Frauenhass im Internet

Amanda Hess
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Wie gewöhnlich dauerte es nicht besonders lange. Am 16. Januar um 11.45 Uhr veröffentlichten wir den Artikel „Ein Brief geht um die Welt“. Erstes Thema: Der Brief einer Ex-Prostituierten aus Dänemark, Tanja Rahm, an ihre Ex-Freier, der für Aufsehen sorgte: „Liebe Sexkäufer“. Zweites Thema: Die Reaktion des Katzenbuch-Autors Akif Pirinçci, der von der „von dir und Deinesgleichen angebotenen Dienstleistung ausgiebig Gebrauch gemacht“ hat: „Liebe ehemalige Nutte Tanja Rahm“.

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Den Artikel posteten wir – wie immer - auf Facebook, um unseren LeserInnen und Lesern die Möglichkeit zu geben, darüber zu diskutieren. Und unter den Diskutanten war diesmal auch: Pirinçci selbst. „Also dass ich seinerzeit sehr, sehr gern Nutten bestiegen habe, dagegen könnt ihr sein. Aber bitte keine Verleumdungen“, schreibt er. Und: „Mich könnt ihr beleidigen, wie ihr wollt." Und wie aus dem nichts tauchen – auch wie immer – kurz darauf weitere Kommentatoren auf, die unter anderem vorschlagen, „Emma zu verbieten“ und Prostitution zum „Menschenrecht“ erklären, die EMMA und ihren LeserInnen „blanken Männerhass“ unterstellen und Leseempfehlungen für weitere frauenfeindliche Blogartikel abgeben. Tenor: Wenn euch das schon aufregt, dann solltet ihr dies hier mal lesen. Buh!

So oder so ähnlich läuft das jedes Mal, besonders, wenn es um Themen wie Sexualität, Pornografie oder eben Prostitution geht. Interessant, mit welcher Wucht und mit welcher Wut User auftreten, mit Schaum vorm Mund vor der Tastatur sitzen und zum Beispiel eine Kerbe für die Intimrasur schlagen, weil sie solche „Spinnenbeine“ ( = Schamhaare) wirklich nicht im Maul haben wollen, wenn sie eine Frau „lecken“. 

Interessant auch, dass diese User immer von einer Truppe weiterer User und Userinnen begleitet werden, die im selben Tenor kommentieren. Bloß, dass deren Profile oft nur mit dem Profil des Erstkommentators verlinkt sind, mit Fotos von nackten Frauen gepflastert oder ausschließlich einschlägige maskulistische Blogs liken.

Nicht nur, dass die Moderation solcher sexistischer Schlachten sehr viel Zeit kostet und kräftezehrend ist. Nein, sie unterbindet am Ende auch jede fruchtbare Diskussion und damit das Weiterdenken. Denn wer hat schon dauerhaft Lust und Nerven, sich mit einem Menschen auseinanderzusetzen, dessen Argument lautet: „Welches Trauma macht dich eigentlich so verbittert?“

In Amerika ist in diesen Tagen ein Artikel im Pacific Standard erschienen, der das erschreckende Ausmaß des Cybermobbings von Frauen aufzeigt, in all seiner Perversität: Beleidigungen, Stalking, Morddrohungen. „Warum Frauen im Internet nicht willkommen sind“ lautet der Titel, Amanda Hess heißt die Autorin. Sie selber wird seit Jahren von Männern im Internet verfolgt. Aber ihre Geschichte und die völlige Handlungsunfähigkeit der Polizei im Umgang mit ihrem Fall ist nur der Aufhänger.

Hess beschreibt nicht nur ein Phänomen, das viele, ach was: alle netzaktiven Frauen kennen. Sie erklärt auch die Konsequenzen. Und zwar nicht nur die emotionalen (als würden die nicht schon reichen). Sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen. Und sie zieht eine interessante Parallele: Als in den 60er Jahren Frauen damit begannen, sich gegen sexistische Übergriffe im Beruf zu wehren, wurden sie ausgelacht. Das sei doch nur Flirten. Als sich ab den 70er Jahren Frauen gegen sexuelle Gewalt in der Ehe wehrten, wurden sie verhöhnt. Das sei doch privat – und das eheliche Recht der Männer. Im Jahr 2014 nun wird Frauen, die sich gegen Frauenhass im Internet wehren, unterstellt, sie hätten einfach keinen Humor – und wollten die (Meinungs)Freiheit im Netz abschaffen.

