Frauen in der digitalen Gesellschaft?

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Die Bedienung der Klitoris ist so eine Sache. Für Frauen wie für Männer. Drauf rumdrücken? Nicht so gut. Hartes Rubbeln? Auch nicht. Frauen wissen das – sie können es oft nur nicht kommunizieren. Und damit bleibt die Klitoris ein Mythos. Auch im Jahr 2011. Netzaktivismus von Frauen, sagt Jaclyn Friedman, ist so wie die Klitoris: „How Feminist Digital Activism is like the Clitoris“ heißt ihr Vortrag. Wahllos auf Eingabe drücken, um „trendigen Kram zu verbreiten“, sagt sie – nicht so gut. Einfach nur bei Facebook auf „Gefällt mir“ klicken und damit in bequemlicher Gefälligkeit verharren? Auch nicht.

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Jaclyn Friedman ist eine amerikanische Feministin und Leiterin des Medien-Netzwerks „Women, Action & the Media“ (WAM!). Sie steht auf der Hauptbühne des großen Auditoriums im Berliner Friedrichstadtpalast und auf der Leinwand prangt die Grafik einer Klitoris. Prompt bricht auf der re:publica 2011 das gleiche peinlich berührte Schweigen wie im Sexualkundeunterricht in der neunten Klasse aus. Es ist komplizierter, als es aussieht, sagt Friedman. Mit der Klitoris sowieso, aber auch mit dem Netz, den Frauen und der Lust am Internet. Keiner lacht, obwohl die Amerikanerin das an dieser Stelle eigentlich gewohnt ist.

Die re:publica ist Deutschlands größte Internet-Konferenz, ein Stelldichein der Netzbürger, auf dem sich drei Tage lang Menschen in echt treffen, die sich oft nur virtuell kennen. Sie diskutieren in Workshops und auf Vorträgen über die Frage: Wohin geht es in der digitalen Welt?

Das Treffen in Berlin ist wie das World Wide Web selbst, nur auf kleinem Raum und fassbarer: Ich komme rein und bin vom Angebot erschlagen. Ich weiß, was ich will, aber nicht genau, wo ich hin muss. Am Ende lande ich woanders – aber es ist trotzdem interessant.

Ich starre auf das ausgedruckte Programm mit über 250 Sprechern und kann mich nicht entscheiden. Neben mir steht eine Bloggerin und schielt auf die Zettel: „Ach, gehörst du auch zu diesen Internetausdruckern?“ Hätte ich mir ja denken können: Ausdrucken! So was von gestrig!

Das Internet ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken – dieser Satz fällt hier immer wieder. Aber was heißt das eigentlich? Morgens checke ich als erstes meine E-Mails. Werde oft nicht mehr persönlich, sondern via Facebook-Gruppe auf Partys eingeladen. Ich gucke die Tagesschau nicht mehr um acht Uhr, sondern wann ich will im Live­stream. Lese Nachrichten wie die von der Notlandung eines Airbus im Hudson River erst auf Twitter und dann in der Zeitung. Urlaub buche ich nicht mehr im Reisebüro, sondern im Netz. Ich weiß jetzt immer, wie es meinen Freundinnen und Freunden in Mexiko, Holland und Australien geht, weil ich ihre Aktivitäten online verfolge. Einer meiner Freunde hat seine große Liebe beim Online-Dating kennengelernt (was er allerdings gerne verschweigt). Manchmal bin ich fasziniert von der Vielfalt der Netzdebatten. Manchmal erschrocken über den massenhaften Nonsens. Dann denke ich „Haltet doch einfach alle die Klappe!“ und schalte den Rechner aus, weil ich von der anhaltenden Informationsflut überfordert bin. Das halte ich aller­dings höchstens ein Wochenende durch.

Das Netz ist Informationsquelle und Kontaktplattform geworden, weil da alles ein bisschen schneller, einfacher und anonymer geht. Dank Smartphone können das Internet und ich im Sommer jetzt sogar zusammen am See liegen.

Fast die Hälfte der 49 Millionen InternetnutzerInnen in Deutschland ist weiblich.

