die top Acht ausgewählt wurden – die Hälfte waren Frauen. Aber im Alltag habe ich im Moment eher die Aufgabe, Dompteuse (das moderne Wort heißt glaub ich Coach) für lauter labile, wehleidige junge Menschen ohne Verantwortungsgefühl zu sein. Das gilt für beide ­Geschlechter. Was mich sehr nervt. Wir hatten noch Ideale und wussten, dass man sich anstrengen muss, wenn man was werden will. Die schieben jedes verpatzte Experiment auf ihren „Betreuer“ und haben überhaupt nicht verstanden, dass man ­irgendwann selbst Verantwortung über das eigene Tun übernehmen muss und nicht ständig jemanden (Mama, Papa, Doktorvater oder Doktormama) für Mist, den man selbst verbockt, heranziehen kann. Da kann ich einiges erzählen!

Und Ihre Kollegen, die Professoren?
An meinem Institut sind wir zwei Frauen und vier Männer. Alle Männer haben Frauen, die nicht berufstätig sind. Die haben nette Kinder und ein schönes Haus. Und wir zwei Frauen sind alleinstehend.

Aber gerade Sie erlauben sich doch trotz Ihrer Top-Forscherinnen-Karriere ja gleichzeitig ein vielfältiges Leben. Sie haben ein schönes historisches Haus mit Traumgarten bei Tübingen und betreiben gerade Ihre zweite Karriere als Sängerin mit so viel ­Erfolg, dass Sie inzwischen sogar Konzerte geben. Das klingt nicht gerade nach schmalspurigem unsinnlichen Forscherleben.
Ja, ja. Aber das Ideal der deutschen Frau ist schon noch die Hausfrauenehe mit zwei Kindern, am besten erst ein Bub, dann ein Mädchen, oder auch mal umgekehrt.

Waren Sie als Kind ein Bub, Christiane?
(lacht) Ja, ich war der älteste Sohn meines Vaters. Wir waren sechs. Erst kam ein Mädchen. Dann kam ich. Dann kam noch ein Mädchen. Dann kam ein Bub, der starb. Dann kam ein zweiter Bub. Und dann kam noch ein Mädchen. Ich war von klein an interessiert an Dingen und Wissen, nicht nur an Menschen. Das wurde von meinem Vater sehr geschätzt. Er fand das interessant, wenn ich ihm mit 18 erklärte, wie die Welt funktioniert.

Kann man sagen: In Ihrer Generation waren die äußeren Hürden für eine Frau noch sehr hoch – jetzt sind es eher die inneren Hürden?
Genau. Früher war die Ausrede möglicherweise berechtigt, man wolle ja so gern, dürfe aber nicht. Jetzt aber müssen die Frauen selber bekennen, dass sie oft selber gar nicht wollen. Die Max-Planck-Gesellschaft muss und will ihren Frauenanteil unter den ­Direktoren erhöhen, was bedeutet, dass in Zukunft fast jede zweite Stelle mit einer Frau besetzt werden soll. Das ist gar nicht machbar. Außerdem würde es zu einer Diskriminierung der Männer führen! Es gibt heute einfach noch nicht so viele gute Frauen in den Naturwissenschaften. Auch wenn einige es wirklich geschafft haben

Sie reden jetzt von Spitzenforschern. Und da verstehe ich Ihr Argument. Aber was ist mit dem Mittelbau? Sollten Frauen nicht das Recht haben, genau so mittelmäßig zu sein wie die Männer?
Ja, natürlich, sind sie doch auch. Selbst unter den Spitzenköchen gibt es kaum Frauen, und das liegt doch nun sicher nicht daran, dass Frauen nicht gerne kochen!

Welchen Rat würden Sie einer jungen Frau, die es schaffen will, heute geben?
Ich würde sagen: Geniert euch nicht, das zu tun, was euch glücklich macht. Und wenn ihr keinen Bock auf Naturwissenschaften oder eine Leitungsfunktion habt, dann lasst es. Denn ohne Leidenschaft und Ehrgeiz geht es nicht.

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Dossier: Numera Claudia - Wo stehen Studentinnen heute? (2/12)

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