Frauenhass

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Dabei fordert der Sexismus Tag für Tag, Jahr für Jahr eine vielfache Zahl von Opfern. Millionen Menschen werden geschlagen, vergewaltigt, getötet - weil sie Frauen sind. Schon im Jahr 1992 startete EMMA darum die Aktion: „Stoppt Frauenhass!“ Wir forderten, dass die Polizei speziell sensibilisiert und ausgebildet wird in Bezug auf Sexualmorde und häusliche Gewalt (was in Ansätzen geschehen ist), dass die Justiz Sonderdezernate für Verbrechen aus Frauenhass einrichtet und dass die Frauenhass-Verbrechen (Sexualmorde, Beziehungstaten, „Familiendramen“, Vergewaltigungen und Misshandlungen) statistisch gesondert erfasst werden. Kurzum: Der Sexismus muss so eine juristische Kategorie werden, wie es der Rassismus und Antisemitismus längst ist.

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Dies ist in Ländern wie Amerika selbstverständlich: Da rangiert unter dem Begriff „Hate-Crimes“ der Sexismus ebenso wie der Rassismus. Nur in Deutschland wird die strukturelle Gemeinsamkeit der Hate-Crimes weiterhin hartnäckig geleugnet. Und was man leugnet, das gibt es nicht, und muss ergo nicht bekämpft werden.

Zwei Justizministerinnen allerdings waren bzw. sind sensibilisiert für das Problem. Herta Däubler-Gmelin (SPD) kündigte die Einführung der Kategorie „Frauenhass“ an, kurz bevor sie gehen musste. Und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte schon im Jahr 1998 zusammen mit anderen Spitzenpolitikerinnen öffentlich: „Der Gesetzgeber muss – parallel zum Motiv Fremdenhass – das Motiv ‚Frauenhass’ einführen. Die Aufstachelung zum Frauenhass muss strafrechtlich geahndet werden.“

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Tim K.: Es war Frauenhass

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Am 11. März erschoss der 17-jäh­rige Tim K. aus Winnenden in seiner ehemaligen Schule zwölf Menschen – elf davon waren weiblich. Und der einzige Mann, der Schüler Ibrahim H., galt als "Frauenliebling".

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Alice Schwarzer veröffentlichte damals in mehreren Blättern – und dann auch in EMMA – einen Kommentar, in dem sie feststellte, es läge nahe, dass diese Morde aus "Frauenhass" geschehen seien und Tim K. der erste Amokläufer in Deutschland mit diesem Motiv sei. – Die Kritik, ja das Hohngelächter ließen nicht auf sich warten. Was denn noch?! Kann diese ­Feministin denn nicht einmal schweigen und wenigstens vor dem Leid der Angehörigen verstummen?!

Doch gerade die Angehörigen geben seither keine Ruhe: Sie wollen wissen, warum ihre Kinder sterben mussten. Darum ist es wohl den Anwälten der Opfer-Eltern zu verdanken, dass fünf ­Monate nach der Tat (!) die ersten Informationen aus dem im September vorgelegten psychologischen Gutachten an die Öffentlichkeit sickern. Darin ist die Rede von "schwierigen Familienumständen", Killerspielen und Horrorvideos. Und von sadomasochistischen Filmen, in denen Frauen Männer fesseln und quälen. Davon hatte Tim K. reichlich auf seiner Festplatte. Und noch in der Nacht vor dem Amoklauf lud er sich 122 (!) Sado-Maso-Pornos aus dem Internet.

Ein schwer gestörtes Verhältnis zu Frauen

Der Gutachter diagnostiziert nun eine "masochistische Persönlichkeitsstörung" und vermutet, der 17-Jährige habe seine "Opferrolle in eine Täterrolle verkehrt". Was auch immer das genau bedeuten mag, es deutet auf jeden Fall auf ein schwer ­gestörtes Verhältnis von Tim K. zu Frauen.