Belästigung am Arbeitsplatz ist heute nicht nur geächtet, sie ist verboten (in Deutschland via Antidiskriminierungsgesetz). Die Vergewaltigung in der Ehe ist strafbar. Und die Frauenjagd im Netz? Rangiert unter "Meinungsfreiheit", „harmloser Witz“ und "stell dich nicht so an". Wie lange noch?

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Amanda Hess: Why women aren’t welcome on the internet

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Wikiwoman Unite!

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Stell dir vor, es ist Bundestagswahl. Und keine Frau geht hin. Unmöglich! Stell dir vor, es ist Semesterbeginn. Und keine Frau schreibt sich an einer Universität ein. Niemals! Stell dir vor, es ist Fußball-WM. Und auf der Fanmeile schwenken nur Männer ihre Fähnchen. Haha! Stell dir vor, im Internet wächst seit einem Jahrzehnt eine Online-Enzyklopädie, die alle nutzen und an der jede und jeder mitschreiben darf. Aber Frauen machen kaum mit. Unvorstellbar? Herzlich Willkommen in der Wikipedia.

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Eigentlich ist das Internet-Lexikon eine gewaltige Erfolgsgeschichte. Wikipedia.de gehört heute mit 480 Millionen Aufrufen im Monat zu den am meisten genutzten Webseiten der Welt. Die Online-Enzyklopädie beinhaltet 24 Millionen Artikel (Deutschland: 1,4 Millionen) in 280 Sprachen und beteiligt weltweit 85000 AutorInnen, die täglich Inhalte bearbeiten oder hinzufügen. Nur das Thema Frauen in der Wikipedia ist ein Trauerspiel. Und die Frage lautet weniger: Warum ist das so? Die Frage lautet eher: Warum ist das immer noch so?

Bereits 2009, als auf der jährlichen Wiki­pedia-Konferenz „Wikimania“ in Buenos Aires die NutzerInnen-Analyse von der United Nations University und der Universität Maastricht vorgestellt wurde, ging ein Ruck durch die Wikipedia-Gemeinde. Nun hatten sie es also schwarz auf weiß: 87 Prozent der WikipedianerInnen sind männlich. Genauer: sind technikinteressierte Männer Mitte 20, Nerds aus Europa und Amerika. Für ein basisdemokratisches, spendenfinanziertes Projekt, das es sich zur Aufgabe ­gemacht hat, die Vielfalt des Weltwissens in einer Online-Enzyklopädie zusammenzutragen, ist das mehr als bedenklich: Die Hälfte der Weltbevölkerung schreibt an der Weltwissenssammlung kaum mit.

Alarmiert von diesen Zahlen sprach Sue Gardner, die Geschäftsführerin der Wiki­media Foundation mit Sitz in San Francisco, zum zehnjährigen Geburtstag der Online-Enzyklopädie im Jahr 2011 ein Machtwort: Der Frauenanteil solle bis 2015 auf 25 Prozent erhöht werden, verkündete sie und setzte das Thema Gender Gap auf der Agenda von ganz unten nach ganz oben.

Gardner ist für ihr Durchsetzungsvermögen bekannt. In den fünf Jahren, die die gelernte Journalistin die Geschäfte der Stiftung leitet, die die Wikipedia betreibt, haben sich die Spenden von drei Millionen auf 23 Millionen Dollar im Jahr erhöht. Das Wirtschaftsmagazin Forbes setzte Gardner 2012 auf die Liste der 100 mächtigsten Frauen der Welt. Dennoch: 2011 stieg der Frauenanteil in der Wikipedia nicht etwa an, sondern sank auf neun Prozent und stagniert seitdem.

In den USA hat deshalb ein Umdenken begonnen. Während Gardner sich zum Auftakt der Gender-Gap-Debatte 2009 noch gegen ein spezielles Frauen-Programm oder gar eine Frauen-Quote für die Community ausgesprochen hatte und das Thema Gender als „heißes Eisen“ bezeichnete, stehen die Zeichen heute auf Aktion. Und auch Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales räumte vor seinem vornehmlich männlichen Publikum auf der diesjährigen Wikimania in Washington ein, dass der Frauenmangel zu einem ernsthaften Problem geworden sei, was die inhaltliche Ausgewogenheit des Lexikons betrifft.

