Die Welt der Gudrun Schyman

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Warum die populäre Feministin, die so beliebt ist wie Prinzessin Victoria, eine Frauenpartei gegründet hat und die Parteien Angst vor den Wahlen 2006 haben.

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Wer von Patriarchat oder der Unterdrückung von Frauen redet, mag eher an das Afghanistan der Taliban denken als an das emanzipierte Schweden. Doch für Gudrun Schyman ist der Unterschied nicht so groß. Die Strukturen seien dieselben, sagte die 58-jährige schwedische Politikerin: Eben dass man Frauen benachteilige, nur weil sie Frauen sind. Schymans „Taliban-Rede“ war eine der typischen Provokationen, für die sie berühmt und berüchtigt ist. So wie damals, als sie eine „Männersteuer“ forderte, um die Kosten für die Folgen der Gewalt gegen Frauen und Kinder von den Verursachern einzufordern. Das ist der Stil, mit dem Schyman eine der wichtigsten Meinungsträgerinnen des Landes geworden ist.

Jetzt ist sie wieder dort, wo sie am liebsten ist: in den Schlagzeilen. Eine „Feministische Initiative“ (F!) hat sich in Schweden vorgestellt, mit dem Ziel, bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr kräftig mitzumischen. Wenn auch die Frauenpartei auf eine hierarchische „Parteichefin“ verzichten will, so ist doch Schyman ihre Wortführerin.
Und nicht zuletzt ihretwegen hat bei den etablierten Parteien das große Zittern vor der neuen Partei begonnen. Eine erste Umfrage, nur drei Tage nach dem Erstauftritt veröffentlicht, gab der F! schon sieben Prozent der Stimmen: neun Prozent aller Frauen und fünf Prozent aller Männer würden sie wählen. Schlimmer noch: Bis zu 25 Prozent der WählerInnen könnte sich „vorstellen“, für die Frauenpartei zu stimmen. Das zeigt, auf welch starken Widerhall die Initiative stößt, die in ihrem Logo das i zum Ausrufezeichen umdreht.
Denn Schweden ist nicht nur das Land, in dem die halbe Regierung weiblich ist, die Erwerbsquote der Frauen höher als überall sonst und die Kinderbetreuung mustergültig ausgebaut. Auch in Schweden sind Lohnstatistik und Karrierechancen noch männlich dominiert, ist der Verschleiß in typischen Frauenjobs besonders unbarmherzig und wird Gewalt gegen Frauen immer noch viel zu oft behandelt als sei sie ein Kavaliersdelikt. Hierzu kommt: Die Sexualisierung des Alltags, die von Werbung und TV-Shows bis in die Schulklassen vordringt, oder das antiemanzipatorische Klima in vielen Zuwandererkreisen stellen die Feministinnen vor neue Herausforderungen.
Als einzige ihrer Mitstreiterinnen hat Schyman parlamentarische Erfahrung. Die gelernte Sozionomin gehört dem Reichstag in Stockholm als „Wilde“ an, seit sie die Linkspartei verlassen hat, um sich ganz Frauenfragen zu widmen. Zehn Jahre lang hatte sie davor die Linkspartei geführt und groß gemacht. Mit einer glänzenden Rednergabe – Kritiker sagen: gnadenlos populistisch - und dem richtigen Gespür für die Bedürfnisse der Medien hetzte sie durch Talkshows und TV-Unterhaltung und schreckte weder vor (dezenten) Nacktfotos zurück noch davor, ihren Kampf gegen den eigenen Alkoholismus öffentlich zu thematisieren. „Dass mein Vorgänger an der Flasche hing, wusste jeder und niemand redete davon“, sagte sie. „Bei mir als Frau aber macht man das Trinken zum Skandal.“ Dank einer erfolgreichen Entziehungskur hat die Kämpferin das Problem überwunden.
Schon in der Linkspartei hatte Schyman den Feminismus ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt, machte statt Karl Marx lieber Pippi Langstrumpf zur Leitfigur. Sie war entschiedene Gegnerin von Schwedens EU-Beitritt. So wurde sie für Sozialdemokraten, die mit dem Europakurs ihrer Partei unzufrieden waren, ebenso attraktiv wie für die im öffentlichen Sektor beschäftigten Wählerinnen. Bei den Wahlen 1998 erreichte die Linkspartei mit Gudrun Schyman mit 12 Prozent der Stimmen ihren Höhepunkt. Dennoch sagt sie, sei für sie Politik gar nicht so wichtig. Die Reihenfolge ihrer Prioritäten legte die geschiedene Mutter zweier erwachsener Kinder, die heute mit einem neuen Partner zusammenlebt, im Titel ihrer Autobiografie fest: „Mensch, Frau, Mama, Geliebte, Parteichefin“.
Bei den Wahlen 2002 fiel die Linkspartei auf immer noch beachtliche acht Prozent zurück, Schymans Hoffnungen auf eine Koalition mit den Sozialdemokraten und auf ein Ministeramt zerschlugen sich. Ein halbes Jahr später wurde sie von ihren eigenen Leuten zum Rücktritt gezwungen. Wenig später verließ sie ihre Fraktion, ohne ihr Mandat abzugeben, was bei ihren Ex-Kollegen Verbitterung auslöste.
Gudrun Schymans Popularität in der Öffentlichkeit jedoch tat das kaum Abbruch. Sie kann sich in der Beliebtheitsskala mit Kronprinzessin Victoria oder EU-Kommissarin Wallström messen - und das wird jetzt auch der Feministischen Initiative zugute kommen.
Übrigens: Die etablierten Parteien hatten sich durchaus bemüht, der Neugründung zuvorzukommen. Erst vor wenigen Wochen bildeten die Sozialdemokraten ein feministisches Netzwerk, um zu unterstreichen, wie ernst sie Gleichberechtigungsfragen nehmen. Und selbst der bisher nicht einschlägig aufgefallene Premier Göran Persson bezeichnet sich als „Feminist“. Nichts als Lippenbekenntnisse, spottet die heimliche Parteichefin der F!. 2006 sind Wahlen.

Johannes Gamillscheg, EMMA Mai/Juni 2005

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