Auf der re:publica, wo Vorträge nicht „1,2,3 meins – erfolgreich Mitbieten auf Ebay“, sondern „Das Internet als Gesellschaftsbetriebssystem“ heißen, geht es nicht (nur) um Dienstleistung. Es geht auch um die Frage, wer diesen riesigen Alltags-Datenraum gestaltet, wer ihn kontrolliert und wer die Regeln macht. Die „digitale Mündigkeit“, sagt Constanze Kurz, Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs, nämlich ein souveräner Umgang mit dem Netz und mehr Kontrolle über die Informationen, die wir von uns im Netz preisgeben, ist heute unabdingbar geworden. Netzgemeinschaft. Netzwelt. Netzpolitik. Soziales Netz. Das Internet ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wo also stehen wir Frauen in dieser „digitalen Gesellschaft“?

Auf den ersten Blick: mittendrin! Fast die Hälfte der 49 Millionen InternetnutzerInnen in Deutschland ist weiblich. Auch in Sozialen Online-Netzwerken wie Facebook sind deutlich mehr Frauen als Männer angemeldet. Den Mikrobloggingdienst Twitter hingegen nutzen doppelt so viele Männer wie Frauen – wobei die Twitterer insgesamt nur drei Prozent aller deutschsprachigen ­Onlinenutzer ab 14 Jahren ausmachen (ARD/ZDF-Onlinestudie). Das ist die Seite der KonsumentInnen.

Die ProduzentInnen-Seite: Das Projekt „Gender Blogging“ von Cilja Harders und Franka Hesse an der Universität Bochum zeigt, dass in Deutschland mehr Frauen ein Weblog schreiben als Männer. Jüngst erreichte uns diese Meldung: Mit Martina Koederitz hat die deutsche Niederlassung des IT-Konzerns IBM das erste Mal eine Frau zur Chefin. Und die Geschäfte von Spiegel Online führt heute Katharina Borchert, die vor neun Jahren mit Lissys Lounge als Bloggerin angefangen hat.

Frauen, die sich als Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen, Bloggerinnen, Netzaktivistinnen aktiv in die Gestaltung der ­digitalen Welt einmischen, sind auch auf der Konferenz in Berlin unterwegs: Mitchell Baker, Vorsitzende der Mozilla-Foundation, das Haus, aus dem der Firefox-Browser kommt. Oder die amerikanische Anthropologin Gabriella Coleman, die unter anderem die NetzaktivistInnen von „Anonymus“ erforscht. Die in London lebende Bloggerin Noah Atef, die als erste Ägypterin über Folter in ihrem Herkunftsland schreibt (tortureinegypt.net), ist auch angereist.

Der Frauenanteil auf der Konferenz in diesem Jahr war schon vorher ein heiß diskutiertes Thema in der feministischen Blogosphäre. Die re:publica gilt als Spiegel der Geschlechterverhältnisse im Netz. Im vergangenen Jahr war es wegen der verschwindend geringen Zahl an Expertinnen auf der Hauptbühne zu einem Eklat gekommen. Frauen wie die Politik-Bloggerin Anne Roth (im Netz: annalist) und die Macherinnen der feministischen Mädchenmannschaft kritisierten dieses Missverhältnis scharf. Unter den meistgelesenen Blogs in Rankings wie den Deutschen Blogcharts tauchen nur die von Männern auf. Gender-Themen spielen in der Debatte über die Digital-Kultur eine zu kleine Rolle. Frauen stehen zu wenig als Netz-Expertinnen auf den Podien. Das zog nicht nur einen Schlagabtausch über den „Sexismus 2.0“ nach sich, sondern auch die Gründung von Initiativen wie der Girls on Web Society, die mittlerweile über 500 deutsche Bloggerinnen vernetzt.

„Wir haben in diesem Jahr darauf geachtet, so viele Frauen wie möglich als Sprecherinnen einzuladen“, erklärt Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Beckedahl ist Mitveranstalter der re:publica. Er sei Feminist, sagt er. So viel wie möglich heißt: geschätzte 30 Prozent Frauenanteil. Immerhin? Beckedahl sagt, er habe jedes Jahr dasselbe Problem. Es gibt nicht genug Netz-Expertinnen.