2012 nun hat das WikiWomen’s Collaborative, nach eigener Aussage „inspiriert von der Frauenbewegung im 20. und 21. Jahrhundert“, losgelegt: WikiWomen unite! Als Kopf dieser Frauen-Revolte gilt Sarah Stierch aus Washington. Stierch, früher Maskenbild­nerin und DJane, kam 2004 zur Wikipedia und moderierte bald gemeinsam mit Sue Gardner die englischsprachige Gender-Gap-Mailingliste, auf der Gender-Themen diskutiert und verhandelt werden. Inzwischen entwickelt sie Strategien zur Anwerbung von Autorinnen, die längerfristig an dem Projekt mitarbeiten. Das ist gar nicht so einfach.

Stierch leitet die WikiWomen’s Collaborative, ein Netzwerk aus Wikipedianerinnen aus diversen Ländern, die als Pilotprojekt eine Facebook-Seite und einen Twitter-­Account eingerichtet haben. Ziel ist, die Frauen da abzuholen, wo sie häufiger anzutreffen sind als in der Wikipedia: in den ­Sozialen Online-Netzwerken.

Auf dem WikiWomen Community-Blog ­füttern sich Wikipedianerinnen mit inter­nationalen News aus der Community: In Indien zum Beispiel hat im Oktober der erste WikiWomen Day stattgefunden. In Buenos Aires tagte im Mai das erste WikiWomen Camp. Und Ende 2011 ging in der englischsprachigen Wikipedia das „Tea­house“ online, das ähnlich wie ein Soziales Online-Netzwerk funktioniert: Neuankömmlinge können dort Profile anlegen und werden von alteingesessenen ModeratorInnen beim Einstieg betreut. Auch das „Teehaus“ soll die Wiki-Vielfalt vergrößern und richtet sich vor allem an Frauen.

Dass in den USA Frauen, allen voran Chefin Sue Gardner persönlich, in der Gender-Gap-Debatte öffentlich Position beziehen, zeigt Wirkung. Der Frauenanteil in der amerikanischen Community lag 2012 immerhin bei 14 Prozent. Damit ist er fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Hierzulande sind es gerade mal acht Prozent Frauen.

Ein schallendes „WikiWomen unite!“ ertönte bisher trotzdem nicht in deutschen Landen. Was sich in Amerika als Frauen­offensive präsentiert, versteckt sich im ­Jah­resplan 2013 der deutschen Wikimedia hinter dem allgemeinen Ziel „Diversität stärken“. „Mehr Vielfalt!“, das klingt nicht so bedrohlich wie „Mehr Frauen!“. Wikimedia Deutschland schmückt sich mit dem Projekt „Silberwissen“, um AutorInnen über 50 zu gewinnen; und mit einem Hochschul-Programm, um StudentInnen zu werben. Bei alledem sind die Frauen natürlich mitgedacht, klar. Sie werden nur nicht direkt angesprochen.

Immerhin: Pavel Richter, Vorstand des Vereins, bezieht Stellung: Der Frauenmangel sei ein „Defizit“, für das die Wikipedia-Community „sensibilisiert werden muss“, kündigt er an. Denn: „Uns geht ein riesiger Wissenspool verloren.“ Das Problem ist bekannt. Und wie sieht die Lösung aus? Die Antwort lautet: Die Community soll es richten. Richter: „Die Lösung für das Frauen-Defizit in der Wikipedia haben vor allem Frauen selbst in der Hand.“ Bei einem Frauenanteil von acht Prozent wird das erfahrungsgemäß ein weiteres Jahrzehnt dauern.

Vor allem, weil in der deutschen Wiki­pedia der Wind zurzeit eher andersrum weht. Nämlich Richtung Frauenfeindlichkeit. Seit vier Monaten hetzen deutsche „Männerrechtler“ gegen eine angebliche „feministische Unterwanderung“ der Online-Enzyklopädie. Es begann mit einem Offenen Brief von Arne Hoffmann und Michael Klein im August 2012 an Jimmy Wales persönlich. Die beiden Blogger sind in der Offline-Welt kaum bekannt. Im Netz sind sie die Vorsprecher der Maskulisten-Bewegung. Sie schreiben: Die deutsche Wikipedia „ist in großer Gefahr“. Denn: Besagte ­FeministInnen verbreiteten mittlerweile in Scharen ihre „feminazische Ideologie“ in der Enzyklopädie. Auf ihren Blogs genderama und Critical Science blasen die ­Herren seitdem „zum Kampf“.