Und die Eltern? Auch über deren Rolle sickern jetzt noch beunruhigendere Informationen durch. Nachdem der Minderjährige vergeblich versucht hatte, Munition zu kaufen, "schenkte" er seinem Vater nachträglich zum 50. Geburtstag 1.000 Schuss. 1.000 Patronen für die Baretta, mit der er zwei Monate später mordete. Der Vorteil des "Geschenks": Nun bekam Tim K. die Munition für seine Lieblingswaffe ausgeliefert. Die Baretta "lag ihm", gab der Vater später nicht ohne Stolz zu Protokoll, sein Sohn habe sie "gleich gemocht".

Und die Mutter? Ihr gestand der ­damals 16-jährige Sohn seine Sorge, er sei psychisch krank. Ein Hilferuf. Die Eltern suchten Rat in der Jugendpsychiatrie. Die Psychiaterin diagnostiziert einen Verdacht auf "atypischen Autismus", "eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung und Spielsucht". Dass der Junge ihr seinen "Hass auf die Menschheit" und seinen Wunsch "alle zu erschießen" gestanden hatte, teilt die Therapeutin den Eltern angeblich nicht mit. Alle lassen zu, dass der schwerkranke Junge die Therapie abbricht. 

Die Staatsan-
waltschaft in Stuttgart schweigt

Längst steht für die Opfer-Eltern fest, dass auch die Eltern des Täters zur Verantwortung gezogen werden müssten – so denn überhaupt noch ein Verfahren eröffnet wird. Anwalt Rabe: "Auch die Eltern wollen wissen, ob ihre Töchter gezielt umgebracht wurden." Doch die Staatsanwaltschaft in Stuttgart schweigt weiter, verweist auf "noch laufender Ermittlungen". Und die Polizei, die vom ersten Tag an die stramme These vertreten hatte, dass die ­Erschießung der Mädchen ein "Zufall" ­gewesen sei, hält allem zum Trotz weiterhin eisern an dieser These fest.

Nach der Wahrheit scheint in Winnenden von den Behörden nicht unbedingt mit der Lupe gesucht zu werden. Wegsehen ist wohl einfacher.

Aber nicht nur die Eltern der Opfer, wir alle haben ein Recht auf die Wahrheit. Wir haben ein Recht darauf zu ­erfahren, ob das gesellschaftliche Klima, ob Allmacht-Fantasien wie die von Tims Vater und Liebesdienste wie die von Tims Mutter dazu beigetragen haben, dass in einem 17-Jährigen ein so tödlicher Frauen­hass gedeihen konnte.

Doch nicht nur Polizei und ­Staats­anwaltschaft scheinen dieser Frage nicht wirklich nachgegangen zu sein. So kritisierte die Süddeutsche Zeitung: "Was der Gutachter nicht untersuchte, ist, ob das Bild Kretschmers von sich und von den Frauen (…) auch eine Rolle dabei spielte, dass die allermeisten Opfer des Amoklaufs Frauen sind. Die Polizei hatte dies allein auf die Sitzordnung in den Klassenzimmern ­zurückgeführt." Auch die SZ war dieser These damals unhinterfragt gefolgt.

Gestörte Männlichkeit

Und auch der Spiegel, damals ebenfalls ein Anhänger der Sitzordnungs-Theorie, ist endlich hellhörig geworden: "Heißt das im Klartext, dass Tim K. bei seinem Amoklauf doch bewusst Frauen töten wollte?", fragte das Blatt in seiner Berichterstattung über die neueste Entwicklung.

Da dürfen wir gespannt sein, wie lange die Staatsanwaltschaft in Stuttgart noch benötigt, um dieses menschlich wie politisch so alarmierende Verbrechen aufzuklären. Denn eines ist klar: Solange wir vor den Ursachen solcher Taten die Augen verschließen, werden wir auch nicht an die Wurzeln dieses Übels kommen. Es hat also wenig Sinn, noch länger zu leugnen, dass diese Taten viel mit gestörter Männlichkeit zu tun haben. Nicht zuletzt den (potenziellen) Tätern tun wir damit keinen Gefallen – von den (potenziellen) Opfern ganz zu schweigen.

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