Warum ist das so? „Frauen sind in allen Bereichen zu wenig als Expertinnen sichtbar,“ antwortet Jaclyn Friedman. Bis eben ist die resolute Frau mit den braunen Locken noch über die Bühne gefegt, jetzt sitzen wir im Foyer des Friedrichstadtpalasts. „Frauen pitchen ihre Ideen nicht genug!“ Sie lernen von klein an, dass ihre Meinung weniger Relevanz hat. In Situationen, in denen Männer sich schon längst mit ihren Ideen und Meinungen profiliert hätten, halten Frauen erst Mal die Füße still und haben Zweifel an ihrer Kompetenz. Doch im Netz ist Aufmerksamkeit die wichtigste Währung. Hier ist vornehme Zurückhaltung erst recht tödlich. Im ­Gegenzug grenzen Männer Frauen aus, sagt Friedman. Sie sind es schließlich gewohnt, einen Kollegen ins Boot zu holen. Ein Kreislauf. Das gilt in Amerika wie in Deutschland: Laut einer Studie der Freien Universität Berlin und der Leuphana Universität Lüneburg sind 83 Prozent der zitierten Experten in Tageszeitungen männlich und nur 17 Prozent weiblich.

Am Ende ihres Vortrages war ein Mann aufgestanden und hatte bemängelt, dass beim Runden Tisch zum Thema Wikipedia keine Frauen anwesend waren. Nach Angaben der Dachorganisation Wikimedia sind 87 Prozent der WikipedianerInnen, die die weltweit größte Online-Enzyklopädie schreiben, männlich. Friedman entgegnete: „Vielleicht solltet ihr Frauen einfach stärker das Gefühl geben, dass sie in euren Runden willkommen sind“. Es reiche in der historisch männlich dominierten Nerdkultur eben nicht, einfach nur zu sagen: Kommt doch, wenn ihr wollt!

„So lange Frauen sich in feministischen Diskussionen als Opfer definieren, wird sich an ihrer Rolle nichts ändern.“ 

Auf der re:publica klingt das in dem nicht versiegenden Strom von Twitter-Kurzkommentaren zu frauenrelevanten Vorträgen und Diskussionsrunden mitunter so: Zu viel „Feminismusgeschwurbel“. – „War was? War kurz eingeschlafen!“ – „Oh, wir sind hier falsch – Frau spricht über ­Feminismus“.

Oder: „So lange Frauen sich in feministischen Diskussionen als Opfer definieren, wird sich an ihrer Rolle nichts ändern.“ Auf der re:publica treffe ich Feministinnen und Frauen, die Feminismus überholt finden. Programmiererinnen, die sich fragen, warum sie so viel weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen, obwohl sie den gleichen Job machen. Bloggerinnen, für die feststeht: „Ich will nicht als Internet-Quotenfrau eingeladen werden.“ Online schreiben sich die Machtverhältnisse aus der Offline-Welt fort. Und die Kontroversen darüber.

Kurz darauf beginnt das Panel „Cyber­femi­nismus und Girls on Web“ von Anne Roth, die auch in diesem Jahr wieder dabei ist. Auf der Bühne sitzen die feministischen Bloggerinnen Katrin Rönicke und Teresa Bücker mit Diana McCarty und Valie Djordjevic. Letztere betreiben seit 1997 die Mailingliste „Faces“ für Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Programmiererinnen. Damals nannten sie sich „Cyber­feministinnen“, weil die virtuelle Welt ja auch oft „Cyberspace“ genannt wurde. Ihr Ziel war das gleiche, wie das der Netzfeministinnen heute: Die Sichtbarkeit von Frauen in der digitalen Welt zu erhöhen. In dieser Runde hätte eigentlich noch Rena Tanges, Datenschutzexpertin von FoeBud und Initiatorin der Haecksen sitzen können, ein Zusammenschluss weiblicher Hacker im Chaos Computer Club. Gegründet anno 1988. Hat sich so wenig getan? Anne Roth ist manchmal desillusioniert: „Die fehlende Sichtbarkeit von Frauen im Netz genießt unter Feministinnen erhöhte Aufmerksamkeit. Aber geändert hat sich bisher zu wenig!“

Während im Friedrichstadtpalast 3000 NetzbürgerInnen noch diskutieren, fängt in Berlin der Sommer an. Vor den Bars sitzen Frauen und Männer, trinken Wein, essen eine Kleinigkeit, blättern in Zeitschriften, unterhalten sich. Die wenigsten haben wahrscheinlich ein Smartphone, die meisten haben ein Facebook-Profil. Sie kaufen Möbel bei Ebay und buchen ihre Urlaubsreise im Internet. Ob sie sich als Teil einer „digitalen Welt“ bezeichnen, die sie vor große Herausforderungen stellt? Fraglich. „Wir wollen die Menschen dort abholen, wo sie sind – ob im Internet oder auf dem Parkplatz“. So lautet das Anliegen, mit denen sich in diesen Tagen auch der Verein „Digitale Gesellschaft“ vorstellt. Eine Interessenvertretung für Netzbürger. „Schöne Grüße, Ihre Internet-Lobby“, schreibt ­Spiegel Online spöttisch, als Markus Beckedahl die Initiative vorstellt, die rund 20 Mitglieder hat – „darunter auch einige weibliche“. In der soll es „irgendwann auch um Gender-Themen gehen“, versichert ­Beckedahl. Wie das konkret aussehen wird, ist ihm selbst noch nicht ganz klar.