Ganz vorne im Visier haben sie zwei Frauen, die unter den Pseudonymen „SanFran Farmer“ und „Fiona Baine“ in der Wiki­pedia aktiv sind. Was haben die beiden sich zu Schulden kommen lassen? Sie haben versucht, den Wikipedia-Artikel über Arne Hoffmann um einige kritische Anmerkungen zu ergänzen. Sie haben in dem Artikel zur Häuslichen Gewalt gewagt anzumerken, dass sich diese hauptsächlich gegen Frauen richtet. Und dann auch noch den über die „Männerrechtsbewegung“ editiert. Das ­genügte. Die Männerechtler in den Online-Foren „MANNdat“ und „Wieviel Gleich­berechtigung verträgt das Land“ reagierten prompt. Unter dem Motto „Bainewatch 2.0“ riefen sie offiziell zur Fahndung auf, die Identitäten hinter den beiden Wikipedia-Namen zu lüften. Mutmaßten über Klar­namen, Adressen und Jobs. Ein User unterstellte „Wahnvorstellungen“. Der nächste schrieb, dass er sich am liebsten vorstelle, wie die Userinnen „genüsslich schwitzend vor Geilheit über ihrer Tastatur“ hängen. Die Hatz ging am Ende so weit, dass anonyme User auf Baines Wikipedia-Profil ein Video posteten, auf dem sich ein Mann selbst­befriedigt. Mit dem Spruch: „Zieh dich aus, kleine Maus!“

Der Fall ist deshalb so interessant, weil er die Mechanismen offenlegte, mit denen Hoffmann & Co das Internet tyrannisieren: Sie organisieren sich abseits der viel befahrenen Datenautobahn über Foren und Netzwerke und schlagen dann zu.

Als Userin Baine zumindest für einige Wochen ihren Ausstieg aus der Wikipedia verkündete, johlte der Herrenverein erst mal sieges­sicher. „Gemessen an den Unkenntnissen in akkurat geschriebenem Deutsch wird Wixiblödia den Abgang einer Schreibse wie Furzia Pups schon gut verkraften können!“, kommentierte einer, der sich Carlos nennt. Und ein Nutzer ­namens Referatsleiter408 mahnte seine Mannen: „Die Sache ist erst abgeschlossen, wenn der Skalp oder die Ohren vorliegen.“ Das nächste Ziel hatte die Männer-Armee zu diesem Zeitpunkt schon im Visier. So tönte Michael Klein: „Dass ein Ideologe geht, eine Schlacht (vielleicht) gewonnen ist, heißt nicht, dass der Krieg ­gewonnen ist. Entsprechend sollte sicher­gestellt werden, dass FB (Anm.d.Red.: Fiona Baine) nicht in neuem Gewand wiederkommt und die noch vorhandenen Ideologen da weiter machen, wo FB auf­gehört hat.“

Das ist kein Einzelfall. Seit Jahren werden in diesen Kreisen schwarze Listen von Personen des öffentlichen Lebens oder MitarbeiterInnen von öffentlichen Einrichtungen geführt, die sich in frauenpolitischen und feministischen Zusammenhängen äußern. Die „Männerechtler“ haben inzwischen ihre eigene Wikipedia gegründet, die WikiMANNia. Kostprobe: „Der Begriff Unterhaltsnutte bezeichnet zumeist eine Frau, die meint, mit einer Heirat einen Unterhaltsanspruch über die Scheidung hinaus ­erworben zu haben und den Mann auf seine Zeugungs- und Zahlfunktion reduziert.“

Inzwischen ist die Maskulisten-Kampagne auch in den Print-Medien angekommen. Der Focus veröffentlichte jüngst einen Kommentar gegen von Frauen „frisierte“ Wikipedia-Artikel, geschrieben von Focus-Debatten-Ressortleiter Michael Klonovsky. Der ist ein einschlägig bekannter, führender Männerrechtler, und sein Zorn richtet sich auch auf eine „feministische Aktivistin“ in der Wikipedia, deren Namen „der Redaktion bekannt“ sei. Redakteur Klonovsky ist, wie Arne Hoffmann, auch Kolumnist des rechtslastigen Intellektuellenblattes eigentümlich frei. Und um das geht es auch in seinem Focus-Kommentar: Er wirft der „namentlich bekannten“ Frau vor, sie nutze Wikipedia, um sein Blatt „in der neuen Rechten zu verorten“.

Über solches Mobbing hinaus stehen in Blogs und Foren immer die gleichen Gründe, warum Frauen der Wikipedia fern bleiben: Einige finden die Wiki-Technik zu umständlich. Andere beklagen fehlendes Bewusstsein für die Relevanz von Frauen­themen. Die „sexistischen Kommentare“. Die Verharmlosung sexualisierter Gewalt und die Pornografisierung.

Diese Missstände bescheren der deutschen Wikipedia internationale Kritik. Zum Beispiel wegen des Artikels über die Vagina auf der Startseite – bebildert mit der Nahaufnahme einer weit geöffneten Vagina. Oder wegen des Artikels über „Cumshots“, der mit einem Porno-Comic bebildert ist, auf dem ein Mann einer Frau mitten ins Gesicht spritzt. Sehr fraglich ist, ob solche Zeilen in eine Enzyklopädie gehören: „Voraussetzungen für Pornodarsteller: Der Darsteller sollte einen telegenen und belastbaren Körper haben. Weil die Konsumenten vorwiegend männlich sind, wird von weiblichen Darstellern oft höhere ­Attraktivität als von männlichen verlangt. Männer sollten über eine gut funktionierende erektive Potenz verfügen.“

Oder das Thema geschlechtergerechte ­Sprache. Die Kategorie „Frauenrechtler“ beinhaltet fast nur Frauenrechtlerinnen. Der Vorschlag, die Kategorie in „Person der Frauenbewegung“ oder „Frauenrechtlerinnen“ umzunennen, wurde abgelehnt.

Erfahrene Wikipedianerinnen wie Feministin Katrin Rönicke allerdings sagen: „Die Wikipedia ist nicht immer frauenfeindlich.“ Wer über Biologie oder Literatur schreibt, „muss sich zwar in dem rauen Diskussionsklima durchsetzen und sich so einen gewissen Status als Autorin erwerben, wird aber deshalb nicht gleich von rasenden Netzmaskulisten niedergemäht.“ Das passiert erst, wenn sich Frauen in die heiß umkämpften, ideologielastigen Themenfelder wagen.

Sicher, offene Strukturen ziehen Trolle und Radikale an. Doch zum Rechtsextremismus zum Beispiel gibt es in der Wiki-Community eine Debatte und ein eigenes Themenportal. Ein Portal zu Frauenhass oder ein System, mit dem Frauen sexistische Inhalte melden können, existiert jedoch nicht.

„Das Wichtigste ist, dass es endlich eine Selbstorganisierung unter Frauen gibt, damit sie sich bei der Artikelarbeit den Rücken stärken können“, sagt Soziologe Andreas Kemper. Als „schwarze feder“ ist er seit 2005 in der Wikipedia aktiv, erforscht die Männerrechtsbewegung und dokumentiert auf seinem Blog unter anderem Skandale, nach denen Autorinnen die Wikipedia verlassen haben. Deswegen gilt Kemper mittlerweile als „man on a mission“. So heißen Männer (und auch Frauen), die unter dem Verdacht stehen, mit einer politischen Agenda in die Wikipedia eingreifen zu wollen. Das sei natürlich absurd, entgegnet Kemper, da alle gesellschaftlichen Themen immer von einer ­bestimmten Haltung her bearbeitet werden. Es sei von Anfang an das Problem der Wikipedia-Community gewesen, dass sie sich als „unpolitisch“ und „post-gender“ definiert habe – was noch nie der Realität entsprach.

Wikimedia Deutschland hat sich von der „beschämenden“ Internethatz der Männerrechtler distanziert. Und nun auch in Deutschland eine Mailing-Liste zum Gender-Gap eingerichtet.

Das ist ein Anfang. Aber das genügt nicht. Denn: In der virtuellen Welt des 21.J. wiederholt sich gerade die reale Geschichte des 19. und 20. J.: Eine ungehemmte Frauenfeindlichkeit, gegen die Frauen bisher nicht ­gemeinsam vorgegangen sind. Frauen müssten endlich handeln und gemeinsam in die Offensive gehen! Und für Wikimedia Deutschland ist es höchste Zeit, die von ­Chefin Gardner verkündete Frauen-Förderung auch hier­zulande umzusetzen.

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