Zurück zu Jaclyn Friedman, die auf der Bühne im Friedrichstadtpalast erklärt, wie auch Nicht-Expertinnen sich im Web einmischen können. #MooreandMe lautete das Stichwort zur Kampagne, mit der die amerikanische Bloggerin Sady Doyle einen feministischen „Shitstorm“ gegen den ­Filmemacher Michael Moore und den MSNBC-Moderator Keith Olbermann entfachte. Beide hatten im Zusammenhang mit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange erklärt, es handele sich um eine Verschwörung der US-amerikanischen Politik und um einen Komplott von Feministinnen. Doyle rief nun ihrerseits die Leserinnen dazu auf, die beiden Assange-Sympathisanten unter #MooreandMe mit Fragen zu torpedieren. Nicht ohne Erfolg. Moore erklärte in einer Talkshow: „Jede Frau, die sexuelle Belästigung oder eine Vergewaltigung anzeigt, muss ernst genommen werden.“

Zur gleichen Zeit begann die Journalistin Johanna Koljonen aus Zorn auf die Schmähungen der mutmaßlichen schwedische Vergewaltigungsopfer von Julian ­Assange, über die „Grauzone Schlafzimmer“ und ihre eigenen Erfahrungen mit ­sexueller Gewalt zu twittern. Mittlerweile ist aus der Twitter-Aktion eine Homepage geworden. Unter #prataomdet (sprich drüber) brechen seither so viele Menschen ihr Schweigen über die eigenen Missbrauchserfahrungen, dass die MacherInnen nicht mehr alle Zuschriften veröffentlichen können. Beide Kampagnen lösten ein weltweites Medien-Echo aus.

Friedman sagt: Je mehr Frauen zu einem Thema schreiben, desto deutlicher werden die Zusammenhänge und die Anzahl der Frauen, die betroffen sind. Wie effektiv das Internet hier zur Vernetzung sein kann, zeigte sich jüngst in Frankreich: „Wir wissen nicht, was in New York passiert ist. Aber wir wissen, was in der letzten Woche in Frankreich los war“ erklärten „Osez le Feminisme“ (Den Feminismus wagen), „Paroles de Femmes“ (Reden von Frauen) und „La Barbe“ (wörtlich: Der Bart – sinngemäß: Es reicht!) in ihrem Appell zum Fall Strauss-Kahn: „Sexismus: Sie lassen sich gehen, Frauen zahlen die Zeche“. Den Aufruf gegen den „enthemmten Sexismus“ von Politik und Medien veröffentlichten die ­Feministinnen im Vorfeld einer Demonstration im Mai in Paris auf der Internetseite von Le Monde. Zur Demo kamen an einem sonnigen Sonntag rund 3000 Frauen. Der Appell verbreitete sich rasant und wurde innerhalb von wenigen Tagen von rund 30000 Menschen unterzeichnet. Darunter die ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal sowie die bekannte Anti-Korruptions-Juristin Eva Joly. Sexuelle Gewalt, Abtreibung, der Gender-Pay-Gap – das sind nur einige der vielen Themen, zu denen Frauen heute oft eher im Internet debattieren, als in den herkömmlichen Medien, in denen meist noch immer die Männer das Wort haben.

Am dritten Tag verlasse ich die Konferenz mit schwirrendem Kopf.

Wo stehen die Frauen in der digitalen Gesellschaft? Mittendrin – und gleichzeitig daneben. So wie im echten Leben. Die wirkliche Herausforderung des „Feminismus 2.0“ wartet allerdings jenseits des Friedrichstadtpalasts. Eine Herausforderung, die größer ist als der Umgang mit Sexismus im Internet oder die Beantwortung der Frage, wie Frauen mit ihren Online-Projekten Geld verdienen können: Die Frauen erreichen, die noch nicht aktiv im Netz sind.     

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